Zuckerbrot und Peitsche
Sie heisst Wilma und MaRia und es wohnen wenigstens zwei Seelen in ihrer Brust, eine harte und eine weiche. Besonders Männer kriegen das zu spüren.
12 cm hoch, lackiert, poliert und spitz wie eine Hacke: ein armer Tropf, wer sie zwischen die Beine kriegt. «Ich ziehe sie manchmal an, lege mich damit aufs Bett oder stelle mich vor ihn hin, dann muss er runter auf die Knie, er darf sie küssen, lecken, mir egal. Mehr geht nicht. Die Füsse wollen nicht mehr, das Knie jammert vor Arthrose. Wer mich in High-Heels sehen will, muss eben Kompromisse machen.» Sie klemmt die Hochhackigen unter den Arm und steigt hinab ins pechschwarze Untergeschoss: «Es ist so wie bei einem guten Koch. Was er nicht zubereiten mag, schreibt er auch nicht auf die Karte. Sonst ist er selbst schuld, oder?»
Dieser Vergleich mit dem Koch, er wird noch viele Male kommen an dem langen Abend in diesem zauberhaften Haus, einer Villa in der Westschweiz, umgeben von vermoosten Steinmauern, wilden Hecken und wirren Sträuchern, und mit dieser Frau in aller Mitte, die lange, bunte Kleider trägt, eine Brille mit farbigen Gläsern und Tücher ums Haar und schwere Reifen an den Armen und die so viel redet, weil sie so viel denkt, und man merkt es bald: Sie ist entweder die perfekte Schauspielerin. Oder eine ziemlich gute Köchin.
Dabei ist Maria, geboren 1952 irgendwo im St. Gallischen, eine Herrin aus Berufung, eine Domina, und nennt sich auch Wilma.
Fesseln, Aufhängen, Peitschen, richtig viel Handarbeit sei das. Weswegen sie nur noch selten Sklaven empfange, erzählt Wilma mit tiefer Stimme. Sie sortiert Stromzangen, Pinzetten und Katheder, sie dimmt das Licht und schlägt mit dem Rohrstock an einen Zwinger, in dem sich kein Hund um die eigene Achse drehen könnte. Seit 1982 ist die Frau im Geschäft, ein Zufall sei das gewesen. Ihr damaliger Freund hatte ein Faible für hohe Absätze und Frauen, die sich den Männern nicht anbieten für ein paar Stutz, sondern sich bitten lassen, die ihnen Grenzen setzen und sagen, wo es langgeht. Irgendwann habe sie sich – damals noch eine Studentin – gefragt, ob sie das auch könnte («narzisstisch war ich ja immer schon und exhibitionistisch eigentlich auch»). Und sie konnte es, wurde bald zu einer der Gefragtesten, eine Magierin, die es verstand, sich in das «sexuelle Hirn» des anderen einzunisten und dort ein und aus zu gehen, wie es ihr beliebt. «Du musst seine Fantasien kennen, seine letzten Geheimnisse, seine Schmerzgrenze, denn nur so kannst du den Anderen im Flow halten und von dir abhängig machen.»
Um Gewalt, sagt Wilma, gehe es dabei nicht. Oder nicht vorderhand. Dafür umso mehr um Kontrolle, um beherrschen und beherrscht werden. Und ums Dienen. Viele, die Wilma aufsuchen, möchten von ihr unterworfen oder gedemütigt werden. Und manchmal auch befreit. «Wer einen Fetisch hat, der steht unter Zwang. Dessen Sexualität ist wie ein Gefängnis. Ich kann ihm helfen, auszubrechen – für ein paar Stunden wenigstens.» Das geht aber nur dann, wenn sie, die Herrin, sich von den Wünschen ihres Sklaven lenken lässt. «Eine gute Domina dient dem Sklaven, ohne dass dieser es merkt. Sie befiehlt, was der Sklave von ihr will.» Eine Reiseleiterin zum Geilsein und Heilsein sei sie.
Ob sie selbst sexuelle Lust bei ihrer Arbeit als Domina empfinde, sei die häufigste Frage, die sie zu hören bekommt. «Und die dümmste. Ich spüre eine Befriedigung, wenn ich die Rolle der Herrin perfekt spiele. Wenn ich mich in den Sklaven hineinfühle und zugleich Distanz bewahre, wenn ich ihn verführen und mich verwandeln kann, wenn ich die nahe Unberührbare bleibe.» Doch dies sei eine professionelle Befriedigung, mit Sex habe das nichts zu tun. Am Schmerz zum Beispiel sei sie gar nicht interessiert, sie könne daran nichts Erregendes finden, sagt Wilma lapidar. «Der Koch hat ja auch nicht immer Hunger, wenn er an der Herdplatte steht, oder?»
Damit sie sich traute, ihre Sexualität zu leben, musste Maria viele Mauern gesellschaftlicher Konventionen einreissen. Sie, die schon mit sieben in eine Klosterschule kam, was wundersam auf das kleine Mädchen wirkte, denn Maria wollte Nonne werden und sich restlos Gott hingeben («Ja, ich wäre gestorben für ihn, den Herrn»). Dann, mit 17, besuchte sie das Lehrerseminar, sass plötzlich in gemischten Klassen, da erwachte die Sexualität in ihrem Körper, der Kopf aber schrie: «Nutte!» Zwei Jahre später wandelte sie sich von der Maria zur Magdalena, sie warf ihr heiligstes Gebot über Bord und liess sich von einem Mann entjungfern, den sie garantiert nicht heiraten wollte.
«Der Weg war lang und mühselig um die zu werden, die ich heute bin. Ich musste meine eigenen Dogmen über Bord werfen und alles anzweifeln, was irgendwelche Autoritäten predigten. Das brauchte seine Zeit.» Damals wurde sie, inzwischen Mitte Dreissig, zur Künstlerin und nannte sich fortan MaRia, wenn sie nicht Wilma spielte.
«Ich weiss, ich verunsichere die Menschen, weil ich so vieles bin.» Manchmal, da spiele sie auch privat mit Wilmas Trickkiste wie etwa beim Wunsch, den Sklaven wie auch den Geliebten an sich zu binden – hier wie dort bringt sie ihren Zauber der Verführung ins Spiel. Doch MaRia ist auch verschieden von Wilma. Während zum Beispiel die Herrin befiehlt, was ihr Gegenüber sich von ihr wünscht, hofft MaRia, dass der Andere spürt, was sie sich selbst wünscht. Nämlich verzaubert und umsorgt zu werden, sich verlieben zu dürfen. «MaRia ist eine feinfühlige, eine zärtliche Frau, die auch weinen kann.» Und eine, die hohe Ansprüche hat, an das Leben, an sich selbst, die Männer. Zu Wilma kommt der Kunde an einem verabredeten Tag, er bleibt für eine Session, gibt sein Geld und bekommt dafür, was er verdient: Zuckerbrot und Peitsche. MaRia dagegen brauche viel Zeit, um sich erotisch einzulassen, denn sie möchte verführt werden.
Und sie will die Auswahl treffen. «Zu Wilma kommt der Sklave, der zahlt und auswählt, was er von mir will. Als MaRia wähle ich meine Liebhaber selbst aus, genauso wie den Zeitpunkt, wann ich berührt werden will.» Viele Männer, so erzählt die Frau mit den Tüchern ums Haar und den Reifen am Arm, jetzt in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend, viele Männer hätten Mühe damit, sie würden das immer schon als «Nein» auffassen und sich zurückgewiesen fühlen. «Dabei heisst es ja oft nur: Ich bin noch nicht parat, um mich sexuell einzulassen, ich will erst noch ein wenig flirten», sagt MaRia mit einer eleganten, ausladenden Bewegung. Und dann ist er wieder da, dieser Vergleich mit dem Koch: «Manchmal hast du einfach noch keinen Hunger. Aber das heisst noch lange nicht, dass du Essen des Kochs verweigerst, oder?»
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