Die Retter des Klimas?
Phytoplankton spielt die entscheidende Rolle bei der Klimaerwärmung. Davon sind der schottische Meeresbiologe Howard Dryden und seine GOES-Foundation überzeugt. Der grösste Teil des Sauerstoffs auf der Erde stammt von einzelligen Wasserpflanzen. Sie seien es auch, die das meiste CO2 absorbieren. Aber in der Klimadebatte existieren sie praktisch nicht.
Nehmen Sie einen tiefen Atemzug, bevor Sie diesen Text lesen. Der eine Lungenflügel füllt sich mit Sauerstoff der Pflanzen auf der Erdoberfläche, der andere mit Sauerstoff von Phytoplankton aus den Ozeanen. Tatsächlich wird mehr als die Hälfte des Sauerstoffs auf dieser Erde – einige Wissenschaftler schätzen den Anteil auf bis zu 80 Prozent – von Phytoplankton produziert. Dazu gehören einzellige Algen, von denen es 8000 Arten gibt, Cyanobakterien und Protisten – eine bizarre, wunderbare Vielfalt, die nur unter dem Mikroskop sichtbar ist. Sie sind die wichtigsten Organismen der Erde, ohne die auch die Krone der Schöpfung nicht leben kann. Phytoplankton produziert nicht nur den grössten Teil des Sauerstoffs, es entfernt auch 70 Prozent des CO2 aus der Atmosphäre und ist die Basis der marinen Nahrungskette. Ohne Phytoplankton geht gar nichts.
Aber: Das Phytoplankton ist gemäss Forschungen der Dalhousie University in Halifax zwischen 1962 und 2012 um 40 Prozent zurückgegangen. «Hätten wir seit der chemischen Revolution in den 1950er-Jahren nicht die Hälfte des Planktons getötet, hätten wir jetzt kein erhöhtes CO2 und keinen Klimawandel», ist der Meeresbiologe Howard Dryden, Forschungsleiter der Stiftung «Global Oceanic Environmental Survey» (GOES) in Edinburgh, überzeugt.
Der erhöhte CO2-Gehalt in der Atmosphäre und die steigenden Meerestemperaturen müssten eigentlich die Produktivität der Algen begünstigen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Sie sinkt seit Beginn der grossflächigen chemischen Verschmutzung der Meere und hat einen Teufelskreis in Gang gesetzt. Weniger Phytoplankton bedeutet weniger Sauerstoff und mehr CO2 in der Atmosphäre, eine zunehmende Versäuerung der Meere und ein Anstieg der Temperaturen.
Bäume zur Stabilisierung des Klimas zu pflanzen, sei in Ordnung, sagt Howard Dryden. Über ihre gesamte Lebensdauer hätten sie jedoch bloss eine neutrale CO2-Bilanz, da sie beim Zerfall oder Verbrennen wieder CO2 freisetzen. Die einzigen terrestrischen Gebiete, die netto Sauerstoff produzieren, bzw. CO2 absorbieren, seien Sümpfe und Feuchtgebiete. Der fehlende Schlüssel zum schleppenden Klimaschutz liegt also in den Ozeanen. Howard Dryden schätzt den Anteil der fossilen Brennstoffe am Klimaproblem auf 40, denjenigen des Planktons auf 60 Prozent.
Tödlich für das Plankton sind vor allem zwei Stoffe: Triclosan, ein antimikrobieller Wirkstoff, der in praktisch allen Körperpflegeprodukten enthalten ist und als Desinfektionsmittel breit verwendet wird. Weil es den menschlichen Hormonhaushalt stört, die Leber schädigt und Allergien auslösen kann, ist Triclosan in verschiedenen Anwendungen verboten, wird aber in niedriger Konzentration weiterhin in Zahnpasta und Deos verwendet. Es passiert die Abwasserreinigung und gelangt so letztlich auch in die Meere. Das Triclosan einer Tube Zahnpasta kann sämtliches Plankton in 50 Schwimmbecken von Olympiaformat abtöten – für uns Menschen ist es gefährlich, für die Mikroorganismen tödlich.
Der zweite Stoff ist Oxybenzon, das als UVA- und UVB-Filter in den meisten Sonnenschutzprodukten enthalten ist. Es tötet vor allem die Korallen, weshalb es im pazifischen Urlaubsparadies Palau ab 2020 und in Hawaii ab 2021 verboten ist. Die Zerstörung der Korallenriffe beginnt mit der sog. «Korallenbleiche». Sie signalisiert den Tod der farbigen Algen, die symbiotisch im farblosen Gewebe der Korallen leben und sie mit Nährstoffen versorgen, die sie aus dem CO2 der Atmosphäre gewinnen. Die Korallen können sich nach einer Bleiche auch wieder erholen.
Sind die Algen geschädigt, reagieren die Korallen empfindlicher auf die Erhöhung der Meerestemperatur. In einer intakten Symbiose kann ein Korallenriff dagegen auch in höheren Wassertemperaturen überleben, sagt Howard Dryden.
Grundsätzlich sind alle Herbizide, Pestizide, Schwermetalle und chemischen Brandschutzmittel für das Plankton höchst toxisch. Aber die Wirkungskette ist unterschiedlich. Weil sich Oxybenzon nicht in Wasser auflöst, heftet es sich wie andere hydrophobe Substanzen an Nano- und Mikropartikel im Meer. Dies senkt zwar die Konzentration im Wasser, erhöht sie aber bei den Partikeln. Nach Angaben der «National Oceanographic and Atmospheric Administration» der USA gelangen jährlich 4000 bis 6000 Tonnen Sonnenschutzmittel in die Korallenriffe.
Die Krux besteht nach Darstellung von Howard Dryden darin, dass Nanopartikel einer gewissen Grösse vom Plankton als Nahrung behandelt werden und dadurch das Gift in tausendfacher Konzentration aufnehmen. Aufgrund dieses Mechanismus gäbe es auch keinen sicheren Grenzwert für hydrophobe Gifte. Wie verhängnisvoll die Kombination von Plastik-Nanopartikeln und wasserunlöslichen Toxinen ist, zeigt die Tatsache, dass bereits einer von fünfzehn Organismen im Meer Plastik aufgenommen hat. Und dem grössten Anteil des Plastiks steht der Zerfall in Nanopartikel erst noch bevor – eine Zeitbombe, die bereits gezündet ist.
Für die Industrie sind Oxybenzon und Triclosan unbedenklich. «Oxybenzon als UV-Filter hat sich für Mensch und Umwelt in fast vier Jahrzehnten als sicher bewährt», liess die Medienstelle von Johnson&Johnson (Piz Buin, Neutrogena) die Zeitschrift «Beobachter» wissen, die sich mit dem Korallengift in Sonnencremen befasste. In einer Online-Abstimmung mit 103 Teilnehmern sprachen sich 89 Prozent für und 1 Prozent gegen ein Verbot von Oxybenzon ein. 10 Prozent würden ein Verbot auf Korallengebiete beschränken.
Sterben die Korallenriffe, verschwindet nicht bloss ein Sujet für eindrückliche Unterwasserfotos, sondern auch die Brutstätte von rund 25 Prozent der Fische. Es geht also um das Überleben der Meere und den Erhalt des Lebens an sich. Und das eilt.
Ein Prozent beträgt der jährliche Rückgang des Planktons gemäss Auswertung von NASA-Fotos. Wie fast immer, ist sich die Wissenschaft auch bezüglich dieser Abnahme uneinig. Das liegt einerseits am Plankton selber, das seine höchste Konzentration in unterschiedlichen Meerestiefen hat, von 6 bis 200 Metern. Misst man überall in derselben Meerestiefe, erhält man keine zuverlässigen Resultate. Dies liegt aber auch an den unterschiedlichen Messmethoden im Lauf der Zeit. Die Dichte des Planktons wird u. a. mit farbigen Scheiben gemessen, die bis zum Verschwinden abgesenkt werden, durch Messung des Chlorophyll-Gehalts oder Auswertung von Wasserproben. Es ist nicht gelungen, die Resultate der verschiedenen Methoden zu vergleichbaren Ergebnissen zusammenzuführen.
Ohne substanzielle Massnahmen werden in 25 Jahren 75 Prozent des Planktons zerstört sein, ist Howard Dryden überzeugt. «Wir werden die meisten Wale, Seehunde, Vögel und Fische verlieren und mit ihnen die Nahrung für mehr als eine Milliarde Menschen.» GOES hat deshalb vor kurzem global Alarm geschlagen. Wenn nicht innert zehn Jahren entscheidende Schritte zur Entgiftung der Meere gelingen, schreibt die Stiftung, sei es zu spät. Sie appelliert an Organisationen und Menschen in allen Schichten, Plankton und die Vergiftung der Meere zum Thema zu machen und zumindest auf Plastik und Körperpflegeprodukte mit Oxybenzon oder Triclosan zu verzichten.
Gleichzeitig hat GOES ein Citizen-Science-Projekt lanciert. Die Gifte und der sich zu Nanopartikeln zersetzende Plastik landen früher oder später im Zooplankton und in den winzigen Ruderfusskrebschen (0,2 bis 2 mm). Mit den toxischen Rückständen in ihnen haben sich bis jetzt nur sehr wenige Forschungsschiffe befasst. Segler auf allen Ozeanen sammeln deshalb Proben, die von lizenzierten Laboratorien in aller Welt untersucht und von GOES ausgewertet werden. Die Daten sollen Grundlage einer öffentlichen und laufend aktualisierten Weltkarte über den Stand der chemischen Verschmutzung liefern. Das Projekt ist die Antwort von GOES auf die oft langwierigen und aufwändigen Wege des konventionellen Wissenschaftsbetriebs.
Was meint die offizielle Klimaforschung zur Behauptung, das Plankton und seine Vergiftung spiele eine entscheidende Rolle be der Klimaerwärmung? Für Urs Neu, stv. Geschäftsführer des «Forum for Climate and Global Change» der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften ist es «unbestritten, dass Phytoplankton eine wesentliche Rolle im globalen und vor allem marinen Kohlenstoffkreislauf spielt.» Allerdings sei der langfristige Rückgang wissenschaftlich umstritten. Ein allfälliger Rückgang des Phytoplanktons könne durchaus durch den Klimawandel verursacht sein, aber nicht umgekehrt. (Andy May, 15. März 2018: The phytoplankton decline, is there anything to it?)
Auch das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC) hat sich schon mit der Aktivierung des Phytoplanktons befasst und Versuche mit Eisendüngung gemacht, jedoch nur in einem Drittel der untersuchten Meere mit positiven Ergebnissen. Zudem, schreibt das IPPC in einem Bericht von 2007, werde ein Gewinn bei der CO2-Absorption wettgemacht durch die Freisetzung von CO2 bei der Gewinnung, dem Transport und der Verteilung des Eisens in entfernten Meeresgebieten.
Bei Greenpeace, einem wichtigen Akteur der Klimapolitik, hat man sich noch nicht mit der Bedeutung des Planktons für den Klimawandel befasst, wie Yves Zenger, Sprecher für den Schutz der Meere bei Greenpeace Schweiz im Gespräch erklärt. Er ist «kritisch betreffend der Aussage, wonach die Klimaerhitzung lediglich ein Plankton-Problem ist. Richtig ist: Das eine zu tun, heisst nicht, das andere zu lassen.» Um das globale Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erwärmung zu erreichen, müsse der Schutz der Meere ebenso vehement durchgesetzt werden wie der Schutz der Wälder. Dazu gehöre ein Verbot von korallenschädigenden Chemikalien in Sonnencremes, die grossflächige Errichtung von Meeresschutzgebieten, wo die Fischerei sowie der Abbau von Kohle, Öl und anderen Ressourcen verboten ist, sowie die Abkehr von Einweg-Verpackungen aus Plastik.
Ist das Phytoplankton nun Opfer, Retter oder bloss Zuschauer der Klimaerwärmung? Eine zuverlässige Antwort auf diese Huhn-Ei-Frage gibt es noch nicht. Sie wird aber nach Ansicht von Howard Dryden auch nicht mit Nachdruck erforscht, weil Klimatologen eben keine Meeresbiologen seien. Bis hieb- und stichfeste Wissenschaft als Begründung für einen wirksamen Schutz des Planktons vorhanden ist, könnte es bereits zu spät sein. Wenn wir sicher sein wollten, müssten wir schon jetzt konsequent dafür sorgen, dass keine Gifte für Plankton und Korallen in den Naturkreislauf gelangen. Dies sollte doch auch ohne vitale Bedrohung eine Selbstverständlichkeit sein.
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GOES Foundation: https://www.goesfoundation.com
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