«Weder aufbegehrend noch ernst» – meine Ernüchterung mit John Lennon
Als ich mich in die Welt verliebte – Chronik einer Leidenschaft #11
1969, im gleichen Jahr, als John Lennon den drei anderen Beatles verkündete, er werde die Band verlassen, erschien bereits wie ein Nachruf die Beatles-Biografie von Hunter Davies, die bis heute einzige, von ihnen selbst anerkannte Geschichte der «Faboulous Four». Sie brachte auch mich dazu, in meinem Popcorner auf die Erfolge der Beatles zurückzublicken und – diesmal ohne Besserwisserei – ihre Bedeutung zu würdigen.
Nachdem ich sie als «Begründer der Beat-Musik» und «tonangebendes Vorbild» hochgelobt hatte, kam ich auf die Charaktereigenschaften der vier zu sprechen. Ich stellte fest, dass keiner von ihnen wie der andere war – und begriff am Beispiel von John, Paul, George und Ringo, dass Menschen gerade durch ihre Verschiedenheit zusammen ein Ganzes bilden.
Mein psychologischer Gehversuch mündete in die Feststellung:
«John, der Aufbegehrende, Ernste
Paul, der Lebensfrohe, Ehrgeizige
George, der Stille, scheinbar Verträumte
und Ringo, der immer noch meist Übermütige!»
Wie sehr ich selber die Wesenszüge der vier in meinem eigenen Temperament vereinige, wird mir erst jetzt bewusst. Ich trage von jedem von ihnen ein Stück in mir – doch bin ich fast sicher, dass mir damals vor allem John imponierte, weil auch ich «aufbegehrend» und «ernst» sein wollte. Paul fand ich zu unbeschwert, George zu spirituell und Ringo zu simpel.
Gleichzeitig aber verfolgte ich ziemlich verständnislos, wie sich John mit der japanischen Konzeptkünstlerin Yoko Ono zusammentat. Viele Beatles-Fans empfanden die exzentrische Dame als eine Art Hexe, die John von den Beatles weglockte und verzauberte – und dasselbe fand bald auch ich. Schon in meiner nächsten Kolumne ging es wieder um ihn. Diesmal jedoch war ich entsetzt. Mein Respekt vor dem aufbegehrenden, ernsten Beatle verwandelte sich in jugendliche Verachtung.
Was war geschehen? John – während er noch Songs für die Band schrieb, Songs, die wir heute noch gerne hören – hatte zusammen mit Yoko unter dem Titel «Unfinished music» zwei sehr eigenwillige Alben veröffentlicht. Das erste war mir zum Glück entgangen, doch nun lag das zweite vor mir, und ich beschrieb es mit einem beissenden Spott, der nur aus Enttäuschung entstehen kann:
«Was sich die beiden mit diesem Album geleistet haben, ist wahrhaftig erzrevolutionär und weltbewegend, darum möchte ich euch den geistig hochstehenden Inhalt nicht vorenthalten: Die Seite 1 besteht aus einem schrillen Geschrei in verschiedenen Tonlagen, untermalt von psychedelischen Rhythmusklängen. Eine ganze LP-Seite lang. Ich war tief beeindruckt und wechselte möglichst rasch auf die Rückseite der Platte. Hoffnungsvoll lauschte ich zuerst Yoko Ono, die ein harmloses Liedchen ‹sang›. Schon wiegte ich mich in Sicherheit, als es plötzlich still wurde. Zwei Plattenminuten lang Totenstille.»
Man muss sich vergegenwärtigen: Ich sog die neue Musik wie einen Lebenssinn in mich auf, erwartete voller Vorfreude jedes neu erschienene Album, das die Post dem jungen Rezensenten nach Hause brachte – und was präsentierte mir der grosse John Lennon? Nonsens, der nicht einmal musikalisch genannt werden konnte, und als Höhepunkt der Sinnlosigkeit zwei vergeudete lange Minuten NICHTS. Das schluckte ich nicht.
Bei dem harmlosen Liedchen von Yoko auf Seite zwei handelte es sich um Zeitungsberichte, die sie mit kindlich falsch gesungenen Tönen zitierte. Und auf die zwei Minuten dauernde Stille folgte der Herzschlag eines ungeborenen Kindes. Ein kleines Herz schlagen zu hören, könnte rührend sein. Aber nicht fünf Minuten lang. Zuletzt ertönten Radiosendergeräusche, dilettantisch aufgezeichnet mit Johns Kassettenrecorder. zwölf Minuten lang.
Ich fühlte mich von John Lennon für dumm verkauft. Das verzieh der Fünfzehnjährige selbst einem der «Beatles» nicht. Vor allem aber erwies sich das experimentelle Werk als meine erste bewusste Erfahrung mit dem, was ich später als avantgardistische Kunst kennenlernte. Das Album zeigte mir, dass ich für solche Kunst nicht empfänglich war. Ich fand sie weder interessant noch originell, und ich ahnte damals bereits, was mich seither und bis heute begleitet hat: Dass Kunst für mich einen Sinn haben muss, damit sie Kunst ist. Und so schrieb ich zum Schluss, ernüchtert und spöttisch zugleich:
«Vergeblich suche ich nach einem Sinn dieses ‹musikalischen› Werkes. Vielleicht gibt es gar keinen. Doch in der Popmusik ist offenbar alles möglich. Auch, dass diese LP gekauft wird.» Als Wirtschaftsgymnasiast fügte ich trocken hinzu: «Eine LP übrigens, die wie alle anderen 19 Franken kostet.»
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Wenn ich heute auf das Jahr 1969 zurückblicke, stelle ich mit leichter Beschämung fest, dass nicht John und Yoko’s «Unfinished music» für Gesprächsstoff sorgte, sondern ihre Aktion für den Frieden. Vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs veranstaltete das illustre Paar in mehreren Städten sogenannte «Bed-in’s», wo sie in Hotelzimmerbetten gegen den Krieg demonstrierten und dabei auch die legendär gewordene Hymne «Give Peace a chance» aufnahmen. Warum schrieb ich darüber kein Wort?
Offenbar beschäftigte mich nur eins: Dass John Lennon die Beatles verlassen hatte. Seine Friedensaktion liess mich unberührt. Mein Blick auf die Welt war noch immer sehr subjektiv. Dennoch hat mir die Zeit im Nachhinein recht gegeben: John und Yoko’s avantgardistische Spielerei geriet noch im gleichen Jahr, in dem sie entstanden war, in Vergessenheit.
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John Lennon «Unfinished music»
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