In Südosteuropa steht die Glaubwürdigkeit der EU vor einer Zerreissprobe
Scholz-Besuch in Südosteuropa: 19 Jahre nach EU-Beitrittsversprechen für die Region ist immer noch kein echter Fortschritt zu verzeichnen. Bulgarien will, dass sich Nordmazedonien zum Bulgarentum bekennt.
Vor der Entscheidung der EU-Kommission über die Vergabe des EU-Beitrittskandidatenstatus an die Ukraine gerät der Beitrittsprozess in Südosteuropa immer weiter ins Stocken. Am Wochenende ist Kanzler Olaf Scholz mit seinem Versuch gescheitert, Bulgarien zur Aufgabe seines Vetos gegen die geplanten Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien aufzugeben.
Die bulgarische Regierung begründet ihr Veto mit völkischen Behauptungen, nach denen die Bevölkerung Nordmazedoniens Teil des „bulgarischen Volkes“ ohne eine wirkliche Eigenständigkeit sei; Skopje müsse seine Zugehörigkeit zum „Bulgarentum“ anerkennen.
Sofia hat ein „bulgarisches Kulturzentrum“ in der nordmazedonischen Stadt Bitola nach einem NS-Kollaborateur benannt, der den Kampf für seine großbulgarischen Zielsetzungen an der Seite NS-Deutschlands führte. Dass 19 Jahre nach dem förmlichen Beitrittsversprechen der EU nicht einmal die notwendigen Verhandlungen gestartet werden können, stößt in Nordmazedonien auf starken Unmut. Die EU müsse sich im Klaren sein, dass letzten Endes nicht Versprechungen, sondern Taten zählten, heißt es in Skopje. …
Der damalige bulgarische Verteidigungsminister Krassimir Karakatschanow [warb] im vergangenen Jahr mit einer Landkarte, auf der Nordmazedonien vollständig Bulgarien eingegliedert war. In einem Wahlkampfvideo trat Karakatschanows Parteikollege Angel Dschambaski von der damaligen Regierungspartei WMRO-BNB mit offenen Territorialforderungen hervor.
Dschambaski, der als Abgeordneter im Europaparlament sitzt, sorgte im Februar für einen Eklat, als er nach einer Rede im Parlament in Strasbourg den Hitlergruß zeigte. Die Forderung, Skopje müsse die Zugehörigkeit Nordmazedoniens zum „Bulgarentum“ offiziell anerkennen, genießt dabei weit über offen annexionistische, extrem rechte Spektren hinaus Sympathien, etwa in der Partei „Es gibt so ein Volk“ des Showstars Slawi Trifonow, die in der vergangenen Woche die Regierung verlassen und damit eine heftige Krise ausgelöst hat.
Bereits zuvor hatte die völkische Agitation der Regierung in Sofia gegen Nordmazedonien für heftige Spannungen gesorgt. Im April war in Bitola im Südwesten Nordmazedoniens ein „bulgarisches Kulturzentrum“ eröffnet worden, das den Namen von Iwan Michajlow trägt. Michajlow, ein großbulgarischer Nationalist, hatte im Verlauf seines Kampfes für die Abspaltung des heutigen Nordmazedoniens von Jugoslawien in den 1930er Jahren zunächst mit der kroatischen Ustaša, dann mit dem NS-Reich kollaboriert.…
Am 4. Juni kam es zu einem Brandanschlag auf das Kulturzentrum; die Eingangstür zu dem Gebäude verkohlte, doch konnte das Feuer offenbar vergleichsweise schnell gelöscht werden. Der mutmaßliche Täter, ein prominenter nordmazedonischer Sänger, soll sich mittlerweile zu dem Anschlag bekannt haben. Mit Verweis auf den Namensgeber treten Demonstranten mittlerweile für seine Freilassung ein.
German Foreign Policy: Die Glaubwürdigkeit der EU, 13. Juni 2022
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