Was ich mit meinem Film «The Fall» ausdrücken möchte

Charles Eisenstein´s Kurzfilm «The Fall» – der Fall – ist eine metaphysische Parabel, die aus seinen Ängsten während der Zeit des Covid entstanden ist. «Der Irrsinn rund um die Pandemie brachte die allgegenwärtige Falschheit der zivilisierten Welt auf den Punkt und liess mich fragen: Was zum Teufel mache ich hier? Wer hat mich auf dem Planeten Crazy ausgesetzt?» Der Film gibt die Antwort auf diese Frage.

Szene aus dem Kurzfilm «The Fall»

Es ist dasselbe Gefühl, das so viele Menschen heute zögern lässt, Kinder zu bekommen. Warum sollte man ein Kind in eine solche Welt setzen?

Nun, so wird es eben gemacht – hier im sechsten oder siebten Kreis der Hölle.

Der Irrsinn und das unnötige höllische Leid dieser Welt sind so sehr zur Normalität geworden, dass wir es entweder kaum noch wahrnehmen oder als selbstverständlich hinnehmen, dass es einfach so ist, wie es ist. Wenn man sich dessen bewusst wird, erscheint es einem so monströs, so unvorstellbar, so unerträglich, dass man nicht verstehen kann, wie andere es so bereitwillig als normal akzeptieren. Das Ergebnis ist ein tiefes Gefühl der Entfremdung.

In den letzten ein oder zwei Jahren habe ich mir angewöhnt, wenn mir jemand einen Aspekt der Ungerechtigkeit oder des Irrsinns in der Welt vor Augen führt, zu sagen: «Nun, so wird es eben gemacht – hier im sechsten oder siebten Kreis der Hölle.» 

Das Thema könnte ein regelrechter Horror sein, wie die «Babyfabriken» in Nigeria, wo Teenager-Mädchen, in der Regel geistig behindert, eingesperrt und wiederholt vergewaltigt werden, um Babys zu machen, die dann an Menschenhändler verkauft oder zur Organentnahme zerstückelt werden.

Oder es könnte ein gedämpfteres Unrecht sein: Kinder, die süchtig nach ihren Bildschirmen sind... die 90-prozentige Kaiserschnittrate mancherorts... die Zerstörung von Lebensmitteln und Böden... die allgegenwärtige Hässlichkeit der modernen, menschengemachten Umwelt... die Verlogenheit politischer Reden.... das Einsperren des überbordenden Lebens in die Kisten der Moderne. 

Genau so wird es hier gemacht. Innerhalb von zwei Generationen ist der «Aktionsradius» amerikanischer Kinder, in dem sie sich relativ ungefährdet frei bewegen können, von drei Meilen auf ein paar Meter gesunken. Trotzdem kann ich nicht sagen, dass das Leben schlechter ist als zu Zeiten der Sklaverei, der Hexenverbrennung, des Fussbindens oder der öffentlichen Folter. Es ist nur schwer zu sagen, dass es besser ist.

Daher meine resignierte Bemerkung über den sechsten oder siebten (ich kann mich nicht entscheiden, welchen) Kreis der Hölle.

Auch wenn sich der Ort des Leidens im Laufe der Zeitalter ändert, so ändert sich doch kaum etwas an seinem Umfang oder seiner Intensität. Nichtsdestotrotz hegen viele von uns – und in gewisser Weise sogar wir alle – die geheime Erkenntnis, dass es tatsächlich einen Ausweg aus dem scheinbar unabänderlichen «menschlichen Zustand» gibt. Nicht einen Weg, sie zu überwinden, sondern einen Weg, sie zu verändern, wie hoffnungslos sie auch erscheinen mag. Und dass jeder von uns bei dieser Transformation eine Rolle zu spielen hat.

Die Antwort auf die Frage «Wer hat mich auf dem Planeten Crazy ausgesetzt?» lautet: «Ich.»

In dem Film reisen weise und kluge Menschen von weit her an, um ein beunruhigendes Schauspiel zu sehen, eine Grube, die sich in der Erde aufgetan hat. Es ist tatsächlich der Höllenschlund. Sie versammeln sich um die Grube, halten sich an den Händen und blicken in sie hinein. 

Was sie sehen, entsetzt sie mehr, als sie sich vorstellen können. Nichts in ihrer unmittelbaren Erfahrung hat je darauf hingedeutet, dass ein solches Elend existieren könnte. Was sie sehen, erkennen wir als Szenen von dieser Erde. 

Die Menschen um die Grube reichen sich solidarisch die Hände. Sie sehen einander an. Sie verstehen, was sie tun müssen. Sie nicken zustimmend, im gemeinsamen Verständnis. Ihre entsetzten, schockierten, tränenüberströmten Gesichter entspannen sich zu einer heiteren Entschlossenheit. Sie sind Engel, die Liebe, Frieden und Heilung in den Schlund der Hölle tragen.

Sie stürzen in den Schlund, lassen die Hände des anderen los und lassen die schöne Welt los, die sie verlassen, damit sie in diese Welt hineingeboren werden können.

In dieser Geschichte wird die religiöse Vorstellung vom Sündenfall neu interpretiert. Es geht nicht darum, dass wir uns gegen Gott aufgelehnt haben und deshalb aus dem Himmel gestürzt sind. Es geht nicht darum, dass wir zur Strafe hier sind, um unsere angesammelten karmischen Sünden abzuarbeiten. Es ist auch nicht so, dass das Böse das Universum erobert und einen Bereich nach dem anderen auf der Erde und darüber hinaus verdirbt. Wir sind absichtlich hier, und wir sind mit einem Ziel hier.

Die Antwort auf die Frage «Wer hat mich auf dem Planeten Crazy ausgesetzt?» lautet: «Ich.»

Aber wir sind hier nicht wirklich gestrandet. Vielleicht spüren Sie noch die Berührung Ihrer Kameraden auf Ihren Handflächen, bevor Sie den Sturz auf sich nahmen. Sie können vor Ihrem geistigen Auge durch die Schleier der Hölle blicken und mehr von den Leuchtenden sehen, die sich am Rande der Grube versammelt haben, die die Aufgabe verstehen, die Sie übernommen haben, die auf Ihre Fähigkeit vertrauen, sie zu erfüllen, und die auf Ihre Rückkehr warten.

Die Verwandlung der Hölle bedeutet nicht die Beseitigung aller Schmerzen, des Hungers, der Gewalt oder des Leidens. Ebenso wie die Hölle selbst – zumindest dieser Kreis — nicht ohne Vergnügen, Freude und Schönheit ist. 

Hölle und Himmel durchdringen sich gegenseitig, um Mittelerde zu schaffen. Das Geflecht der Schöpfung ist grossartig und geheimnisvoll, und ein Film wie der meine kann ihm nicht gerecht werden. Obwohl es sich um ein Gleichnis handelt, liegt die Wahrheit nicht in seiner Interpretation. Sie liegt im Gewebe: in der Musik, in den Bildern, in der Geschichte. 

Wenn man es wörtlich nimmt, könnte man annehmen, dass einige wenige von uns als Retter hier sind, um die gottlosen Massen aus der Hölle zu retten. Dem ist nicht so. Die gefallenen Engel inkarnieren sich nicht als einige Menschen und nicht als andere. Sie inkarnieren nicht nur «als», sondern auch «in» jedem Einzelnen von uns. Sie tragen in sich eine Erinnerung an den Sündenfall des Mitgefühls. Ich danke Ihnen, dass Sie sich mir hier anschliessen.

Ich möchte meinem Kurzfilm The Fall eine weitere Bedeutungsdimension hinzufügen: Die Entscheidung, die er darstellt, ist nicht nur eine Entscheidung, die vor dem Eintritt ins Leben getroffen wird. Es ist eine fortwährende Entscheidung, Tag für Tag, Moment für Moment, darüber, wie man sich mit der Welt auseinandersetzt.

Ich muss gestehen, dass ich diesen Film eigentlich nicht für Sie gemacht habe. Ich habe ihn für mich gemacht.

Eine Möglichkeit, sich zu engagieren (oder vielmehr, sich nicht zu engagieren), besteht darin, in einem vorübergehenden Komfortbereich zu bleiben, den man mit Ablenkungen, Unterhaltung und Süchten erreichen kann. Doch nichts davon kann von Dauer sein, und selbst die erhabensten Erfahrungen wie das Eintauchen in die Natur oder das Liebesspiel können nicht über ihren richtigen Zeitraum hinaus verlängert werden. 

Irgendwann wird uns bewusst, dass wir uns am Rande eines Abgrunds befinden, dass direkt unter uns, nur eine Aufmerksamkeitsverschiebung entfernt, eine Welt liegt, die um unseren Dienst bittet. Sich auszuruhen, aufzutanken, ist wichtig, um diesen Dienst gut zu leisten. Aber wenn die Batterien voll sind, ergreift die Unruhe auch den Trägesten von uns. Die Entscheidung, sich dauerhaft von der Welt abzukoppeln, um in ihren angenehmen Gefilden zu verweilen, ist also vergeblich.

Eine zweite Möglichkeit, sich zu engagieren, besteht darin, mit schwerem Pflichtbewusstsein einen Widerwillen zu überwinden, der eine subtile Abneigung gegen die niederen Bereiche in sich trägt. Sie entspringt einem falschen Gefühl der Überlegenheit und führt auch zu einer Einseitigkeit des Engagements. Man bleibt halb drinnen, halb draussen und lässt sich nie ganz auf die Verkörperung ein.

Der Film schildert eine dritte Möglichkeit. Die leuchtenden Wesen stürzen sich in die Grube – ganz hinein. Und sie tun es in Frieden, in Freude, in Gelassenheit. Sie bemitleiden sich nicht selbst, während sie den Sprung wagen. Sie erfüllen ihre Aufgabe mit Freude.

Ich muss gestehen, dass ich diesen Film eigentlich nicht für Sie gemacht habe. Ich habe ihn für mich gemacht. Ich bin derjenige, der sich so oft aus dem Leben zurückgezogen hat, der zögert und immer ein wenig über den Dingen steht. Ich bin derjenige, der das Leben oft freudlos und mit einem zu grossen Pflichtgefühl angeht. Ich bin derjenige, der die Menschen manchmal mit leeren Augen sieht, blind für die Wahrheit, dass sie auf derselben Mission sind wie ich.

Wenn ich mich tiefer in den «Kampf» einer politischen Kampagne einmische, hoffe ich, dies so zu tun wie die Menschen im Film – voll und ganz, aber nicht als Kämpfer, um nicht zu einer Kreatur der Grube zu werden. 

Ich werde mir diesen Film von Zeit zu Zeit ansehen, um mir zu helfen, gelassen zu bleiben in dem Wissen, wofür ich und alle anderen wirklich hier sind. Möge dieser Film Ihnen helfen, so wie er mir geholfen hat, mit grosszügigen Augen zu sehen und mit grosszügigen Worten zu sprechen, die das Gesehene in die Manifestation bringen.

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Übersetzt von Christa Dregger