In 100 Jahren …
… werden in unseren ach so gepflegten Gärten andere Kinder spielen und andere Katzen scheissen. Kolumne von Anton Brüschweiler.
Wir Menschen haben zum Teil äusserst seltsame und vor allem irrationale Eigenschaften. Eine davon besteht darin, dass wir uns selbst und die momentane Lebenssituation komplett überschätzen.
Wir fühlen und verhalten uns, als würden wir ewig existieren. Zudem geben wir uns der Illusion hin, dass wir von Bedeutung sind, dass sich die Welt für uns interessiert. Alles, was in unserem Leben geschieht, unsere ganzen Lebensumstände, werten wir unglaublich stark. Es ist uns wahnsinnig wichtig, was wir besitzen, welche berufliche Stellung wir innehaben, wie wir auf andere wirken, wie wir aussehen, was für Beziehungen zu anderen wir haben. Alle materiellen Güter verteidigt unser Ego, als gäbe es kein Morgen. Wir verehren und pflegen unsere Autos und unsere Fahrräder, unsere Häuser und Gärten, unsere Familien. Wir verteidigen unseren Besitz so gut wir können. Wir versichern unser Hab und Gut und geben uns der Illusion hin, dass wir ewig besitzen können. All dies beweist unsere Kurzsichtigkeit!
Mit einer einfachen, aber umso wirksameren Übung lässt sich diese Kurzsichtigkeit überwinden: Wir sollten uns einfach ab und zu überlegen, wie die Welt in Bezug auf uns – in 100 Jahren aussieht. Unsere ach so wertvollen Autos und Fahrräder werden längst auf einem Schrottplatz gelandet sein und im besten Fall recycelt in einem anderen Gerät wiederverwendet werden.
In unseren ach so geliebten und gepflegten Gärten werden andere Kinder spielen und andere Katzen scheissen. Und falls unsere Häuser überhaupt noch stehen, werden längst andere, uns komplett fremde Menschen unsere geliebten Räume bewohnen. Unsere Ansichten und Meinungen, unsere Arbeit, alles, was wir geleistet haben, wird absolut niemanden mehr interessieren. Ja es wird sich schlicht und ergreifend niemand mehr an uns erinnern.
Analog wie man auf dem Laptop mit der Return-Taste eine überflüssige Datei löscht, wird auch unsere gesamte Existenz aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht sein.
Diese Tatsache wirkt auf mich äusserst beruhigend. Es relativiert mein ganzes Leben, es wird mir bewusst, wie idiotisch wichtig wir uns alle nehmen, wie lächerlich ernst wir oft völlig vergängliche Situationen einstufen. Ich finde, die menschliche Vergänglichkeit hat etwas unglaublich Tröstliches. Und einmal mehr wird mir bewusst: Das Einzige, was wirklich zählt, ist das Hier und Jetzt.
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