Diktatur im Namen der Gesundheit?

Mit Angst regiert es sich leichter. Krisen ermöglichen es dem Staat, sich selbst als „hart durchgreifende“ Ordnungsmacht zu positionieren. Dies ist in gesundheitlichen Krisen nicht anders. Bei Schweinegrippe und Vogelgrippe haben wird gesehen, dass es aus nichtigem Anlass zu absurden Auswüchsen eines staatlichen Interventionismus kommen kann. (Roland Rottenfußer)

Es klingt wie ein Alptraum oder wie eine der düsteren Fantasien George Orwells. Aber es ist bzw war Realität: im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Damals wütete in weiten Teilen des Landes die Pest. Das Reglement für den „medizinischen Notfall“ sah eine Reihe von drastischen Maßnahmen vor: Die Stadttore wurden geschlossen, das Verlassen des Stadtgebiets wurde mir dem Tod bestraft. Herumlaufende Tiere wurden wahllos getötet. Die Stadt wurde in verschieden Viertel und Parzellen eingeteilt. Für jedes Viertel war ein „Intendant“, für jede Straße ein „Syndikus“ eingeteilt. Diese führten über das ihnen unterstellte Gebiet ein strenges Regiment. An den gefährlichen Tagen musste jeder Einwohner in seinem Haus bleiben, auf Zuwiderhandlung stand die Todesstrafe. Überall patrouillierten Soldaten. Die Leichen wurden von Personen „geringen Standes“ entsorgt. Jedes Haus wurde vom Syndikus eigenhändig von außen abgesperrt. Jeden Tag klopfte der „Blockwart“ ans Fenster jedes Hauses, rief jeden Einwohner beim Namen und fragte nach dessen Befinden. Konnte jemand nicht antworten, bestand der Verdacht auf Pesterkrankung.



Michel Foucault, der große französische Philosoph, beschreibt die totale Kontrolle in Pestzeiten in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ sehr drastisch: „Der Raum erstarrt zu einem Netz von undurchlässigen Zellen. Jeder ist an seinen Platz gebunden. Wer sich rührt, riskiert sein Leben: Ansteckung oder Bestrafung.“ Das Interessante an diesem Beispiel ist: Foucault wollte mit seinem Buch keine Geschichte des Gesundheitswesens schreiben, sondern aufzeigen, mit welchen Mitteln der Staat seine Bürger seit Jahrhunderten überwacht hat. Staatliche Macht, so Foucaults Grundthese, besitzt die natürliche Neigung, sich selbst zu bewahren, zu wachsen und sich an der Masse der Wehrlosen zu erproben. Und zwar unabhängig davon, ob ein tatsächlicher Bedarf oder Notfall besteht. In der verpesteten Stadt im 17. Jahrhundert, so der Autor, wurde ein lange gehegter politischer Traum realisiert: „das Eindringen des Reglements bis in die feinsten Details der Existenz vermittels einer Hierarchie, welche das Funktionieren der Macht bis in ihre letzten Verzweigungen sicherstellt.“ Anders ausgedrückt: „die Utopie der vollkommen regierten Stadt/Gesellschaft“. – aus der Perspektive der Macht.



Utopie der totalen Kontrolle



Foucaults Bild einer „überwachenden und strafenden“ Macht ist natürlich eine Verallgemeinerung. Es gibt genau genommen nicht „die Macht“, sondern nur einzelne Mächtige, die sie mit unterschiedlicher Strenge oder menschlicher Integrität ausüben. Will man Ereignisse in der Politik – auch in jüngster Zeit – angemessen beurteilen, ist es aber hilfreich, die Annahme des Philosophen als „Arbeitshypothese“ stets parat zu haben. Betrachten wir aktuelle Ereignisse einmal aus diesem Blickwinkel, so werden manche Rätsel der Gegenwart ein Stück erhellt.



Die Pest in vergangenen Jahrhunderten war – nach heutigem Sprachgebrauch – eine „Pandemie“. Die Pest gilt heute als besiegt, medial aufgebauschte Warnungen vor tödlichen Grippeviren haben jedoch gerade in den letzten Jahren epidemische Ausmaße angenommen. Eine Ausgangssperre und lückenlose Kontrolle wie im 17. Jahrhundert gab es nirgendwo. Betrachten wir aber z.B. die Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der so genannten Vogelgrippe 2006 ergriffen wurden:



-         Eine allgemeine Stallpflicht für Hühner, die von Tierschützern zu Recht als „millionenfache Tierquälerei“ verurteilt wurde.


-         Millionen getöteter und teilweise lebendig verbrannter Vögel.


-         Strafen für Menschen, die sich diesen Maßnahmen widersetzten.


-         Katastrophenalarm an der Ostsee, z.B. auf Rügen: Bundeswehrsoldaten rückten mit schwerem Gerät an und suchte die Küsten nach verendeten Vögeln ab. Regionen wurden zu Sperrgebieten erklärt


-         Indirekt erfolgte eine weitgehende Gleichschaltung der Presse, die teilweise natürlich aus finanziellem Eigeninteresse handelte, weil Panik und Katastrophen gute Auflagen bringen.


-         Für den Impfstoff Tamilflu wurden Beträge in dreistelliger Millionenhöhe aus Steuergeldern aufgewendet. Eigentlich also eine Enteignung der Steuerzahler und eine Umverteilung zugunsten des Tamilflu-Lizensinhabers Gilead.


-         Im Zusammenhang mit der Vogelgrippe und unlängst der Schweinegrippe wurde immer wieder auch die Zwangsimpfung ins Spiel gebracht.



Der Staat trainiert den „Repressionsmuskel“



Viel Aufwand, bedenkt man, dass die Zahl der menschlichen Todesopfer der Vogelgrippe kaum mehr als 200 Personen (weltweit bis Ende 2007) betragen dürfte. Schlimm genug für die Betreffenden, aber im Vergleich zu den jährlichen Opferzahlen bei „normalen“ Grippen lächerlich wenig. Selbstverständlich müssen all diese Ereignisse – von SARS über die Vogel- bis zur Schweinegrippe – auch unter Profitgesichtspunkten gedeutet werden. Betrachtet man sie aber – in Anlehnung an Foucault – unter dem Gesichtspunkt der Ausweitung staatlicher Machtbefugnissen, so kommt man zu interessanten Schlussfolgerungen: Mit solchen bisher relativ harmlosen Maßnahmen trainiert der Staat gleichsam seinen „Repressionsmuskel“. Er zeigt sich als handlungsfähig, drängt sich als befehlende, verbietende oder erlaubende Instanz in den Vordergrund und erprobt Verhaltensabläufe im Fall „nationaler Notstände“. Zudem schürt er in der Bevölkerung eine Grundangst, um sich zugleich selbst Beschützer zu positionieren.



Der bekannte SZ-Journalist Heribert Prantl verglich in einem Beitrag ebenfalls die Pest im 17. Jahrhundert mit Vorfällen aus der unmittelbaren Gegenwart: „Was verbindet die Pest mit der Vogelgrippe? Was verbindet die Pest mit dem Terrorismus? Es ist die Angst – Angst, die dazu führt, dass geglaubt wird, es sei nur mit scharfem, nur mit noch schärferem Durchgreifen, nur mit noch schärferen Gesetzen, nur mit noch schärferen Methoden ‚Heil und Sicherheit’ zu finden.“ Man könnte den Umgang von Politik und Medien mit den diversen Pseudo-Pandemien der letzten Jahre auch als „Schock-Strategie“ im Sinne des gleichnamigen Buches von Naomi Klein interpretieren. Die Autorin weist in ihrem Polit-Bestseller detailliert nach, wie Regierungen mit Schock und Schrecken „Reformen“ durchsetzen, die in einem demokratischen System unter anderen Umständen kaum vermittelbar wären. „Die Idee ist, dass diese Krisen, diese Katastrophen, diese Schocks ganze Gesellschaften weich klopfen.“



Die Schock-Strategie



Naomi Klein nennt als Beispiele den Hurricane „Katrina“, den Tsunami 2004, den 11. September 2001 oder den Irak-Krieg. Von diesen „Schocks“ sind zumindest die ersten zwei mutmaßlich nicht von Menschen gemacht. Erschreckend ist aber immer wieder, zu beobachten, wie dünn die Decke der Zivilisation ist, wenn es zu einer tatsächlichen oder gefühlten Notsituation kommt. „Plünderer werden erschossen“ hieß die Parole etwas in New Orleans, während der Hurricane-Katastrophe. Menschenrechte sind auch in westlichen Demokratien de facto keine Naturrechte (also Rechte, die den Menschen seiner Natur nach zukommen), sondern vom Staat auf Zeit und unter günstigen Bedingungen „gewährte“ Rechte. Hat man gerade eine außergewöhnlich lange Periode des Friedens und der geltenden Bürgerrechte erlebt, so vergisst man das leicht. Verfassungen nämlich, die die Aufhebung elementarer Rechte unter bestimmten Umständen erlauben, unterlaufen den Naturrechtsbegriff und machen Menschenrecht zur Verfügungsmasse für Machthaber, die deren Gültigkeitsbereich je nach „Gefahrenlage“ einschränken können. Auch die deutsche Verfassung ist in dieser Hinsicht leider nicht „sauber“, siehe § 19 GG.  



Zu den wesentlichen „Einfallstoren“ für die Feinde der Freiheit gehört neben der Furcht vor Terrorismus vor allem der durch Pandemien ausgelöste Notstand. Wie wir am Beispiel der Vogel- und Schweinegrippe gesehen haben, muss es sich dabei keineswegs um einen realen Notstand handelt. Die WHO hat im Mai 2009 eigens die Definition von „Pandemie“ geändert, um die Schweinegrippe zu einer solchen erklären zu können. Sie strich kurzerhand das Kriterium „hohe Sterblichkeit“. Gerade die Sterblichkeitsrate war aber bisher eine relativ objektiv messbare Größe, um die Gefährlichkeit von Seuchen einzuschätzen. Fällt das Kriterium „Sterblichkeit“ weg, so sind Manipulationen Tür und Tor geöffnet. Ähnlich wie in der Terrorismusbekämpfung bestimmten nicht mehr nur Fakten, sondern eine diffus gefühlte „Bedrohungslage“ die Gesetze des Handelns. Und welche „Sicherheitsbehörde“ würde freiwillig ihre eigene Entbehrlichkeit eingestehen, indem sie eine Bedrohung als gering einstuft?



Einschränkungen der Bürgerrechten



Man kann Geschichten wie die „Schweinegrippenpanik“ des Jahrs 2009 leicht als skurrile Presseente abtun. Tatsächlich wird es aber, wo mit dem Begriff „Pandemie“ gezündelt wird, gefährlich für die Demokratie. Es ist zu wenig bekannt, dass die Gesundheitsbehörden im Krisenfall umfassende Befugnisse erhalten – teilweise verbunden mit der Aufhebung von elementaren Bürgerrechten. Gemäß Infektionsschutzgesetz IfSG können verschiedenen Grundrechte bei schwerwiegender Seuchengefahr vorübergehend aufgehoben werden: so das Grundrecht der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Versammlungsfreiheit und der Unverletzlichkeit der Wohnung. Laut § 20 (6) kann das Bundesministerium für Gesundheit anordnen, „dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinischschweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“



Und im internationalen Rahmen? Artikel 21 der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation ermächtigt den Generalsekretär der WHO eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ festzustellen. (Und was ist heute nicht international?) Er kann konkrete Maßnahmen „empfehlen“, wozu Reiseeinschränkungen, Quarantänen und Zwangsimpfungen gehören. Wie eine Zwangsimpfung konkret aussehen könnte, das haben die Gesundheits- und Sicherheitsbehörden in der Schweiz einmal theoretisch durchgespielt. Aufgrund der Melderegister werden alle Bürger angeschrieben und  erhalten einen Bescheid, wann und wo sie zur Impfung zu erscheinen haben. Ausreden und Ausnahmen werden nicht geduldet. Wer sich weigert, wird von der Polizei unter Zwang zuhause abgeholt und vorgeführt. Ein solches Vorgehen ist nicht nur unter grundsätzlichen bürgerrechtlichen Aspekte bedenklich, es ist auch gefährlich, bedenkt man, dass die langfristigen Nebenwirkungen der Impfstoffe – gerade bei „Schnellschuss-Medikamenten“ anlässlich aktueller Mode-Epidemien – noch gar nicht erforscht sind.



Geheime Szenarios für den „Notstand“



Zustände wie in den Pest-Städten des 17. Jahrhunderts sind zwar nirgends eingetreten, zu überschießenden Reaktionen der Staatsorgane kam es jedoch in einigen Staaten:


–        Yes, we can-Strahlemann Barack Obama konnte 2009 vor allem eines: den Notstand wegen der Schweinegrippe-Epidemie ausrufen. Hier sollte nun bei allen, denen die Freiheit lieb ist, wirklich die Panik ausbrechen. Zwar kam es nicht zu den vielfach befürchteten Notstands-Maßnahmen – Beschlagnahmungen, willkürliche Verhaftungen oder gar Einsperrung in zivile Arbeitslager – aber es ist erschreckend, wie leicht der Kampfbegriff „Notstand“ in den USA ins Spiel kommen kann.


–        In Frankreich kursierte im Herbst 2009 ein Geheimpapier über Maßnahmen der Regierungen im Fall einer Pandemie. Dazu gehörten der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Gerichtsverhandlungen. Festgenommene sollten ihren Anwalt erst nach 24 Stunden Haft sprechen können. Ein Richter sollte die U-Haft ohne Verhandlung von 3 auf 6 Monate verlängern können. Das Justizministerium redete sich heraus, dass es sich nur um ein „Arbeitspapier“ gehandelt habe.


–        Das U.S. General Accountability Office (entspricht ungefähr dem Bundesrechnungshof) schlug im November 2009 vor, im Fall einer Pandemie stark besuchte Seiten im Internet zu sperren und jeweils abwechselnd einen Teil der Internetnutzer vom Zugang auszusperren. Begründung: Wenn es viele Kranke gäbe, die zuhause blieben, könnte das Internet zusammenbrechen.



Schweinegrippen-Panikorchester



Epidemien und Seuchen sind seit Jahrhunderten gefürchtet als Zeiten, in denen die Grenzen des Anstands fallen und „Chaos“ losbricht. Wahrscheinlicher ist aber, dass das Gegenteil geschehen würde: Staatliche Regulierungswut und die Entfesselung latent vorhandener diktatorischer Neigungen würden ausbrechen. Im Zusammenhang mit anderen „postdemokratischen“ und posthumanen Erscheinungsformen wie Lissabon-Vertrag, Online-Überwachung und dem Comeback der Folter sind das höchst bedenkliche Entwicklungen.



Was hilft, sind vor allem Aufklärung und Wachsamkeit. Selbst fortgeschrittenen Verdummungsapparat aus Presse, Wirtschaft und Politik wird es schwer fallen, dem Publikum die nächste „Tiergrippe“ als weltbewegende Katastrophe zu verkaufen. Zu sehr haben sich das Schweinegrippen-Panikorchester und seine Dirigenten aus der Pharmaindustrie blamiert. Die Grippe nämlich weigerte sich hartnäckig, richtig auszubrechen, geschweige denn zu einem Völker mordenden Monstrum zu mutieren. Noch immer gilt, was Albert Camus in seinem Roman „Die Pest“ schrieb: „Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit“.


29. März 2010
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