Hat das Uni-Debakel in Bern politische Gründe?

Statt Personen zu entlassen, die sich offenbar inadäquat verhalten haben, schliesst die Universität Bern das Nahost-Institut und will die Islamwissenschaften auf andere Fächer verteilen. Die Gründe scheinen trotz eines ausführlichen Untersuchungsberichts nicht wirklich schlüssig.

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Als die Universität Bern Anfang Februar bekanntgab, das «Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften» aufzulösen, sorgte dies für erstaunlich wenig kritische Nachfragen. Die Medien beschränkten sich darauf, aus der Pressekonferenz und aus dem Bericht der Administrativuntersuchung zu zitieren, die die Universitätsleitung letzten Oktober in Auftrag gegeben hatte. Tatsächlich wird das Ergebnis dieser Untersuchung, in deren Rahmen «protokollierte Gespräche» mit 28 Instituts-Mitarbeitenden und Studierende stattfanden, als Grundlage für den doch sehr überraschenden Entscheid bezeichnet.

Überraschend – denn ausgelöst wurde die ganze Krise durch den indiskutablen Twitter-Post eines Dozenten, der den Hamas-Angriff vom 7. Oktober als «bestes Geburtstagsgeschenk» feierte. Darauf wurde schnell und konsequent reagiert, und zwar mit einer fristlosen Entlassung. Doch dann kam die berechtigte Frage auf, warum die Institutsleiterin – die gleichzeitig die Ehefrau des betreffenden Dozenten ist – den Tweet nur als «inopportun» bezeichnete und sich nicht wirklich davon distanzierte.

Und kaum begann man etwas tiefer zu graben, kam aus, dass an diesem Institut offenbar schon seit einem Jahr ein heftiger Konflikt schwelte. Dass sich Mitarbeitende und Studierende in zwei Gruppen gespalten hatten und eine Atmosphäre «tiefen menschlichen Unbehagens» herrschte. Es sei soweit gegangen, dass man sich nicht mehr traute, andere Meinungen zu Studieninhalten zu äussern. Die Universitätsleitung wusste laut eigenen Angaben nichts von alldem und erfuhr erst von der desolaten Situation, als die Kontroverse durch den jenseitigen Tweet eskalierte.

Die Kritik an der Leiterin des Instituts drehte sich aber – zumindest im Bericht der Administrativuntersuchung – nicht in erster Linie um ihre politische Haltung, sondern um ihre Personalentscheidungen sowie um ihre offenbar fehlenden Führungsqualitäten. Es heisst, sie hätte bei Stellenbesetzungen vor allem Personen aus ihrem «Netzwerk» angestellt. Dies habe dazu geführt, dass das Institut zu einer «Bubble» wurde. Dies ist nicht nur deshalb heikel, weil sich daraus Abhängigkeiten ergeben, sondern auch, weil die Vielfalt in Lehre und Forschung nicht mehr gegeben ist. Auch dies streicht der Bericht hervor.

Doch wäre der logischste Schritt in so einem Fall nicht, die umstrittene Institutsleiterin abzusetzen? Warum in aller Welt wird ein ganzes Institut aufgelöst, während die Angestellte, die offenbar so viel falsch gemacht hat, bloss abgemahnt wird, aber weiterhin in der Fakultät arbeiten soll?

Wir sprechen von der Auflösung eines Instituts, das es seit 1907 gibt und das seither viele strukturelle sowie inhaltliche Veränderungen durchlebt hat. Universitäts-Rektor Christian Leumann spricht zwar davon, dass «an den Inhalten, an denen am Institut geforscht worden sei, auch in Zukunft geforscht würde» – nur eben, nicht mehr an einem «Nahost-Institut», sondern eingebettet in andere Studiengänge. «Das Institut soll in einen grösseren wissenschaftlichen und methodischen Kontext mit weiteren Fachbereichen eingebettet werden», heisst das auf Akademisch.

Oder wie der Untersuchungsbericht vorschlägt: «Eine Verzahnung der lslamwissenschaft mit kulturwissenschaftlichen Fächern, die methodologisch kompatibel sind. Oder ein interdisziplinäres Studienangebot aus lslamwissenschaft, Religionswissenschaft und Sozialanthropologie, die ähnliche Themen untersuchen.» Bis Ende Juni soll die philosophisch-historische Fakultät einen Vorschlag vorlegen, wie die «Neuausrichtung des Fachbereichs» konkret aussehen soll.

Als Argument für diese Aufteilung – oder besser gesagt Zersplitterung – der Islamwissenschaften führt der Untersuchungsbericht die Vorteile der «Aufhebung von alten, oft nicht mehr dem Forschungsstand entsprechenden fachlichen Trennungslinien und die Schaffung von neuen, vielfältigeren Einheiten an» – wobei nicht erklärt wird, warum diese alten Trennungslinien genau jetzt und genau im Bereich Islamwissenschaften in Frage gestellt werden.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Andeutung, dass Professoren und Dozenten besser kontrollierbar sind, wenn man sie in grössere Strukturen einbindet: «Die Probleme am Institut wären nie aufgetreten, wenn es sich um eine Einheit mit mehreren Professuren in dialektischem Austausch gehandelt hätte.» Ausserdem bestätigte die Universität auf Nachfrage, dass die Neuausrichtung des Studiengangs auch mit einer Überprüfung und allfälligen Anpassung der Inhalte einherginge.

Und hier kommen wir zum springenden Punkt: Im Grunde geht es wohl nicht um neue «Strukturen» oder um eine neue, dem Zeitgeist angepasste, fächerübergreifende Organisation der Studienrichtungen. Es geht um die politische Haltung, die offenbar der Grossteil der Dozenten des «Institutes für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften» an den Tag gelegt hatten, seit die nun abgesetzte Institutsleiterin ihr Amt antrat. Besser gesagt: Es geht darum, dass sie überhaupt eine politische Haltung hatten.

«Advocacy [also Parteiergreifen, Solidaritätsbekundungen] und politische Stellungnahmen haben an der Universität Bern keinen Platz», so Rektor Christian Leumann in einer Medienmitteilung. Dabei sei die «Trennung zwischen persönlicher Meinung und wissenschaftlicher Freiheit eine Art Gratwanderung, die nicht nur in Bern ein Thema ist, sondern an Universitäten weltweit». Vielleicht sollte dies eine Grundsatzdiskussion auslösen: Muss die Akademie apolitisch sein? Soll und darf sie das überhaupt? Eine wissenschaftliche Bubble, die mit dem realen Leben nichts zu tun hat, auch wenn sie sich andauernd mit Themen auseinandersetzt, die sehr real sind – zum Beispiel Kriegen? Und: Ist die historische Einordnung eines Konflikts, die erklärt, wie es zu diesem gekommen ist a) eine wissenschaftliche Analyse oder b) bereits ein politisches Statement?

Denn genau dies wird verschiedenen Dozenten des Nahost-Instituts offenbar angekreidet: Dass sie darauf hingewiesen haben, dass der Hamas-Angriff das Ergebnis der jahrelangen militärischen Besetzung Palästinas durch Israel war. Wohlgemerkt ohne den Angriff gutzuheissen – im Gegenteil. Sie wiesen explizit darauf hin, dass sie jede Gewaltausübung verurteilen, genauso wie den Tweet des entlassenen Dozenten.

Der Punkt ist, dass wir uns hier thematisch in einem explosiven politischen Kontext bewegen – und es ist stark davon auszugehen, dass sich die Uni Bern nicht exponieren möchte, wohlwissend, dass zurzeit jegliche Solidaritätsbekundung mit der palästinensischen Zivilbevölkerung (Achtung: Zivilbevölkerung, nicht Hamas), die seit Jahrzehnten unter der Gewaltausübung der israelischen Regierung (Achtung: Regierung, nicht Zivilbevölkerung oder Juden oder Israel als Ganzem) leidet, als untragbare antisemitische Äusserung betrachtet wird.

Zurück zum Untersuchungsbericht und zur Frage, wie es zur Entscheidung kam, ein ganzes Institut von einem Tag auf den andern aufzulösen. Im Bericht gab derjenige Teil der Mitarbeitenden und Studierenden, die die Zustände am Institut kritisierten, zu Protokoll, dass die Missstände ohne «eine Änderung der Personalkonstellation» nicht zu lösen seien. Was nichts anderes zum Ausdruck bringt als den Wunsch, die «Schlüsselfiguren» aus ihren Ämtern abzusetzen und neue Dozenten und Leitungspersonen einstellen. Die Gruppe, die hinter der Institutsleitung stand, hatte dagegen einen noch softeren Vorschlag: Es sei «ein «Heilungsprozess unter externer Leitung nötig» – womit wahrscheinlich eine Art Mediation gemeint ist.

Was bitte brachte also den Gutachter und später auch die Universitätsleitung zum drastischen Schritt, die Islamwissenschaften an der Uni Bern abzuschaffen? Denn ganz ehrlich: Wäre es der damaligen Ethikkommission etwa eingefallen, die FIFA aufzulösen, weil auskam, dass ihr Direktor Sepp Blatter korrupt war? Oder wäre es faktibel, einen Konzern Konkurs gehen zu lassen, weil der CEO Steuern hinterzogen hat? Hätte nicht – wie von den «Betroffenen» vorgeschlagen – ein Personalwechsel genügt, um das Institut wieder in ruhigere Fahrtwasser zu lotsen?

Ist die Angst, zum Thema Israel-Palästina etwas Falsches zu sagen, vielleicht so gross, dass eine mit Trommeln und Pauken verkündete Instituts-Schliessung fast als einziger Ausweg erscheint, um nicht in die Antisemitismus-Ecke gestellt zu werden? Schliesslich kann der Antisemitismus-Vorwurf alle treffen, seit wir miterlebt haben, wie in Deutschland jüdischen Künstlern, Schriftstellerinnen und Wissenschaftlern vorgeworfen wurde, den Antisemitismus zu verharmlosen, nachdem sie in einem offenen Brief für Frieden und Meinungsfreiheit plädieren, Gewalt von beiden Seiten verurteilen und fordern, dass nicht nur israelische, sondern auch palästinensische Solidaritätskundgebungen erlaubt werden sollen. Und so ein Vorwurf könnte für eine Universität den Todesstoss bedeuten würde.

Tatsächlich bestätigt die Universität, dass sich das Prinzip der Verurteilung von jeglicher Gewalt und Diskriminierung «in der aktuellen Debatte besonders auf religiöse Diskriminierung, insbesondere auf Antisemitismus bezieht». Dies auch auf der Grundlage dessen, dass «die Universität Bern in Ort des Gedankenaustauschs und der Debatte sei, wo die Meinungsfreiheit und der offene Diskurs hochgehalten» werde.

Nochmals: Es geht hier um die Frage, warum man ein etabliertes Institut auflöst, statt Personalwechsel – wenn nötig auch rigorose – in Betracht zu ziehen. Und nicht darum, ob einzelne oder auch viele Dozierende des nunmehr inexistenten Instituts mit politischen Äusserungen innerhalb und ausserhalb des Hörsaals inadäquat verhalten haben – was medial detailliert breitgeschlagen wurde. In einem Fall sei eine Palästina-Flagge aufgehängt worden, im anderen seien Social-Media-Posts geliked worden, in denen gewagt wurde, auf den historischen Kontext hinzuweisen, die zum Hamas-Angriff geführt hatten, und, noch schlimmer: die den «Westen» kritisierten, weil er zwar den Widerstand der Ukraine gegen die russische Besatzung feiert, doch den Widerstand von Palästina gegen die israelische Besatzung verurteilt. Solidarität könne nicht nur «für Menschen gelten, die aussehen wie man selbst» – also weiss und europäisch.

Denn damit kommen wir zu einem letzten Punkt: Kann es sein, dass es dem Autor des Untersuchungsberichts und der Universitätsleitung grosses Unbehagen bereitet hat, dass im letzten Jahr offenbar eine postkoloniale Ausrichtung des Instituts stattgefunden hat? Dass plötzlich der zutiefst eurozentrische Ansatz der wissenschaftlichen Lehre und Forschung kritisch unter die Lupe genommen wird, dürfte vielen sauer aufstossen. Doch falls solche unterschwelligen Bedenken bei der Entscheidung mitgespielt haben sollten, ein Institut zu zerschlagen, um die Ausrichtung von Forschung und Lehre der Islamwissenschaften besser nach dem Ermessen der Fakultäts- oder der Universitätsleitung auszurichten, wäre das ziemlich skandalös. Wie gesagt: «wäre».

Kommentare

Meinungsfreiheit und Antisemitisch

von juerg.wyss
Das sind zwei Worte, die vollständig ihrem Sinn entzogen wurden. Die Meinungsfreiheit wird in der heutigen Zeit als Meinungsbildendes angesehen. Man muss unterscheiden zwischen Meinung und Wissen. Akws strahlen das ist keine Meinung, das ist ein Fakt. Wenn ich es gut finde, dass Strom daraus entsteht, dann ist das eine Meinung, wenn ich es schlecht finde, dass wir keine Lösung haben für den radioaktiven Abfall ist das eine Meinung. Eine Meinung ist die eigene Ansicht einer Tatsache.  Dasselbe gilt für den Antisemitismus, den die Juden für sich selber beanspruchen, dabei ist der semitische Ausdruck für jeden im Nahen Osten zutreffend. Nicht nur für die Juden. Auch für die Palästinenser und die Libanesen und und und. Man soll nicht Politik in Universitäten betreiben, aber mit der Schliessung der Uni ist das Wissen politisch festgelegt, was heisst die Schliessung der Universität ist politisch, nicht die Meinungsaussage des Dozenten.