Mein Teddybär
Mein Teddybär hat zwei besondere Eigenschaften, nein drei. Erstens: Er ist gar nicht mein Teddybär. Zweitens: Er hat mich ins Herz geschlossen. Drittens: Er trägt Massanzug. Die Samstagskolumne
Damit dürfte niemand mehr daran zweifeln können, dass es sich um ein ganz besonderes Tier handelt. Er wäre eines der wenigen Wesen, die ich auf die berühmte einsame Insel mitnähme.
Erwachsene haben keine Teddys
Und um das gleich auszuschliessen: Mein Kopfkissen nähme ich nicht mit. Kopfkissen empfinde ich, bei aller Bereitschaft, den Dingen ein gewisses Eigenleben zuzugestehen, doch eher als Ding denn als Persönlichkeit. Bei meinem Teddybär, den ich im Folgenden der Einfachheit halber «den Teddy» nennen werde, sieht das ganz anders aus.
Dass ich dem Teddy – ja, mit bestimmtem Artikel! – einen eigenen Text und einen Tiegel voll Hirnschmalz widme, ist Teil meiner Hommage an ihn. Denn Erwachsene haben nun mal keine Teddys bzw. sie haben sie durch Gattinnen, Fussballvereine oder SUVs ersetzt. Der Teddy weist mir den Weg zu tieferer Lebensfreude, also zu jener Zeit, als ich einen Teddy hätte haben dürfen – aber keinen hatte, sondern eine Puppe. Ich höre noch das unwillige Schnaufen meines Vaters, als ich voller Dankbarkeit meiner Mutter gegenüber die Puppe unterm Arm trug, die sie mir gekauft hatte. Was für eine pädagogische Grosstat im Jahr 1959.
Wie kam ich also zum Teddy, obwohl ich gar keinen hatte? Das könnte jetzt eine eigene Geschichte werden, aber ich will’s kurz machen: Die Grossmutter meiner Frau war «in Stellung» gewesen. So nannte man das damals, wenn eine junge Frau aus Arbeiterverhältnissen in einem grossbürgerlichen Haushalt angestellt war. Im Verlauf ihrer Arbeit erlernte sie das Nähen und hatte grosse Freude daran, ihre Kinder in der Nachkriegszeit mit selbst genähten, besonders hübschen Kleidern auszustatten. Aber eben nicht nur ihre Kinder und Enkelinnen, sondern auch Puppen und – den Teddy.
Ein raffiniertes Tier
Das heisst: Der Teddy, wie er dort drüben neben einer Doktorarbeit über Heinrich Heine meditierend im Regal sitzt, ist gut und gerne 60 Jahre alt. Er hat seine dicken, flauschigen Stummelarme weit ausgestreckt, als würde er die Welt umarmen – oder vielleicht eben in diesem Moment die Erleuchtung erfahren. Würde man ihm die Beine lang strecken, dann wäre er vielleicht 20 Zentimeter gross; er ist also weder gross noch klein, sondern ausgesprochen teddybärig. Er ist ein aufmerksamer Zuhörer, seine Ohren oberhalb der beiden dunkelbraunen Knopfaugen sind leicht nach vorne geklappt, so dass sie jeden meiner Gedanken auffangen und der Teddy mir Rückmeldung geben kann zu meinen inneren Rück-, Fort- und Seitenschritten.
Ohne Zweifel hat er mich ins Herz geschlossen bzw. wir uns. Denn so harmlos der Teddy mit seinem kleinen Bäuchlein vom vielen Honigschlecken aussieht – er ist ein raffiniertes, kluges Tier. Im Laufe von mehreren Umzügen unserer Familie drohte er immer wieder, unter die Räder zu geraten. Aber mit seinem verführerischen Charme wandte er sich regelmässig aus dem Inferno diverser Umzugskisten heraus an mich und bat um Asyl – das ich ihm gerne und dankbar gewährte.
Ob er nun mein Herz und meine Seele ist oder ich die seine, fällt mir inzwischen schwer zu entscheiden. Ein Ratgeber in intellektuellen wie in amourösen Angelegenheiten ist er allemal. In seltenen Fällen darf er auch mal neben mir schlafen, aber wenn, dann sage ich das niemandem, schliesslich bin ich ja ein Erwachsener. Und als solcher darf ich von meiner Frau, meinen Kindern, meinem Haus, meinem Auto und meinem Pferd, ja sogar von meinem Vaterland sprechen, aber nicht von meinem Teddy. Wobei mir Letzteres am sinnvollsten erscheint – unter uns gesagt.
Ein Mut-mach-Teddy
Bleibt der Massanzug zu erläutern. Der Teddy trägt eine von meiner Schwieger-Grossmutter selbst geschneiderte mexikanische, längs gestreifte, rot-weiss-grüne Hose, aus der seine braunen Füsse hervorragen, und darüber einen von der Grossmutter handgestrickten grauen Pullover mit kurzen Ärmeln, einem kleinen Kragen und drei Perlmuttknöpfen am Ausschnitt, wo der Teddy seinen Pulli aufknöpfen könnte, falls er ihn einmal ausziehen möchte.
Ob der ockerfarbene Körper des Teddys ebenfalls von Hand gefertigt ist, kann ich nicht erkennen, denkbar ist es. Entscheidend an ihm ist, dass er ein Mut-mach-Teddy ist. Es gibt keinen zweiten wie ihn, und nichts an ihm ist käuflich, nichts ist Konfektion, nichts abgekupfert, nichts billiger Zeitgeist.
Er ist so sehr Persönlichkeit, wie wir das alle sein möchten. Und doch ist er Teil der gemeinsamen Arbeitszimmer-Welt, wie wir alle gerne Teil von etwas Grösserem wären. In seiner und meiner Welt sagt Bloch Brecht gute Nacht, und Musil verneigt sich vor Goethe. Es muss also nicht verwundern, dass die Kommentare des Teddys weder dumm sind noch überflüssig.
Er ist ein eher schweigsamer, treuer Geselle, aber wenn er sich bemerkbar macht, vielleicht ein-, zweimal alle vierzehn Tage, dann sind seine Einwürfe aus einer höheren Einsicht heraus geboren und immer bedenkenswert. Vielleicht wirft er ja heimlich bei Nacht, mit unsittlich nacktem Oberkörper, einen Blick in die Heine-Dissertation und bewahrt mich so davor, zum Mitläufer in einer «gleichgeschorenen, gleichblökenden Menschenherde» zu werden, wie der grosse Romantiker Heinrich Heine das nannte. Was wäre ich nur ohne meinen Teddy!
von:
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