Was Doris Leuthard mit Sicherheit ist: eine Atomlobbyistin

Die Sprache verrät den Menschen, die Politiker ganz besonders. Wer «Luftschläge» fordert, will einen Bombenkrieg führen. Und wer von einer Stromlücke spricht, will Atomkraftwerke bauen.
Weil die Begriffe eine so bedeutende Rolle spielen, brüten die PR-Fachleute der betroffenen Lobbygruppen lange über geeigneten Worthülsen und geben dann verbindliche Sprachregelungen heraus. Das wird in Medientrainings auch geübt.
Vielleicht ist Ihnen der Sprachgraben auch schon aufgefallen, der die politische Schweiz durchzieht: Auf der einen Seite steht das Volk, und das sagt «Atomenergie», «Atomkraftwerke» oder AKWs auch wenn es dafür ist.  Auf der anderen Seite stehen ihre bezahlten Befürworter und die sprechen konsequent von «Kernenergie» oder von «Kernkraftwerken». Die Wahl der Worte zeigt zuverlässig, auf welcher Seite man sich befindet, ob man spricht, wie das Volk denkt oder sich einer eingeübten Sprache bedient.


Wenn wir zum Beispiel wissen möchten, wo unsere Energieministerin Doris Leuthard steht, genügt ein Wort aus ihrem Mund und schon wissen wir, dass sie weitere Atomkraftwerke bauen lassen will. Falls Sie es genau wissen wollen: Im Interview mit dem Tages-Anzeiger von heute verwendet Doris Leuthard dreizehn mal das Wort «Kernenergie» oder «Kernkraft» und nur ein einziges Mal das Wort «Atom», und zwar um zu sagen, es sei «Unsinn», sie als «Atomlobbyistin» zu bezeichnen. Es ist Taubheit, sie nicht als Atomlobbyistin zu erkennen. Ihre Sprache verrät sie.
Die fügsame Doris Leuthard, das ist Ihnen vielleicht auch aufgefallen, verwendet in letzter Zeit des öfteren das Wort «ich». Man will es kaum glauben, wenn sie sagt «ich habe entschieden». Und man muss es ihr, die von deutlich mehr Beratern umgeben ist als alle Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat, auch nicht glauben. Höchstwahrscheinlich haben ihre Berater entschieden, und einer wird ihr wohl sogar noch empfohlen haben, ein bisschen mehr «ich» zu sagen. Auch das lässt sich kameragerecht trainieren, und es würde mich wundern, wenn sie es nicht getan hätte.
Wegen ihrer Beeinflussbarkeit ist Doris Leuthard übrigens ein zuverlässiges Signal für das, was die verschiedenen Lobbygruppen gerade noch für durchsetzbar halten. Im Moment scheint es, als wolle man Fukushima, das ja noch längst nicht ausgestanden ist, aussitzen. Man ist gleichzeitig für und gegen die Atomenergie, wohl um später sagen zu können: «Ich habe es immer schon gesagt.»


«Kernenergie», das zeigt die Sprachregelung der Atomlobby, ist ein Kampfbegriff. Er wird als linguistische Waffe eingesetzt, die Atomenergie als weniger gefährlich darzustellen, als sie tatsächlich ist. Der Begriff ist strategisch weniger wichtig als zum Beispiel die ominöse «Stromlücke». Trotzdem sollten die Atomenergiegegner ein paar Gedanken darüber verlieren, wie sie diesen Begriff unschädlich machen könnten. Hier ein paar Vorschläge:
• «Kernenergie» konsequent als Begriff der Atomlobby bezeichnen.
• Die Eliminierung von Begriffen wie «Kernenergie» und dergleichen aus offiziellen Dokumenten, vor allem amtlichen Stellungnahmen und Abstimmungsbotschaften einfordern. Akzeptabel wäre allenfalls eine dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechende Verteilung von «Atom» und «Kern» von neun zu eins.
• In öffentlichen (und privaten) Diskussionen die Befürworter der Atomenergie auffordern, doch in der Sprache des Volkes von Atomkraftwerken etc. zu sprechen.
• Eine Anzeigen- und Plakatkampagne lancieren mit einer Botschaft wie «Wer Kernenergie sagt, will den Atom-GAU riskieren».

Denn die Diskussion um die Atomkraft ist noch längst nicht ausgestanden, sie hat mit Fukushima nur eine neue Dimension erhalten. Während Doris Leuthard im ersten Schock um Wählergunst sofort die Baugesuche für neue AKWs sistierte, hält sie zwei Wochen später allein die Forderung, auf Kernenergie zu verzichten,  für «leichtsinnig». Mit anderen Worten: Allein wer schon Schritte hin auf einen Atomausstieg verlangt, sei irgendwie nicht ganz bei Trost. Was für eine Kehrtwende in dieser kurzen Zeit!
Noch brüsker wendeten allerdings in Deutschland die Politiker ihre Hälse. Während es vor einer Woche noch von links bis rechts «aussteigen!» hiess, wird heute bereits wie aus einem Mund von einer «Brückentechnologie» gesprochen – übrigens auch ein inszenierter Begriff, der uns irgendetwas vorgaukeln will. In welche Energiezukunft, liebe Leserinnen und Leser, soll uns diese Brücke denn führen? In eine Welt, in der die in unermesslicher Fülle vorhandene Sonnenenergie noch immer klein gehalten wird, damit wir ja vom Atomstrom abhängig bleiben und den Stromvögten unsere Energiesteuer abliefern? In ein nächstes Fukushima führt diese Brücke auf jeden Fall – wenn die Meiler nochmals 40 Jahre laufen, ist die statistische Wahrscheinlichkeit eines neuen Super-GAUs hoch. Dann wäre eigentlich Zentraleuropa dran.


Auch die «Brückentechnologie» sollte man sofort unschädlich machen, als «Brücke nach Fukushima» als «Brücke in den Atomstaat» oder meinetwegen als «Highway to Hell». Sollen die Umweltorganisationen, die die Kampagne anführen, mal ihre Köpfe zusammenstrecken und eine Sprachregelung herausgeben.
Überhaupt wünscht man sich von den Umweltorganisationen ein bisschen mehr Witz, mehr strategische Schärfe und eine Dosis offensiven Sportgeist. Die Atomlobby hat vielleicht mehr Geld und ist clever. Aber sie ist immer noch kurzsichtig genug, auf die Atomenergie zu setzen. Und das ist doch sehr dumm. Mit denen sollte man fertig werden.

26. März 2011
von: