Die Erneuerungslücke
Warum die politischen Kampfbegriffe «Stromlücke» und «Versorgungslücke» neutralisiert werden müssen – und wie
Liebe Leserinnen und Leser
Gleich doppelt habe ich mich geärgert in den letzten paar Monaten, und das aus einem einzigen Anlass. Wütend gemacht hat mich die Tatsache, dass es der Atomlobby innert kürzester Zeit gelungen ist, den Weg zu einem weiteren Atomkraftwerk freizumachen. Sogar dem atomkritischen Bundesrat Leuenberger genügte ein einziges Wort aus der PR-Küche der Nuklearwirtschaft, um die Notwendigkeit eines weiteren AKWs zu begründen: Stromlücke! Und geärgert habe ich mich über die Grünen, die diesem verlogenen politischen Kampfbegriff nichts entgegen zu setzen hatten.
Dabei gehören politische Begriffe zur Basis-Ausrüstung in jeder gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Wer sie geschickt wählt und besetzt, hat die halbe Miete schon bezahlt. Wer sich in der Kunst der politischen Begriffsbildung dagegen nicht auskennt, gerät über Nacht in die Defensive und muss den Rückstand dann in aufwändigen politischen Schlachten wieder wett machen – wenn das überhaupt noch möglich ist.
Ein paar Beispiele für politische Begriffe: Die Mauer, die aus dem Westjordanland ein eigentliches Konzen-trationslager macht, ist in jeder Hinsicht völkerrechtswidrig. Als «Schutzzaun» wird sie von der Völkergemeinschaft toleriert. Der «Präventivschlag» gegen den Irak war ein lupenreiner Angriffskrieg. Und «Luftschläge», unter denen sich unbedarfte Zeitgenossen vielleicht eine Art Schattenboxen vorstellen mögen, sind Bombardierungen mit den stärksten Waffen unterhalb der Nuklearschwelle. Dass bei diesen «chirurgischen Operationen» «Kollateralschäden» auftreten, ist natürlich unvermeidlich und die Weltöffentlichkeit soll sich über die toten und verstrahlten Kinder gefälligst nicht aufregen. Spüren Sie, wie diese Begriffe wirken? Durch die Hintertür schleichen sie sich ins öffentliche Bewusstsein und prägen die kollektive Wahrnehmung. Aus einem brutalen Krieg wird so ein «Waffengang», bei dem zwei gleichberechtigte Ritter freiwillig die Kräfte messen.
Doch jetzt zurück zur «Stromlücke» und dem Zwillingsbegriff «Versorgungslücke», die von den Lobbyisten der Atomenergie in praktisch jedem Statement verwendet werden. Wie ein Bulldozer haben die beiden Begriffe den über Jahrzehnte aufgebauten Widerstand gegen Atomkraftwerke weggeräumt. Sogar der Bundesrat hat die hinterlistige Terminologie ohne zu hinterfragen übernommen. Eine geniale Begriffsbildung, das muss man anerkennen.
Nun muss man wissen, dass die schweizerische Atomlobby von der global tätigen PR-Agentur Burson-Marsteller beraten wird. Diese Agentur zieht seit ihrer Gründung im Jahr 1953 eine Spur blutiger und giftiger Lügen durch die neuere Geschichte. Zu ihren Kunden zählte die nigerianische Regierung, der während des Biafra-Kriegs Völkermord vorgeworfen wurde, die argentinische Militär-Junta, der rumänische Diktator Ceaucescu, die Betreiber-Gesellschaft des Atomkraftwerks Three Mile Island, Union Carbide (Bhopal), die Gentech-Industrie oder die US-Regierung für die Rechtfertigung ihrer beiden Kriege gegen Irak. Diese cleveren und skrupellosen Burschen stehen hinter der «Strom»- und der «Versorgungslücke», diesen beiden Begriffen, die es zu neutralisieren gilt, wenn wir weitere Atomkraftwerke verhindern und den Erneuerbaren zum Durchbruch verhelfen wollen. In dieser Auseinandersetzung reicht es nicht, das Recht und die Moral auf seiner Seite zu haben. Die Grünen, und mit ihnen sind auch die betroffenen Umweltorganisationen gemeint, müssen auch die Waffen ihrer Gegner verstehen, damit sie sie umlenken können. Und das wollen wir hier versuchen.
Natürlich sind die «Stromlücke» und die «Versorgungslücke» als Begriffe so hinterhältig und irreführend, dass sie im Grunde eine Lüge sind, und zwar aus mehreren Gründen:
Erstens gibt es «Versorgungslücken» in einer Marktwirtschaft per se nicht. Güter können allenfalls knapper und damit teurer werden und so Sparmassnahmen anregen, die die absoluten Stromkosten wieder senken.
Zweitens geht es bei der behaupteten Stromlücke im Wesentlichen um die Diskrepanz zwischen der prognostizierten Elektrizitäts-Nachfrage und der vermuteten Inland-Produktion. Solche Ungleichgewichte gibt es bei zahlreichen, z.T. lebenswichtigen Gütern, trotzdem spricht niemand von einer Erdöllücke oder einer Weizenlücke.
Drittens ist die «Versorgungslücke» in Tat und Wahrheit eine «Erneuerungslücke» und eine «Effizienzlücke». Wären die erneuerbaren Energien und die Sparmassnahmen gemäss dem Gesamtenergiekonzept von 1979 gefördert worden, könnte heute niemand von einer «Versorgungslücke» sprechen. Es geht also darum, einen Rückstand aufzuholen, den wir uns während der fetten Jahre eingehandelt haben.
Die Lücken, wenn wir denn dieses praktische Wort übernehmen wollen, liegen an ganz anderen Orten:
Diese Begriffe bieten eine geradezu ideale Grundlage, die «Versorgungslücke» und die «Stromlücke» im politischen Diskurs unbrauchbar zu machen und in «Erneuerungslücke» umzudefinieren. Damit nutzen wir die gute Vorarbeit der Atomstrategen zur Förderung einer dezentralen, autonomen Energieversorgung auf der Basis der erneuerbaren Energien.
Dem grünen Spektrum wünsche ich dringendst strategischen Scharfsinn zur Wahrnehmung dieser einmaligen Chance, disziplinierte Koordination, damit die Neudefinition tatsächlich gelingt und im öffentlichen Bewusstsein verankert werden kann und ich wünsche ihm viel Spass dabei, seine Gegner und ihre Gedächtnis- und Wahrheitslücken lächerlich zu machen. Denn wer die Waffen seiner Gegner versteht, braucht nicht nur keine Angst vor ihnen zu haben, er kann sie auch zu einem wirkungsvollen Gegenschlag nutzen. Das ist vielleicht etwas brutal, aber es ist legitim und notwendig. Die Atomlobby wird nicht lange unter ihrer Lächerlichkeit leiden, das ist der positive Aspekt ihrer Gedächtnislücken.Geni Hackmann
Gleich doppelt habe ich mich geärgert in den letzten paar Monaten, und das aus einem einzigen Anlass. Wütend gemacht hat mich die Tatsache, dass es der Atomlobby innert kürzester Zeit gelungen ist, den Weg zu einem weiteren Atomkraftwerk freizumachen. Sogar dem atomkritischen Bundesrat Leuenberger genügte ein einziges Wort aus der PR-Küche der Nuklearwirtschaft, um die Notwendigkeit eines weiteren AKWs zu begründen: Stromlücke! Und geärgert habe ich mich über die Grünen, die diesem verlogenen politischen Kampfbegriff nichts entgegen zu setzen hatten.
Dabei gehören politische Begriffe zur Basis-Ausrüstung in jeder gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Wer sie geschickt wählt und besetzt, hat die halbe Miete schon bezahlt. Wer sich in der Kunst der politischen Begriffsbildung dagegen nicht auskennt, gerät über Nacht in die Defensive und muss den Rückstand dann in aufwändigen politischen Schlachten wieder wett machen – wenn das überhaupt noch möglich ist.
Ein paar Beispiele für politische Begriffe: Die Mauer, die aus dem Westjordanland ein eigentliches Konzen-trationslager macht, ist in jeder Hinsicht völkerrechtswidrig. Als «Schutzzaun» wird sie von der Völkergemeinschaft toleriert. Der «Präventivschlag» gegen den Irak war ein lupenreiner Angriffskrieg. Und «Luftschläge», unter denen sich unbedarfte Zeitgenossen vielleicht eine Art Schattenboxen vorstellen mögen, sind Bombardierungen mit den stärksten Waffen unterhalb der Nuklearschwelle. Dass bei diesen «chirurgischen Operationen» «Kollateralschäden» auftreten, ist natürlich unvermeidlich und die Weltöffentlichkeit soll sich über die toten und verstrahlten Kinder gefälligst nicht aufregen. Spüren Sie, wie diese Begriffe wirken? Durch die Hintertür schleichen sie sich ins öffentliche Bewusstsein und prägen die kollektive Wahrnehmung. Aus einem brutalen Krieg wird so ein «Waffengang», bei dem zwei gleichberechtigte Ritter freiwillig die Kräfte messen.
Doch jetzt zurück zur «Stromlücke» und dem Zwillingsbegriff «Versorgungslücke», die von den Lobbyisten der Atomenergie in praktisch jedem Statement verwendet werden. Wie ein Bulldozer haben die beiden Begriffe den über Jahrzehnte aufgebauten Widerstand gegen Atomkraftwerke weggeräumt. Sogar der Bundesrat hat die hinterlistige Terminologie ohne zu hinterfragen übernommen. Eine geniale Begriffsbildung, das muss man anerkennen.
Nun muss man wissen, dass die schweizerische Atomlobby von der global tätigen PR-Agentur Burson-Marsteller beraten wird. Diese Agentur zieht seit ihrer Gründung im Jahr 1953 eine Spur blutiger und giftiger Lügen durch die neuere Geschichte. Zu ihren Kunden zählte die nigerianische Regierung, der während des Biafra-Kriegs Völkermord vorgeworfen wurde, die argentinische Militär-Junta, der rumänische Diktator Ceaucescu, die Betreiber-Gesellschaft des Atomkraftwerks Three Mile Island, Union Carbide (Bhopal), die Gentech-Industrie oder die US-Regierung für die Rechtfertigung ihrer beiden Kriege gegen Irak. Diese cleveren und skrupellosen Burschen stehen hinter der «Strom»- und der «Versorgungslücke», diesen beiden Begriffen, die es zu neutralisieren gilt, wenn wir weitere Atomkraftwerke verhindern und den Erneuerbaren zum Durchbruch verhelfen wollen. In dieser Auseinandersetzung reicht es nicht, das Recht und die Moral auf seiner Seite zu haben. Die Grünen, und mit ihnen sind auch die betroffenen Umweltorganisationen gemeint, müssen auch die Waffen ihrer Gegner verstehen, damit sie sie umlenken können. Und das wollen wir hier versuchen.
Natürlich sind die «Stromlücke» und die «Versorgungslücke» als Begriffe so hinterhältig und irreführend, dass sie im Grunde eine Lüge sind, und zwar aus mehreren Gründen:
Erstens gibt es «Versorgungslücken» in einer Marktwirtschaft per se nicht. Güter können allenfalls knapper und damit teurer werden und so Sparmassnahmen anregen, die die absoluten Stromkosten wieder senken.
Zweitens geht es bei der behaupteten Stromlücke im Wesentlichen um die Diskrepanz zwischen der prognostizierten Elektrizitäts-Nachfrage und der vermuteten Inland-Produktion. Solche Ungleichgewichte gibt es bei zahlreichen, z.T. lebenswichtigen Gütern, trotzdem spricht niemand von einer Erdöllücke oder einer Weizenlücke.
Drittens ist die «Versorgungslücke» in Tat und Wahrheit eine «Erneuerungslücke» und eine «Effizienzlücke». Wären die erneuerbaren Energien und die Sparmassnahmen gemäss dem Gesamtenergiekonzept von 1979 gefördert worden, könnte heute niemand von einer «Versorgungslücke» sprechen. Es geht also darum, einen Rückstand aufzuholen, den wir uns während der fetten Jahre eingehandelt haben.
Die Lücken, wenn wir denn dieses praktische Wort übernehmen wollen, liegen an ganz anderen Orten:
- Die Atomlobby hat Gedächtnislücken – sie vergisst ihre falschen Verbrauchsprognosen aus den 70er Jahren, sie vergisst Tschernobyl und die vielen anderen Störfälle.
- Die Atomenergie hat Effizienzlücken, denn für jede gewonnene Kilowattstunde Atomstrom gehen 4 Kilowattstunden durch Abwärme und graue Energie verloren.
- Zudem hat die Atomlobby Wahrheitslücken, indem sie den miserablen Wirkungsgrad der Atomenergie verschweigt.
- Die Atomenergie hat Sicherheitslücken – keine Versicherung ist bereit, das Haftungsrisiko von AKWs zu versichern.
- Die Atomenergie hat eine riesige Zukunftslücke: Nach dem Abschalten der Werke haben die nachfolgenden Generationen für Zehntausende von Jahren mit dem Atommüll zu tun.
- Wenn es um das Stopfen der «Versorgungslücke» geht, ist die Atomtechnologie nicht mehr als eine Lückenbüsser-Technologie.
Diese Begriffe bieten eine geradezu ideale Grundlage, die «Versorgungslücke» und die «Stromlücke» im politischen Diskurs unbrauchbar zu machen und in «Erneuerungslücke» umzudefinieren. Damit nutzen wir die gute Vorarbeit der Atomstrategen zur Förderung einer dezentralen, autonomen Energieversorgung auf der Basis der erneuerbaren Energien.
Dem grünen Spektrum wünsche ich dringendst strategischen Scharfsinn zur Wahrnehmung dieser einmaligen Chance, disziplinierte Koordination, damit die Neudefinition tatsächlich gelingt und im öffentlichen Bewusstsein verankert werden kann und ich wünsche ihm viel Spass dabei, seine Gegner und ihre Gedächtnis- und Wahrheitslücken lächerlich zu machen. Denn wer die Waffen seiner Gegner versteht, braucht nicht nur keine Angst vor ihnen zu haben, er kann sie auch zu einem wirkungsvollen Gegenschlag nutzen. Das ist vielleicht etwas brutal, aber es ist legitim und notwendig. Die Atomlobby wird nicht lange unter ihrer Lächerlichkeit leiden, das ist der positive Aspekt ihrer Gedächtnislücken.Geni Hackmann
29. April 2007
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