Praxis der Achtsamkeit

Ohne Leid kein Freud

«Leid kann ein ausgezeichneter Lehrer sein», sagt der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh. Es gebe eine Kunst, richtig zu leiden. Liest man da richtig? Alle Welt redet von der Kunst, glücklich zu sein, und dann behauptet er dies?
Gemeint ist, dass wir uns auf zwei Dinge konzentrieren können: Darauf, Leiden anzuerkennen und darauf, zu lernen, damit umzugehen. Es heisst, sich nicht mehr abzulenken, sondern Schritte zu unternehmen, die uns befähigen, bewusster und gesünder zu leben. Nehmen wir etwa grössere Anspannungen im Körper wahr, können wir uns dies bewusst machen – oder wie Thich Nhat Hanh sagt, «tief schauen» –, dann die Ursachen ausfindig machen, etwa Zeitdruck oder Glaubenssätze und daran arbeiten. Wir können für mehr Entspannungsinseln und Ruhe im Alltag sorgen, wir können lernen, sanfter mit uns umzugehen, uns Zeit für alles zu nehmen, in das Jetzt zurückzukehren als uns dauernd abzuhetzen oder uns ständig abzulenken.
«Achtsamkeit ist die Energie, die weiss, was passiert», sagt Hanh. Man solle das Leiden gar «mit Achtsamkeit umarmen»: Alles, was in unserem Körper und Geist auftaucht, bewusst wahrzunehmen, allem Raum zu geben. Dazu gehören auch unangenehme Dinge wie Stress, Schmerzen und Leid. Wo wir also eher Widerstand spüren, sollen wir hinsehen, hinspüren, wahrnehmen. Thich Nhat Hanh sagt: «Wenn wir wissen, wie wir «richtig» leiden, dann leiden wir viel weniger. Und du kannst einen Schritt weitergehen und dein Leiden gut nutzen, um daraus Glück zu erschaffen – so wie der Lotus den Schlamm braucht, um daraus Blüten wachsen zu lassen. Dies ist eine Kunst.» (Vortrag von Thich Nhat Hanh, März 2014)

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Lioba Schneemann ist als MBSR-Lehrerin und Entspannungscoach in Liestal und andernorts tätig.
www.schneemann-entspannt.ch;
www.swissthera­pieteam.ch

Buchtipp: Jon Kabat-Zinn: Schmerz. Meditationen zum Umgang mit chronischen Schmerzen. (Booklet& CD), Arbor Verlag, 2013

06. Oktober 2016
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