Sie wurde mit einer Welle von Applaus und Zuneigung empfangen. «Solidarität ist kein Verbrechen» war in den griechischen Livestreams zu lesen und zu hören, die ihre Ankunft begleiteten. Im Kontext dieses Satzes verwandelte sich die Szene in eine kollektive Umarmung für jemanden, der noch Stunden zuvor bloss eine weitere abgeschobene junge Frau gewesen war. In ihrem ersten öffentlichen Statement nach der Ausreise aus Israel wiederholte Greta, was sie bereits zuvor im Land gesagt hatte: «Wir sind Zeugen eines live übertragenen Völkermords» und «unsere Regierungen tun nicht einmal das Allernötigste.» Sie sprach nicht über sich selbst, sie beharrte auf der Pflicht zum Handeln.
Reporter fragten nach der Behandlung, die sie in ihrer Haft erlitten hatte. Erschöpft entschied sich Greta, nicht näher auf die erlittene Pein einzugehen: Sie meinte, sie könne zwar «ausführlich darüber sprechen», aber «nicht wir sind die Story, die Story ist Gaza.» Diese Verschiebung des Fokus – sofort von der internationalen Presse aufgegriffen – machte ihre Ankunft zum moralischen Appell.
Unterdessen in Gaza…
In den letzten fünf Tagen hat die Gewalt nicht aufgehört. Zwischen dem 24. September und dem 1. Oktober – der Woche unmittelbar davor – meldete das Gesundheitsministerium in Gaza 429 getötete und 1.556 verletzte Palästinenser:innen, und in den vergangenen 48 Stunden (von Freitagabend bis Sonntag) seien laut medizinischen Quellen – zitiert nach Reuters – mindestens 36 weitere Menschen durch Bombardierungen und Angriffe getötet worden. Die heutige Statistik von AP erhöht die Gesamtzahl der seit Oktober 2023 erfassten Todesopfer auf 67.160.
Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) beschrieb die vergangene Woche als Woche des «Luft-, Land- und Seebombardements». Neben kontrollierten Detonationen und Beschuss von Zivilisten, die Brennholz sammelten, trafen die Angriffe Wohnhäuser, Märkte, Flüchtlingszelte und auf Hilfe wartende Menschen. Innerhalb weniger Tage (26.–30. September) listete OCHA detailliert Vorfälle mit Dutzenden Toten auf: ganze Familien in ihren Häusern, ein überfüllter Markt in Nuseirat, ein Lager für Vertriebene und Menschen, die für Lebensmittel anstanden.
Der Hunger fordert weiterhin seinen Tribut: Laut Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza sind seit Oktober 2023 455 Menschen durch Unterernährung gestorben (darunter 151 Kinder), wobei sich die Lage in den letzten Wochen deutlich verschlechtert hat. OCHA und Al Jazeera dokumentieren seit Monaten Todesfälle durch Verhungern sowie Fälle von Menschen, die getötet oder verletzt wurden, während sie um Hilfe suchten: 2.580 Tote und über 18.930 Verletzte seit Mai unter Hilfesuchenden – laut gesicherten UN-Daten vom 1. Oktober.
Die Nahrungsmittelversorgung bleibt weit hinter dem Bedarf zurück. Im September gelangten «mehr als 6.500» Lastwagen mit Nahrungsmitteln über sämtliche Routen (humanitäre, bilaterale und private) nach Gaza, verglichen mit über 10.500 im Februar während des Waffenstillstands. Die Zahl der Gemeinschaftsküchen im Norden Gazas sank von 29 aktiven (mit 155.000 Mahlzeiten täglich) auf nur noch 8 (mit 45.000 Essen) bis zum 30. September – ein Rückgang von 70 %. Die Verfügbarkeit von Brot wird nun als «sehr begrenzt» beschrieben.
Die Gesundheitskrise verschärft sich weiter: 54 % der lebenswichtigen Medikamente und 66 % der medizinischen Vorräte sind vollständig aufgebraucht, 45 % der Notfallmaterialien fehlen. Ärzte ohne Grenzen (MSF) kündigte aufgrund der verschärften militärischen Operationen die Einstellung seiner Aktivitäten in Gaza-Stadt an und das IKRK verlagerte sein Personal aus demselben Grund. Nur eine einzige medizinische Anlaufstelle der UNRWA ist in der Stadt noch geöffnet. Sie arbeitet mit nur 5 % ihrer Kapazität vom August (vor der Bodenoffensive).
Die Wasser- und Abwasserversorgung ist nahezu vollständig zusammengebrochen: 15 Liter pro Person und Tag – das humanitäre Minimum – im Vergleich zu 80–85 Litern vor 2023; 0 % Zugang zu sicherer Sanitärversorgung; 1,2 Millionen Menschen sind Abwässern ausgesetzt, die weniger als zehn Meter von ihren Häusern entfernt fliessen; 900.000 Personen leben inmitten von Müll, der nicht mehr entsorgt wird. Dies sind perfekte Bedingungen für Krankheitsausbrüche – und für das, was die Einheimischen «Tod ohne Lärm» nennen.
Doch in Athen lenkt das Wort den Fokus wieder auf die Ereignisse
Nachdem sie ihre kurze Erklärung beendet hatte, kehrte Greta zum Wesentlichen zurück: «Israel versucht, eine ganze Bevölkerung auszulöschen»; «dies ist ein live übertragener Völkermord»; «Staaten haben die rechtliche Verpflichtung zu handeln und ihre Komplizenschaft zu beenden – auch durch die Einstellung von Waffenlieferungen.» Sie betonte, dass sie «keine Heldin» sei und dass es in dieser Nachricht nicht um die Abgeschobenen, sondern um Gaza gehe. Und sie schloss mit dem Satz, der dieser Chronik ihren Titel gibt: «Solidarität ist kein Verbrechen.»
Greta Thunbergs Mut ist nicht aufgesetzt: Sie ist gelandet, um uns auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Sie fordert kein Mitleid; sie reicht die Fackel weiter. Sie ruft uns auf, die Arme nicht sinken zu lassen, uns nicht zu entmenschlichen, wenn durch Müdigkeit und Gewohnheit droht, dass das Unnormale als normal erscheint: eine Bevölkerung, erschöpft, hungrig, durstig, ohne Medizin, unter Bomben und mit überfüllten Leichenhallen. Und festzuhalten ist – ohne zu stammeln –, dass es kein Verbrechen ist, sich für das Leid anderer einzusetzen: Es ist ein Akt der Menschlichkeit.
Anmerkung der Redaktion: Trotz der Unterzeichnung des Friedensplans zwischen Hamas und Israel meldete die Agentur WAFA im Laufe des gestrigen Tages 13 weitere Todesopfer durch israelischen Beschuss in Gaza.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!