Staatsaffäre: Sturmtief im politischen Klimawandel

Es ist kein politisches Gewitter, das zur Zeit über die Schweiz hinwegzieht. Es ist ein Klimawandel, der sich in einem beschleunigten Schub bemerkbar macht.
Für eine zuverlässige Analyse der Vorwürfe und Dokumente der letzten Tage ist es noch zu früh. Wir müssen damit leben, dass wir vorderhand nicht alles verstehen, die Akteure nicht zweifelsfrei identifizieren und die Schuldigen noch nicht zur Rechenschaft ziehen können.
Deutlich sichtbar wird allerdings die grosse Linie, nach der sich die Schweiz unter dem Einfluss des Systems Blocher entwickelt. Damit rücken auch die jetzt noch umstrittenen «Fakten» in ein Bild, das einen historischen Sinn ergibt.

Christoph Blocher und seine SVP sind dem Irrtum verfallen, das Gute durch die Eliminierung des Bösen, durch das Verstossen des Andersartigen zu erreichen. Dieses Konzept verhilft vielleicht schnell zu politischer Macht, aber es taugt nicht, an der Macht zu bleiben. Und in der Zwischenzeit richtet es grossen, manchmal verheerenden Schaden an, wie ein paar Beispiele aus der neueren Geschichte zeigen: Hitler, der die Juden als Inbegriff des Bösen darstellte und ausmerzen wollte. McCarthy, der den Kommunismus zum Bösen schlechthin machte und damit wesentlichen Anteil am Kalten Krieg mit seinen überaus heissen Ausprägungen in Korea, Vietnam und anderswo hatte. Und zuletzt Bush mit seinen Schurkenstaaten und dem Krieg gegen den Terror. Blocher und seine SVP spielen zwar in einer anderen Liga, aber nach demselben Prinzip: Hier die Guten, dort die Bösen. Das ist brandgefährliche Politik, seit Urzeiten. Schon der Sündenfall im Garten Eden geht bekanntlich auf einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zwischen Gut und Bös zurück, der unbefugterweise genossen wurde. Man muss weder Christ noch Jude sein, um die Sinnkraft dieses Bildes zu verstehen.

In der Überzeugung, auf der Seite des Guten zu stehen, untergraben Blocher und seine SVP die Konkordanz. Nun ist dies nicht einfach ein netter Begriff, den alle ein bisschen anders verstehen, sondern die Grundlage des schweizerischen Staatswesens mit seinen direktdemokratischen Institutionen schlechthin. Die Schweiz kann nur funktionieren, wenn der Gegner und seine Bedürfnisse respektiert und möglichst gemeinsam mehrheitsfähige Lösungen ausgearbeitet werden. Ohne diesen Willen taugt unser System nichts und wir können geradewegs die von der SVP beschworene direkte Demokratie aufgeben und zu einem in der EU üblichen Zweiparteiensystem wechseln.
Was Blocher und seine Mannen von ihren politischen Gegnern halten, beweisen sie fast täglich mit ihren Äusserungen. Sie greifen damit nicht nur ihre Widersacher an, sondern die Schweiz an sich.

Diese Grundlinie erklärt auch die gegenwärtigen Ereignisse:
• Wer die Welt in Gut und Böse aufteilt, verleiht sich selbstredend Sonderrechte. Auf diesem Boden gedeihen die Neigung zu Amtsmissbrauch, Verletzung der Gewaltenteilung und die Bildung von Seilschaften ausserhalb der regulären Institutionen, die im Moment untersucht werden.
• Wer sich als gut und den Gegner als schlecht wahrnimmt, hat eine Tendenz, Sachfragen zu personalisieren und zu emotionalisieren. Blochers Spezialität ist es ja geradezu, Auseinandersetzungen zu Sachfragen wie persönliche Animositäten zu führen. Als charismatischer Redner hat er in diesem politischen Boxring die besseren Chancen, seine Politik durchzubringen als in einem sachlichen Diskurs. Wird diese Tendenz nicht gestoppt, entwickelt sich daraus eine politische Paranoia, wie der «Geheimplan» zur Abwahl von Christoph Blocher deutlich zeigt, mit dem die SVP zur Zeit politisches Kapital zu schlagen versucht. In Parlamenten sind Absprachen, über die man die Öffentlichkeit nicht informiert die normalste Sache der Welt.
• Wer vom Konflikt zwischen Gut und Böse lebt, wird sich mit Vorliebe den Themen zuwenden, in denen sich mit diesem Konzept politisches Kapital schlagen lässt. Die Ausländer, die Sozialbetrüger und die gewalttätigen Jugendlichen sind ein paar Beispiele dazu. All dies sind zwar echte Probleme, aber sie lassen sich durch eine Polarisierung nicht lösen, im Gegenteil.

Ob dieses System schon in den kommenden Wahlen bricht, ist zu bezweifeln. Dummerweise fällt das gegenwärtige Sturmtief in diesem Klimawandel in den Wahlkampf – die bevorzugte Arena der Populisten und eine ungünstige Zeit für längerfristige Orientierung.
Es bleibt dann dem Parlament überlassen, dem unseligen Treiben bei den Erneuerungswahlen in den Bundesrat im Dezember ein Ende zu setzen. Wie die Abgeordneten entscheiden, kann heute niemand sagen. Aber vielleicht erinnert sie ja ein Geheimplan an ihre Pflicht, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und das Getöse endlich in Kauf zu nehmen, dem sie bis jetzt jahrelang aus dem Weg gegangen sind.

11. September 2007
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