Wen ich wählen würde
In Deutschland hat nun die heisse Phase des Bundestagswahlkampfs begonnen. Obwohl ich Wahlen als eine Minimalbedingung von Demokratie empfinde, fällt es mir diesmal schwer, mich zu entscheiden. Denn die Partei oder Person, die ich gerne wählen würde, gibt es nicht. Die Samstagskolumne.
Der Hauptgrund ist, dass ich nicht mehr an nationale Lösungen glaube. Migration, Klima, Umwelt, Wasser, KI, Kapitalismus, Artenschutz, Ernährung, Handelsbedingungen, alles das und noch vieles andere lässt sich heute weniger denn je national lösen. Die Bundestagswahl kommt mir vor wie anderen eine Gemeinderatswahl, die kann ja nicht über Migration, Klima, Krieg und Frieden und die Beseitigung von Armut entscheiden. Viel besser kann das auch eine Regierung in Berlin nicht.
Ich liste hier mal auf, was ich politisch für dringend nötig halte, auch wenn es euch als utopisch erscheint. Das ist es aber nicht. Auch die Abschaffung der Sklaverei schien mal utopisch. Ebenso die Freiheit, sich den Liebes- und Lebenspartner zu wählen. Heute erscheint uns beides als normal. Wir dürfen uns den Liebespartner selbst wählen, ohne dafür verhaftet oder gesteinigt zu werden. Und wenn jemand einen Menschen für Geld kaufen wollte, um ihn dann als Eigentum zu besitzen und zu benutzen, wäre das ein Skandal. Beides war jedoch vor ein paar Generationen noch auf der ganzen Welt üblich.
Wofür ich gerne meine Stimme abgeben würde, ist
- die sukzessive weltweite Abrüstung mit dem Ziel einer Welt ohne Militär und ohne ABC-Waffen
- die Abschaffung von: Steueroasen, steuerfreiem Flugbenzin, Fleischindustrie, Raubtierkapitalismus (Elon Musk & Co), naturzerstörerischer Landwirtschaft, Abholzung der Urwälder, Vergiftung der Gewässer sowie Arbeitsbedingungen, die zum Burnout führen
- ein weltweit geltendes Grundeinkommen, das mit einem Schlag den Hunger beseitigen würde, 95% aller Migrationsbewegungen und 80% der Bürokratien
- eine Welt-Ethik und Religiosität / Spiritualität, welche ein kluges Fazit aus den bisherigen Ethiksystemen zieht sowie aus den religiösen Praktiken, auf der Basis der Frage, was uns Menschen beglückt
- das Gewaltmonopol einer Weltpolizei, die stärker ist als jede Mafia, mit sozialkompetenten, empathischen Polizisten, kontrolliert von einer unbestechlichen Justiz, und deren Polizisten bei Gewalttaten nicht so untätig rumstehen wie derzeit die Blauhelme der UNO
- eine politische Weltföderation nach dem Prinzip der Subsidiarität: Was lokal gelöst werden kann, soll lokal gelöst werden. Dann holarchisch aufwärts: Individuum, Familie, Gemeinde, Land, Nation, Kontinent, Welt.
Und noch vieles mehr, und das alles braucht noch viel präzisere Formulierung.
Wenn ein lokaler (nationaler) Ableger einer grünen und sozialistischen Internationale ein hohes Mass dieser Ziele im Programm hätte, würde ich diesen wählen. Der Standard-Einwand gegen solche Forderungen ist, das sei ja alles schön und gut, aber nicht realisierbar, denn der Mensch sei schlecht. Wer das denkt, lese Rutger Bregmans Buch «Im Grunde gut». Dort widerlegt er diesen Einwand souverän und überzeugend auf der Basis der verfügbaren Fakten.
Zum Standardeinwand, das sei ja utopisch und ich ein Träumer: Ja, das bin ich. Ich bin ein Tag- und Nachtträumer, der manchmal luzide träumt und dabei sehr wählerisch ist. Positiver formuliert: Ich bin ein Visionär. Yes, I have a dream! Ja, es ist eine Utopie, was ich da gerade formuliert habe. Wir brauchen solche Utopien und noch viel mehr solche Träumer und luziden Visionäre! Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, ist das Realistischste das Aussterben unserer Spezies. Ein Weiter-so ist der sichere Weg in den Tod, und das wird kein schöner Tod sein. Für ein Überleben von uns Menschen ist die Abschaffung des Militärs der realistischere Weg im gegenüber dem des Aufrüstens, den die Nationen gerade befürworten.
Auch die anderen Punkte auf meiner Liste sind realisierbare Utopien, die bei der Umsetzung Sachverstand und Durchhaltevermögen brauchen. Nicht zuletzt brauchen sie auch eine starke Ausrichtung auf das Wesentliche, was in diesen Zeiten der Infofluten den meisten von uns schwerfällt.
Weil es die Partei meiner Wahl nicht gibt, wähle ich diesmal das BSW. Was unseren Kontinent Europa anbelangt, ist die Partei «Volt» immerhin föderalistisch, das gefällt mir, aber es fehlt dort ein Konzept für die Welt. Die Grünen habe ich viele Jahre lang treu gewählt. Seit sie Kriege befürworten und mit Waffenlieferungen sogar einen Genozid unterstützen, sind sie für mich nicht mehr wählbar. Die AfD ist aus anderen Gründen nicht wählbar, die will ich hier nicht aufzählen. Das BSW könnte immerhin in Koalitionen verhindern, dass weiterhin aufgerüstet wird und andere Länder von der neuen deutschen Kriegstüchtigkeit sich provoziert fühlen.
von:
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