Wider die Grüne Ökonomie

Der allgemeine Wohlstand und seine ökonomischen und ökologischen Grundlagen sind in Gefahr, die Kluft zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft wird immer größer. Das Konzept der »Grünen Ökonomie« offeriert hier Abhilfe und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Doch kann die »grüne« Technologie eine Lösung sein, wenn sie den Konsum weiter anheizt? Wenn sie noch mehr statt weniger Macht in die Hände der ohnehin schon Mächtigen legt? Und wer kommt eigentlich für die Folgekosten von Atomstrom, Fracking, Bioökonomie und anderem auf? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und Co-Autorin von „Kritik der Grünen Ökonomie“.

Frau Unmüßig, die sozialen und ökologischen Probleme der Menschheit sind immens und es muss sich dringend etwas ändern; nicht nur bei uns im Lande, sondern weltweit. Die Hoffnungen vieler, insbesondere Grüner, ruhen diesbezüglich auf der sogenannten „Grünen Ökonomie“, die Sie jedoch mit einem unlängst erschienenen Buch einer radikalen Kritik unterziehen. Wie kommt es dazu? Was stört Sie an der „Grünen Ökonomie“?
Gegen eine Grüne Ökonomie habe ich erst einmal gar nichts, wir brauchen sie dringend. Der eigentlich positiv besetzte Begriff ist aber längst von der OECD, der Weltbank, vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen und McKinsey gekapert und umdefiniert worden.
Gut daran ist, dass all diese Protagonisten der Grünen Ökonomie inzwischen akzeptieren, dass die Zukunft des Planeten gefährdet ist und ein „Weiter so“ oder „business as usual“ unseres Wirtschaftens und Konsumierens so nicht mehr geht. Dass es so nicht mehr weitergehen kann, ist längst im Mainstream angekommen. Diese Erkenntnis ist erst einmal uneingeschränkt positiv.
Die entscheidende Frage ist nun aber, welche Schlussfolgerungen man hieraus zieht: Hilft die Grüne Ökonomie wirklich, dass wir in den sogenannten planetarischen Grenzen bleiben, die wir beim Klimawandel, beim Verlust der Artenvielfalt oder bei der Stickstoffbelastung der Böden und Gewässer längst überschritten haben?
Nach der Erkenntnis, dass „business as usual“ keine Option mehr ist, beginnt diese notwendige Auseinandersetzung um das Wie der sozialen und ökologischen Transformation gerade erst.
Den Begriff der radikalen Transformation ziehe ich jenem der grünen Ökonomie dabei vor. Denn er stellt nicht alleine die Ökonomie ins Zentrum, sondern zeigt auf, dass der Wandel umfassend sein muss.

Und wie darf man sich das genau vorstellen: Dass ein gutes, wichtiges, fortschrittliches Konzept einfach „umgestaltet“, von anderen Interessen gekapert werden kann? Wie funktioniert so etwas?
Der ursprüngliche Begriff der Grünen Ökonomie kam aus eher basisbewegten oder grünen Zusammenhängen, wurde dort aber nie ernsthaft theoretisch fundiert oder ernsthaft diskutiert und verschwand alsbald wieder aus der Debatte.
Wachstums- und globalisierungskritische Diskurse sowie soziale Bewegungen streben ja eine viel umfassendere Transformation an und nicht einfach nur ein „Ergrünen“ der Wirtschaft. Dieses Ergrünen kam allerdings mit den Vorschlägen eines Green New Deals gerade seitens der UNO rund um die Finanzkrise 2007/2008 als Begriff und Idee in die Welt, jener nämlich, die Finanz- und Schuldenkrisen mit einem Grünen Investitionsprogramm zu beantworten.
Dann suchten im Vor- und Umfeld des in Rio de Janeiro 2012 wichtige globale Akteure wie die Weltbank, die OECD und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen nach einer zündenden Idee, die frischen Wind in die Debatte bringen sollte und das alte Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung ablösen sollte. Zwar ist dieser Begriff inzwischen in der Tat ziemlich inhaltsleer geworden. Anders als die Grüne Ökonomie enthält er aber zusätzlich zur ökonomischen wenigstens auch die ökologischen, sozialen und kulturellen Dimensionen für „Entwicklung“.
Insgesamt ist – auch deshalb – Grüne Ökonomie inzwischen zu einem Streitthema geworden: Einige Regierungen des Globalen Südens und NGOs stellen sich den mit ihr forcierten Entwicklungen in den Weg und machen aus verständlichen Gründen den inzwischen vollzogenen Begriffswandel nicht mit. Manche Regierungen sehen hinter dem Schleier der Umweltversprechen der neuen Grünen Ökonomie nämlich, dass sie eher ein weiteres Mal technologisch abgehängt werden könnten. Und soziale Bewegungen und NGOs kritisieren vor allem die neue Indienstnahme der Natur, ihre Merkantilisierung und lehnen den Begriff aus diesem Grunde ab.
Ein ganz handfestes Motiv für das Konzept der aktuellen Grünen Ökonomie war und ist: Globale Umweltpolitik soll fortan vor allem und ausschließlich mit ökonomischer Rationalität betrieben werden. Weniger Regulierung und weniger politische Gestaltung soll her. Außerdem – so die Argumentation – sind die öffentlichen Kassen zur Finanzierung des Schutzes öffentlicher Güter leer. Also soll es mehr denn je der Markt mit neuen, marktbasierten Instrumenten richten. Diese sollen fortan die Klima- und Biodiversitätsschutzpolitik bestimmen.
Die ökonomische Betrachtung des Klimawandels hat sich die UNO in den Klimaverhandlungen längst zu eigen gemacht. Und sie überträgt sie zunehmend auch auf andere Handlungs- und Politikfelder wie etwa den Schutz der Biodiversität. Hier machen auch die Regierungen des Südens eifrig mit, allerdings nicht unter dem Label der Grünen Ökonomie.
Und auch die Weltbank hat den Begriff der Grünen Ökonomie sehr schnell aufgegriffen. Sie spricht von inklusivem und grünem Wachstum. Hier spielen Aspekte der sozialen Entwicklung durchaus eine wichtige Rolle. Der Kern des Verständnisses ist aber eindeutig, dass Grüne Ökonomie zum neuen Wachstumsmotor werden soll. Wie die Grüne Ökonomie Verteilungsgerechtigkeit organisieren will, dazu findet sich in den Konzepten der Weltbank wenig bis nichts.

Wie verhält sich denn die Wirtschaft zur Grünen Ökonomie?
Mit den Begriffen und Bioökonomie können die wirtschaftlichen Eliten natürlich viel anfangen. Schließlich treibt es auch die Wirtschaft um, dass immer mehr Ressourcen knapper werden oder was geschieht, wenn die fossilen Energieträger wegen des Klimawandels nicht mehr genutzt werden können bzw. dürfen. Wenn zentrale Produktionsfaktoren wie Öl ausfallen, dann braucht es nicht nur Effizienz, sondern auch Ersatz, also Innovation. Deshalb legt auch der Zusammenschluss der Industrieländer, die OECD, längst Konzepte und sogar freiwillige Selbstverpflichtungen zu diesen Themen vor.
Und Grüne Ökonomie macht ja genau das: Sie sendet die frohe Botschaft: Die Wirtschaft kann grüner werden und dabei weiterwachsen! Grüne Ökonomie will gar Motor für mehr Wirtschaftswachstum sein und verspricht, dass uns die Welt, wie wir sie kennen, mit einem effizienteren und ressourcenschonenderen, eben grünen Wachstumsparadigma weitgehend erhalten bleiben kann.
Das Konzept suggeriert, Ökologie und Ökonomie könnten endgültig versöhnt werden – und zwar unter dem Primat der Ökonomie. Ökonomie ist dabei das Ganze, Ökologie nur ein Teilsystem, nicht umgekehrt… Marktversagen, als das der Klimawandel zum Beispiel auch vom früheren Weltbankchefökonomen Sir Stern bezeichnet wurde, soll also durch noch mehr Markt korrigiert werden.

Das kritisieren Sie ja in aller Deutlichkeit auch in Ihrem Buch: Dass die Grüne Ökonomie die Natur letztlich vollends der Ökonomie unterwerfen, also in den Markt integrieren will. Aber ist es denn nicht eine gute Strategie, der Natur endlich auch einen ökonomischen Wert zu geben? Was passt ihnen daran nicht?
Ganz neu ins Spiel kommt mit der Grünen Ökonomie in der Tat die Strategie, nun auch das zu ökonomisieren, was bislang ökonomisch nicht bewertet und monetarisiert worden ist, zum Beispiel sogenannte wichtige Ökosystemdienstleistungen wie etwa die Speicherung von Kohlendioxid durch Bäume und Pflanzen oder die Filterung von Wasser.
Diese Denke ist bereits in den Instrumenten des Klima-, Wald- und Biodiversiätsschutzes verankert. Das ist also längst keine akademische Debatte mehr, sondern ganz reale Politik öffentlicher Geber und privater Akteure und auch von großen Naturschutzorganisationen.
Annahme hierbei ist: Wir zerstören die Natur, weil sie keinen Preis habe und deshalb für das ökonomische Auge unsichtbar sei. Würden vor allem Natur und ihre sogenannten Dienstleistungen endlich ökonomisch in Wert gesetzt werden, würde sich das ändern. Natur soll nun nicht mehr als Ökosystem oder Natur als Biodiversität betrachtet werden, sondern als Naturkapital.
Damit das möglich wird, wird Natur neu gemessen, erfasst, ökonomisch bewertet und verrechnet. Die „Werte“ der Natur sollen für die Volkswirtschaft, für das Bruttoinlandsprodukt erfasst und sichtbar werden. Damit wird die Hoffnung verbunden, dass politische Entscheidungen gegebenenfalls zugunsten von Naturerhalt und Biodiversitätsschutz getroffen werden. Eine höchst zweifelhafte Annahme, wie wir finden, unterliegt der Naturschutz doch heute bereits in der Regel ökonomischen Interessen. Soja- oder Maisanbau, Bergbau, Infrastruktur-Flächenverbrauch durch landwirtschaftliche Nutzung oder Bauen rangieren fast immer vor den Schutzanliegen.
Und im globalen Klima- und Waldschutz hat die Möglichkeit, Kohlendioxid relativ gut zu erfassen und zu messen, etwa dazu geführt, dass Kohlendioxid zu einer Art einer abstrakten, neuen Währung geworden ist, ausgedrückt in Kohlendioxid-Äquivalenten. Gemessen werden die Emissionen, aber längst auch die Fähigkeit eines Blattes am Baum, Kohlendioxid zu speichern. Kohlendioxid bekommt einen Preis und kann über Zertifikate nun sogar gehandelt werden. Emissionen aus Verbrennung vor unserer Haustür werden dann einfach mit der Kohlendioxid-Speicherung verrechnet.
Das ist aus unserer Sicht höchst problematisch und öffnet neuen sozialen Ungerechtigkeiten und negativen ökologischen Folgen Tür und Tor: Emissionen bei uns werden nun zum Beispiel mit Projekten, die Kohlendioxid binden sollen, verrechnet, gerade auch im Globalen Süden. Es gibt längst zahlreiche Beispiele in Afrika, Asien und Lateinamerika, die dokumentieren, wie im Namen eines solchen Klima- und Naturschutzes Indigene und Kleinbauern vertrieben und etwa gigantische Flächenregenwälder abgeholzt werden. Mit dieser neuen privaten Aneignung von Natur – denn Zertifikate brauchen Eigentümer – verlieren viele Menschen ihre Lebensgrundlagen.
Das alles wird zudem aus guten Gründen auch als Ablasshandel bezeichnet, wird hierdurch doch verhindert, dass wir hier bei uns schneller aus den fossilen Energien aus- und in die erneuerbaren einsteigen.
Machen wir uns bewusst: Dieser Form der Inwertsetzung von Natur über den Kohlendioxid-Preis liegt letztlich die Zerstörung von Natur oder die weitere Belastung der Atmosphäre zugrunde, die sie marktförmig organisiert statt die Atmosphäre und die Natur zu schützen: Diese Perspektive führt zwangsläufig zu einem äußerst selektiven Blick auf die Natur, nämlich nur noch auf das, was ökonomisierbar ist. Als „Natur, die das Kapital sehen kann“ hat das richtigerweise ein Umweltökonom schon in den 90er Jahren kritisiert. Nicht mehr das ganze Ökosystem kommt dabei als Schützenswertes in den Blick, sondern nur noch einzelne monetarisierbare „Dienstleistungen“.
Auch wird mit den Verrechnungen auf globaler Ebene, die auch als Offsetting bezeichnet werden, ganz Ungleiches miteinander verglichen. Wenn ich hier ein Habitat, ein Moor oder einen Wald zerstöre, dann sind sie ja erst einmal hier weg und gibt es sie auf einem anderen Kontinent nicht auf vergleichbare Art. Ökosysteme zeichnen sich doch eben dadurch aus, dass sie extrem standortgebunden sind, am Ort wirken und vielfältige soziale, kulturelle und spirituelle Funktionen entfalten können. Wir kritisieren das als äußerst fatalen Weg, den die Grüne Ökonomie hier vorschlägt.
Im Buch äußern wir uns auch zum Mantra der Kohlendioxid-Preise als wichtige Strategie im Klimaschutz ausführlich. Und natürlich setzen wir uns auch intensiv mit dem Technologieoptimismus und der Marktgläubigkeit, die der Grünen Ökonomie zugrunde liegen, auseinander.
Unsere Überzeugung ist: Zu glauben, alleine mit Grünem Wachstum umsteuern zu können, halten wir für ein großes Glaubens- und Ausblendungsprogramm. Die notwendige Transformation muss radikaler ausfallen. Gerecht, besser und weniger heißt dabei der Dreiklang, dem sich die Suchprozesse nach einer anderen Wirtschaft und Gesellschaft zu stellen haben.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Barbara Unmüßig, geboren 1956 in Freiburg im Breisgau, ist Politologin und Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihr berufliches Engagement für internationale Gerechtigkeit und globalen Umwelt- und Klimaschutz nahm 1983 seinen Anfang als Redakteurin der nord-südpolitischen Zeitschrift „“ und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Aktion Dritte Welt e. V. in Freiburg. 2000 war sie Mitgründerin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) und war von 2001-2016 Mitglied im Kuratorium, seit 2009 stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende.

Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.

07. Mai 2016
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