Wie halten Sie's mit der Neutralität? (12)

«Wir Schweizer sollten neutral sein und das sehr konsequent. Nicht diese weich gewaschene Cassis-Neutralität. Aber dazu braucht es Mut und ein erweitertes Bewusstsein.» Zwölfter Teil der Antworten auf unsere Leserumfrage.

Leserumfrage
Umfrage: Dürfen wir heute noch neutral sein? Oder müssen wir es sogar? Visual: Nicole Maron

Was bedeutet es für Sie heute, neutral zu sein? Was wünschen Sie – oder fordern Sie von der Politik? Dürfen wir uns heraushalten aus Kriegen? Welche politische Haltung finden Sie angebracht – für die Schweiz oder für Deutschland – auch angesichts der ökonomischen Verflechtungen und Bündnisse? Welche Einflussnahme hat ein neutraler Staat heute?

Danke für die vielen, auch kontroversen Antworten, von denen wir auch heute einige veröffentlichen...

Mut und erweitertes Bewusstsein

Wir Schweizer sollten neutral sein und das sehr konsequent. Nicht diese weich gewaschene Cassis-Neutralität. Aber dazu braucht es Mut und ein erweitertes Bewusstsein. Ohne die beiden geht es nicht. Es braucht dazu auch keine Parteien und keine Politiker mehr. Parteien müssen ja parteiisch sein, sonst wären sie keine Parteien. Und Politiker müssen den Lobbyisten und dem Filz (Parteien) gehorchen, sonst wären sie keine Politiker.

Ohne erweitertes Bewusstsein unter dem Souverän ist eine klare Neutralität ebenfalls nicht möglich. Vermutlich setzt eine echte Neutralität auch eine echte Demokratie voraus. Was wir schon lange nicht mehr haben. Eine echte Demokratie setzt ebenfalls einen wachen Souverän voraus.

Roman Böhringer


Aus dem Blickwinkel der Physik

Ich sehe die Neutralität aus dem Blickwinkel der Physik. Wenn etwas neutral ist, lässt es sich durch nichts anziehen oder abstossen. Es verharrt in seinem Standpunkt.

Demzufolge können Politiker nicht neutral sein, da sie die Politik zu ihren eigenen Gunsten manipulieren wollen. Ich fordere gar nichts von der Politik, ich fordere nur etwas von den Politikern: Macht euren Job und lasst euch von der Politik führen, hört auf die Politik zu beeinflussen. Denn ihr seid nur ausführende Organe, und nicht richtungweise Manipulatoren der Politik. Das ist ungefähr so wie wenn ein Zugbegleiter den Fahrplan der Züge beeinflusst.

Auf die Frage, ob wir uns aus Kriegen heraushalten «dürfen»: Wir müssen uns heraushalten, da wir sonst die Netralität verlassen. Denn wenn jemand sich auf eine Seite stellt, ist er nicht mehr neutral!

Die politische Haltung gibt es gar nicht, es ist die Haltung, die Politik macht! Ich verstehe auch nicht, wie jemand auf die Idee kommt, dass Politik etwas Eigenständiges ist. Politik ist nur die Auswirkung von Handlungen.

Juerg Wyss


Alle Seiten einbeziehen

«Klar Stellung beziehen» muss meines Erachtens auch aus einer neutralen Haltung möglich sein. Dabei ist es aber immer wichtig, dass beide resp. alle Seiten inkl. Vorgeschichten für die Stellungnahme/Kritik miteinbezogen werden.

So zB auch im Ukraine-Krieg. Daniele Ganser – der nicht nur ein exzellent recherchierender Historiker, sondern freizeitlich auch ein bekennender Fussballfan ist – verteilte darum bereits zu Beginn dieses Krieges symbolisch 3 rote Karten: Je eine
- an den ehemaligen US-Präsidenten Barak Obama (weil der Putsch auf dem Maidan anno 2014 von der US- (also seiner) -Regierung erwiesenermassen «gesponsort» war, siehe. dazu zB im Infosperber).
- sowie an den ukrainischen Präsidenten Selensky (weil er entgegen seiner Wahlversprechen den Bürgerkrieg in seinem Land – eine Folge des genannten Putschs, welchem bis 2022 bereits 14'000 Menschen zu Opfer gefallen waren – nicht beendete)
- und an den russischen Präsidenten Putin, weil er seine Armee am 24.2.22 völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschieren liess.

Falls mit «keine Gesprächsbereitschaft» Ukraine/Russland gemeint waren: am 29. März 2022, also nur rund einen Monat nach Kriegsbeginn, fanden in Istanbul erfolgreiche Friedensverhandlungen zwischen Selensky und Putin statt. Doch die Friedensbemühungen wurden vom Westen resp. von der US- und der britischen Regierung verhindert. Der Westen sei nicht bereit, den Krieg zu beenden, teilte Boris Johnson dem ukrainischen Präsidenten am 9. April 2022 mit. Womit die Verhandlungen gestorben und der fatale Krieg seinen weiteren Verlauf nahm. Detailliert nachzulesen in der Emma vom 3.3.2023.

Für mich verbietet Neutralität es grundsätzlich, Waffen zu liefern, ohne Ausnahme. Frieden wurde meines Wissens noch nie durch Waffen geschaffen, sondern nur durch Verhandlungen. Und Wirtschaftssanktionen sind zudem auch schon eine Form von Kriegshandlungen.

Gerda Tobler

Visual

 

30. Januar 2024
von: