Wieviele Stellvertreter kämpfen in der Ukraine und wofür?
Die NATO-Erweiterung geschieht nicht auf Wunsch neuer Mitglieder, sondern auf Einladung, vor allem der USA, des führenden Mitglieds. Welche Interessen verfolgen sie, wenn sie mit neuen Mitgliedern neue Risiken eingehen und ihre eigene Sicherheit gefährden?
«Die Länder können ihre Bündnispartner selber wählen und sind frei, der NATO beizutreten oder nicht.» So oder ähnlich lautet die Antwort, wenn die Aufnahme der Ukraine oder von Georgien als Akt der gewollten Bedrohung der NATO gegenüber Russland bezeichnet wird.
Nach dieser Lesart geschieht die NATO-Osterweiterung auf Initiative der betroffenen Staaten. Stimmt das wirklich? Die genaue Lektüre des Nordatlantikvertrags liefert aufschlussreiche Antworten.
NATO-Mitglied wird man auf Einladung, nicht auf Antrag. Art. 10 des Nordatlantikvertrags formuliert in dieser Hinsicht unmissverständlich:
«Die Parteien können durch einstimmigen Beschluss jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen, zum Beitritt einladen.»
Der Beitritt zur NATO ist ein Willensakt, aber nicht primär des kandidierenden Landes, sondern der bestehenden Mitglieder und unter ihnen ganz besonders der USA. Für die Staaten in Europa macht es durchaus Sinn, als Antwort auf eine reale oder hochgespielte russische Gefahr, weitere Mitglieder anzuwerben und die eigenen Reihen zu schliessen, selbst wenn dadurch das Risiko des Bündnisfalls erhöht wird. Für die USA sieht die Situation ganz anders aus.
Die «Washington Treaty», wie der Nordatlantikvertrag aufgrund seines Gründungsortes auch genannt wird, ist ausdrücklich ein Verteidigungsbündnis, das 1949 gegen die Sowjetunion abgeschlossen wurde. Die Mitglieder schützen sich gegenseitig, indem ein Angriff auf ein einzelnes Mitglied als Angriff auf alle behandelt wird und eine gemeinsame militärische Antwort auslöst – der sog. Bündnisfall.
Die USA sind Depositarstaat; ein Beitrittsgesuch wird erst wirksam, wenn es bei der US-Regierung hinterlegt wurde und die übrigen Mitglieder über diese Tatsache informiert wurden. Die USA haben also das letzte Wort.
Zudem stellen die USA vertragsgemäss den Oberbefehlshaber. Der Vertrag «gehört» gewissermassen ihnen. Man kann daraus schliessen, dass der Nordatlantikvertrag die Sicherheitsbedürfnisse und die Verteidigungsfähigkeit der USA stärken sollte.
Es kann also nicht im Interesse der USA sein, Mitglieder in die NATO aufzunehmen, die die Risiken eines Kriegsfalls erhöhen, die Sicherheit der USA aber nicht bedrohen. Ein russischer Angriff auf den Beitrittskandidaten Georgien beispielsweise bedroht die USA nicht. Durch den Vertrag würden sie aber zu einer militärischen Aktion gegen Russland gezwungen.
Ein kleines, aggressives Land kann die Ursache eines nuklearen Weltkriegs werden. Das ist zwar von den Beitrittskandidaten Finnland und Schweden nicht zu erwarten. Aber ein Vorteil für die USA ist ihre Mitgliedschaft trotzdem nicht.
Der konservative US-Politiker und Publizist Pat Buchanan schrieb zum NATO-Beitritt von Finnland und Schweden Mitte Mai unter dem Titel «Why Would US Give a War Guarantee — to Finland?» Folgendes:
«Warum sollten die Vereinigten Staaten zustimmen, gegen Russland, die grösste Atommacht der Welt, in den Krieg zu ziehen, weil es die Grenzen Finnlands verletzt hat? Finnland ist nicht Alaska; es ist nicht Kanada; es ist 5000 Meilen entfernt. Und niemand hat jemals während des Kalten Krieges oder in den Jahrzehnten danach behauptet, dass Finnland von vitalem Interesse für die USA sei. Warum also sollten wir im Voraus zustimmen, wegen Finnland in einen Krieg mit Russland zu ziehen?…
[Präsident Biden] überlässt Finnland, einem Land mit 5,5 Millionen Einwohnern und einer 830 Meilen langen Grenze zu Putins Russland, das Recht, die Vereinigten Staaten von Amerika zu verpflichten, gegen Russland in den Krieg zu ziehen, wenn Russland Finnland angreift.
Welcher Patriot würde sein eigenes Land auf Dauer verpflichten, im Namen eines anderen Landes, das nicht sein eigenes ist, in den Krieg zu ziehen? Warum sollte Amerika den Finnen die Handlungsfreiheit bei der Entscheidung überlassen, ob wir gegen ein atomar bewaffnetes Russland kämpfen wollen oder nicht? …
Eine grundlegende Frage muss beantwortet werden: Warum erweitern wir 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch die NATO?
Russland stellt keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten dar. Was die Bedrohung angeht, die es für seine europäischen Nachbarn darstellt, so sollen sie sich damit befassen. Zusammengenommen ist das NATO-Europa weitaus bevölkerungsreicher und wirtschaftlich stärker als Russland und militärisch in der Lage, für seine eigene Verteidigung zu sorgen.
Warum sollte dies mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges – und es werden immer mehr – unsere Pflicht sein?»
Zusätzliche NATO-Länder stellen also für die USA ein Sicherheitsrisiko dar, das sie, wenn es tatsächlich um die Verteidigung ihres Landes ginge, vermeiden sollten. Warum tun sie es nicht? Aus Nächstenliebe? Aus Sorge um die Demokratie?
Die einzige logisch konsistente Antwort: Weil die NATO eben kein reines Verteidigungsbündnis von Staaten ist, sondern etwas anderes schützt oder ganz anderen Zwecken dient. Diese kennen wir allerdings nicht genau, sondern können sie nur aus ihren Handlungen ableiten.
Was verteidigen die USA mit der NATO? Oder anders gefragt: Gegen welche Bedrohung richtet sich die NATO? Die letzten Kriege der NATO oder ihrer Mitglieder geben in Abwesenheit konkreter Antworten vielsagende Hinweise:
- 2001 wurde gegen Afghanistan Krieg geführt, weil Osama bin Laden – ein Saudi – angeblich von dort aus den Anschlag auf das World Trade Center durchführte, ein wahrheitswidriger Vorwand. In Tat und Wahrheit ist Afghanistan im eurasischen Schachspiel strategisch wichtig gelegen und stand schon länger als mögliches Kriegsziel auf der Liste der USA.
- 2003 marschierten die USA, unterstützt von Grossbritannien, im Irak ein, angeblich wegen Massenvernichtungswaffen, die sich als Chimäre erwiesen. Was der irakische Machthaber Saddam Hussein aber wollte: Öl für Euro statt Dollar verkaufen.
- Dieselbe Todsünde begingen ein paar Jahre später Libyen und Syrien und erhielten ebenfalls eine militärische Antwort.
Die NATO verteidigt also in Tat und Wahrheit die geopolitische Stellung der USA und den Dollar als Weltreservewährung. Ihre Währung gibt den USA die Möglichkeit, mit selbst gedruckten Dollars ihre Macht auszubauen. Weil der übrige Westen diese Dollars in Reserve hält – statt sie in den USA auszugeben – können die USA auf Kosten Dritter aufrüsten und in Ländern wie der Ukraine Offensivkräfte aufbauen.
Die Stellung des Dollars als Weltreservewährung hängt nicht nur von der US-Militärmacht, sondern auch von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der USA ab. Dabei stecken sie im Triffin-Dilemma, benannt nach dem belgisch-amerikanischen Ökonomen Robert Triffin. Beim Triffin-Dilemma geht es um Folgendes:
Man will mit seinen Dollars ja etwas kaufen können. Aber ein verschuldetes Land kann nicht liefern.
Damit der Dollar als Welthandels- und Reservewährung überhaupt funktionieren kann, muss er auch ausserhalb der USA in genügender Menge vorhanden sein. Das ist nur möglich, indem sich die USA verschulden, d.h. mehr Waren importieren als exportieren und mit frisch gedruckten Dollars (ohne Deckung durch eigene Leistung) bezahlen. Auf der anderen Seite ist eine Währung nur stabil, wenn das Land, das sie herausgibt, eine ausgeglichene Leistungsbilanz ausweist. Man will mit seinen Dollars ja etwas kaufen können. Aber ein verschuldetes Land kann nicht liefern.
Anstatt zu liefern kann man auch erobern – das ist die amerikanische «Lösung» des Triffin-Dilemmas. Wer über Ressourcen verfügt, die man mit Gewinn verkaufen kann, stärkt den inneren Wert seiner Währung. Das ist es, was die USA mit dem Ressourcenweltmeister Russland seit dem Fall der Sowjetunion versuchen.
Jelzin willigte in den Ausverkauf über vom Westen finanzierte Oligarchen ein. Putin setzte dem ein Ende und wollte vom Westen zunächst partnerschaftlich und auf Augenhöhe behandelt werden. Als das nicht funktionierte, verschärfte sich ab 2007 die Eskalation. Die USA förderten erfolglos den regime change in Russland und bauten die Ukraine als Aggressor an der russischen Grenze auf. Putin liess neue Waffen entwickeln, wohl ahnend, dass die Sache letztendlich auf dem Schlachtfeld entschieden würde.
Ursache der NATO-Osterweiterung ist also nicht primär das Schutzbedürfnis der europäischen Staaten, sondern das vitale Interesse der hinter dem Dollar stehenden Kräfte, ihre auf fiktiven Werten beruhende Währung durch Militärmacht zu schützen und durch Eroberung von Ressourcen zu retten.
Wir haben es in der Ukraine also mit einem mehrfachen Stellvertreterkrieg zu tun. Gegen Russland kämpft die Ukraine in Vertretung der europäischen NATO-Staaten, die für die USA den Kopf hinhält, die wiederum im Interesse der Wallstreet und der City of London die diplomatische und wirtschaftliche Drecksarbeit leistet.
Es ist also letztendlich ein Krieg zwischen dem Dollar und einer neuen Weltwährung mit dem russischen Rubel und dem chinesischen Yuan, gesichert durch Ressourcen und Edelmetall. Wenn das Reale gegenüber dem Fiktiven letztendlich obsiegt – was in einer freien Welt zu erwarten ist – dann ist der Ausgang dieses Währungskrieges sicher.
Die Alternative der Eliten ist der Great Reset, mit dem sie das Fiktive mit Gewalt zur Realität machen wollen. Ihr Plan wird gelingen, wenn die Angst vor ihren aufgeblasenen Bedrohungen uns lähmt. Und wenn wir uns von den Mainstream-Medien desinformieren lassen.
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