Workaway: Welterkundung und Wanderarbeit 2.0
Warum sollen die jungen Leute den ganzen Spass haben? Sollte ihnen allein auch jene neue Art des Reisens & Arbeitens vorbehalten sein, die über www.workaway.info wie Fernweh-Porno angeboten wird? Das Angebot lädt zu einer Neu-Evaluierung des Lebens ein, denn hier werden nicht Arbeitsfelder vorgestellt, sondern Lebensentwürfe präsentiert.
Da stehe ich nun mitten in den Alpujarras, den Bergen Andalusiens, Spitzhacke in der Hand und Schmerzen im Kreuz, und schaue auf das kleine Örtchen Cadiar hinunter. Ich würde diesen beschaulichen Anblick noch mehr geniessen, wenn ich nicht so erschöpft wäre. Aber so ist das halt bei uns Schreiberlingen: Stundenlanges Sitzen vor dem Laptop trainiert nicht jene Muskeln, die man für «echte» Arbeit braucht.
Das hätte ich mir eigentlich schon im Vorfeld denken können, doch die Neugier war wieder einmal stärker – die und die Lust, die Welt auf eine völlig neue Art kennenzulernen. Als passionierte Reisende und ehemalige Reiseleiterin kenne ich viele Arten, diesen schönen Planeten zu erkunden: zu Wasser, zu Lande und in der Luft, mit Backpack oder pauschal, geplant oder spontan. Ebenso kenne ich den Unterschied zwischen Reisenden (Menschen, die Zeit haben) und TouristInnen (solche ohne).
Wenn ich den Winter mit meinem Laptop in Asien verbringen, dieselbe Arbeit wie daheim stemme und dabei Land und Leute innig kennenlerne, fühle ich mich sogar einen Level höher, als Gast. Hier in Spanien erlebe ich mich nun erstmals als eine Art von Gastarbeiterin.
Warum, dachte ich nämlich kurz zuvor, sollen die jungen Leute den ganzen Spass haben? Reicht es nicht, dass wir ihnen Klimakrise und Kriege hinterlassen und dafür an ihrer Ausbildung sparen? Sollte ihnen allein auch jene neue Art des Reisens & Arbeitens vorbehalten sein, die über www.workaway.info wie Fernweh-Porno angeboten wird?
Auf dieser Plattform treffen sich Leute, die fremde Länder erkunden und gern dafür vor Ort arbeiten wollen, und GastgeberInnen, die sie bei sich aufzunehmen bereit sind. Kost, Logis und menschlicher Anschluss gegen fünf Stunden Arbeit pro Tag an fünf Tagen die Woche bei freiem Wochenende, das ist der Deal.
Die Auswahl ist riesig und aktiviert nicht nur das Reisefieber, sondern spricht mich auf einer geradezu existentiellen Ebene an. Würden nur Saisonkräfte für die Ernte, Fachleute für Webseite oder Renovierung, Betreuung für Ältere oder Hilfe im Haushalt gesucht werden, wäre es einfach. So aber lädt das Angebot regelrecht zu einer Neu-Evaluierung des Lebens ein, denn hier werden nicht Arbeitsfelder vorgestellt, sondern Lebensentwürfe präsentiert.
Ich könnte zwischen freilaufenden Findlingstieren leben, wenn ich keinen Wert auf «Creature Comfort» legen würde – zumindest nicht den eigenen. Ich könnte Permakultur erlernen und so, heisst es wortwörtlich, mithelfen, die Welt zu retten. Wann immer von DIY-«Do it yourself» -Projekten die Rede ist, hat sich jemand einen Lebenstraum erfüllt, ein abgerocktes Häuschen auf dem Land erworben – und verzweifelt nun daran, die Baracke bewohnbar zu gestalten.
Viele suchen ein Au Pair – das nennt sich dann: «Werde Teil unserer Familie» oder «Geniesse Leben und Surfen mit uns.» Manche suchen auf diese Weise auch einfach Gesellschaft – für sich oder auch ihr geliebtes Haustier, das sie wegen der Arbeit den ganzen Tag allein lassen müssen.
Gerade wenn man selbst nicht mehr reisen kann, verrät mir eine alte Dame, holt man sich auf diese Weise die Welt ins Haus. Die Unterkünfte sind so individuell wie die Stationen: luxuriös oder rustikal, im Einzel-Caravan oder Multi-Matratzenlager, im Haus der «Hosts» oder ausgelagert.
Workaway ist keine Vermittlungsagentur, sondern eine virtuelle Begegnungsstätte, die man für ein geringes Entgelt jährlich nutzen kann. Wie für mich gemacht, dachte ich noch – und dann empfahl ich meine neue Entdeckung Lili. Mit 21 hatte diese eben ihre Ausbildung beendet und wollte die Welt sehen. Lili brach also auf, sammelte an vier verschiedenen Stationen Erfahrungen und hatte nach Rückkehr nur Erfreuliches zu berichten. Da hielt ich es nicht länger aus und versuchte es selbst. Um mitzumischen, musste ich ernsthaft überlegen, über welche Fertigkeiten ich verfüge, mit denen Menschen in anderen Ländern geholfen wäre. Ich habe zwei linke Hände, dafür grüne Daumen, beherrsche Yoga und koche passabel – vielleicht wird das ja irgendwo gebraucht?
Ausserdem kann ich auf – möglicherweise unbegründete - nationale Vorurteile verweisen: zuverlässig, pünktlich und ordentlich, «deutsch» halt. Ausserdem etwas älter und daher erfahren und früh im Bett, vielleicht hilft das ja.
Paradies in der Entstehung
Meine erste workaway-Station ist bei Jo und Jake, einem Ehepaar aus London. Früher sind die beiden als Strassenkünstler in aller Welt aufgetreten, jetzt arbeiten sie an ihrem persönlichen Paradies für den Ruhestand. In einem Taleinschnitt nahe Orgiva, eine gute Stunde vom wunderschönen Granada entfernt, fanden sie ein bezahlbares Stückchen Land mit Oliven- und Eukalyptusbäumen sowie einem «hässlichen Schuppen» (die offizielle Bezeichnung).
Das Städtchen Orgiva ist etwas Besonderes, einst Magnet für Hippies und heute für AussteigerInnen aus ganz Europa. Nur eine Viertelstunde Autofahrt weiter kosten Grund und Boden deshalb auch nur ein Drittel, verraten mir die Einheimischen. Das Paradies in spe ist dann doch rustikaler, als ich erwartet hatte. Der Schuppen hat ein enormes, breites Tor aus Metall, das horizontal zweigeteilt ist, und wenige kleine Fenster. Sicher angenehm im Sommer, wenn die gleissende Sonne das ganze Tal frittiert. Doch im Winter mit seinen beissend kalten Nächten fühlt man sich hier, als sässe man in einer Garage fest. Es gibt drei Räume: eine grosse Wohnküche, in der wir uns abends alle um den Holzofen drängen und von der ein kleines Bad abgeht; ein Schlafzimmer für die Jungs und ein weiteres Zimmerchen, das ich mir mit der nachtaktiven und lautstarken IT- und Stromanlage teile. Jo und Jake haben eben erst eine neue Holzjurte nebenan bezogen.
Wir arbeiten von 9:30 Uhr, wenn es endlich warm wird, bis ca. 14:30, wenn Jo ein leckeres Mittagessen auf den Tisch stellt. Beim Abwasch wechseln wir uns ab. Die ersten Tage bin ich solo unterwegs und ernte all jene Oliven, die nach einer reichen Ernte noch an den Bäumen hängen. Dann werden sie mit einem Messer aufgeschlitzt und zwei Wochen lang zum Entbittern in Wasser eingelegt, das täglich gewechselt wird. Im Anschluss, sagt Jake, soll ich gemeinsam mit Arthur, dem Neuen aus Frankreich, die Olivenbäume schneiden. Wie das geht, würden wir auf youtube erfahren. Ich sträube mich entschieden, denn ich will ja nichts falsch machen. Jake ist da pragmatischer. Bezahlte Arbeitskräfte können sie sich nicht leisten, und dafür nehmen sie eben in Kauf, dass ungelerntes Personal auch mal Fehler macht. Im Endeffekt bepflanze ich zwei kleine Hochbeete und häcksle etliche Kubikmeter Astschnitt, was mir erstaunlich viel Spass macht.
Neben Arthur arbeitet hier schon seit Wochen Stephen. Der Mitdreissiger baut eine Alberca, einen Wassertank so gross wie ein Pool, ohne die hier gar nichts ginge. Mit seinen beachtlichen handwerklichen Fähigkeiten könnte der Kanadier daheim gutes Geld verdienen. Doch eine Festanstellung, die ihn an einen Ort bindet und nur einmal im Jahr Ausflüge in die weite Welt erlaubt, würde ihn deprimieren, erzählt er. «Aber ich stelle gern meine Fähigkeiten anderen Leuten zur Verfügung, die sie brauchen.» Da man «einen Monat lang alles ertragen kann», verpflichtet sich Stephen immer erst einmal für vier Wochen, dann entscheidet der Wanderarbeiter, ob er bleibt oder weiterzieht.
Da er dank seiner Kompetenzen stark nachgefragt ist, hat er schon rund 20 verschiedene Stationen über workaway kennengelernt und dabei nur eine schlechte Erfahrung gemacht: «Die Leute haben uns als Billigarbeiter regelrecht ausgebeutet. Für Dusche und Trinkpausen gab es exakte Zeitpläne.» Arthur ist mehr ortsgebunden, allerdings nur im Sommer, wenn er mit Gleichgesinnten auf einem Berghof lebt. Den eisigen Winter dort tauscht er gern gegen Diensturlaub im Warmen.
Workaway haben Jo und Jake über ihre junge Freundin Hanna aus Island kennengelernt. Die hat die Plattform genutzt, als sie als alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes reisen wollte und es sich anders nicht leisten konnte.
«Das Kind war kein Hindernis, die Leute lieben Kinder», berichtet sie. Einige ihrer Jobs habe sie nur dank der Kleinen bekommen. Sie übernachtet bei uns, um mich am Morgen der Abreise zum Bus zu fahren, denn zu Fuss wär das ein Stück, und Jakes Wagen steht im Ort. Dafür startet sie ihr unzuverlässiges altes Auto schon zehn Minuten vor der Abfahrt.
Komfort, Kompetenz und Kochen
Die Unterkunft meiner zweiten Station ist wesentlich komfortabler, ich geniesse ein nagelneues Bett in einem nagelneuen Zimmer in einem nagelneuen Häuschen. Dafür soll ich in dem wohl einzigen schattigen Eck hier einen Garten anlegen. Zwei Tage lang räume ich wie wild Steine auf die Seite. Dann eine Planänderung: Ein Nachbar wird sich mit seinem Bagger drum kümmern. War mein Einsatz nur eine unausgegorene Beschäftigungsmassnahme? Ich vermute es.
Cathy lebt schon seit 20 Jahren in Spanien, betreibt einen florierenden Online-Handel mit spanischen Spezialitäten in den USA und sich vor zwei Jahren ein Stückchen Land hier gekauft. Dort hat sie zwei kleine Häuschen gebaut, liebevoll Casitas genannt, auf deren Terrasse man unglaubliche Sonnenaufgänge erlebt. Wenn es einen denn so früh schon in die Kälte zieht. Ansonsten liegen die Casitas sehr einsam. Cadiar ist ein knappes Stündchen zu Fuss entfernt; der Rückweg bergauf dauert entsprechend länger. Ich vermute, dass Cathy die workawayer hauptsächlich zur Gesellschaft bei sich aufnimmt. Sie rechnet mir vor, dass es sie im Grunde billiger käme, Handwerker zu bezahlen, als in die nächstgrössere Stadt zu fahren, um Materialen zu besorgen, damit ihre workawayer die Arbeit erledigen können, und diese ständig neu anzuleiten.
Es gibt tatsächlich viel zu tun, doch vor allem körperlich sehr fordernde Arbeit. Arlene aus Kanada und ich lockern mit Spitzhacken die Erde um gefühlt 200 Obstbaumsetzlinge auf, die trotz Tröpfchenbewässerung zu stahlhartem Zement verbacken ist. Wenn uns nach drei qualvollen Stunden die Luft ausgeht, hat Cathy echte Probleme, leichtere Arbeit für uns aufzutun. Ali, ein Schreiner aus Sydney Anfang 30, seit einem Jahr mit workaway auf der Welt unterwegs, tut sich mit seinen klar umrissenen Aufgaben leichter. Yves aus Frankreich, mit 70 der Älteste – und auch Fitteste – unserer kleinen Arbeitsfamilie, ist in Thailand verheiratet, wo er auch lebt, wenn ihn nicht die Liebe zum Bergwandern in die alte Heimat treibt.
Tagsüber bedient er versiert die Kettensäge, und nach Feierabend läuft er ins Dorf hinunter und kehrt mit Wein und Leckereien zurück, die er mit uns teilt. Mit der 60jährigen Arlene, einer verheirateten Künstlerin, verstehe ich mich am besten. Sie hat sich eben daheim ein Stück Land zugelegt, wo sie mit Hilfe von workawayern Lehmhäuser bauen will. (Besitzen denn ausser mir alle ein Stück Land?) Bei Cathy will sie lernen, was eine gute Gastgeberin ausmacht.
Ob das die beste Idee ist? Cathy hat sehr klare Vorstellungen davon, wie der Gasherd geputzt und ein Schneidebrett benutzt werden soll, und ihre Meisterkochmesser sind für uns tabu. Nicht die besten Voraussetzungen, um mit ständig wechselnder, unbedarfter Hilfe glücklich zu werden. Zudem kann sie als ehemalige Redakteurin eines Kochmagazins nicht einfach schnell mal was kochen, sondern bereitet uns täglich ein aufwändiges Festmahl zu … auf das wir mit knurrenden Mägen gut zwei Stunden warten. Unterm Strich schenkt mir auch diese Station eine schöne, einsame, anstrengende, lehrreiche und einzigartige Erfahrung.
Workaway.info wird sicher nicht zur Konkurrenz für den konventionellen Arbeitsmarkt.
Die Vision vom anderen Reisen
Die Menschen hinter workaway sind «mit einer Mission unterwegs», wie sie auf ihrer Webseite verkünden. Mit den Beitragsgebühren werden nicht nur die Seiten betrieben, sondern auch soziale und nachhaltige Projekte weltweit unterstützt. Die Vision dahinter ist, eine Community von Reisenden aufzubauen, die anders reist, die Welt anders erfährt und sich dort, wo sie unterwegs ist, auch einbringt. Was ein beachtlicher Anspruch ist, wenn man bedenkt, wie wenig sich die Leute in der Regel dort, wo sie daheim sind, einzubringen bereit sind.
Das Konzept veranschaulicht, dass wir alle eine grosse globale Familie sind. Will sagen: man reibt sich gelegentlich auch aneinander, sieht die eigene Privatsphäre nicht gewürdigt und verletzt unwissentlich die der anderen. Wer hier mitmachen will, muss offen und flexibel sein; bereit, die eigene Komfortzone zu verlassen, Erwartungen zu hinterfragen und Neues zu lernen. Dies gilt für beide Seiten, die Dienstreisenden wie auch die Wanderarbeitgebenden.
Die andere Seite
Kein Vierteljahr später trete ich selbst als Gastgeberin auf, in den Ohren noch die Mären, die ich von anderen Hosts gehört habe. Eine Workawayerin habe nicht angekündigt, dass sie vegan lebe, und als sie ankam, gab es für sie nichts zum Essen im Haus. Ein anderer sei nach einer Nacht wieder auf und davon, ohne ein Wort zu sagen. Eine weitere sei so unselbständig gewesen, dass man ihr, als sie sich über die starke Sonne beklagte, erst sagen musste, sie möge doch im Schatten arbeiten. Und etliche würden ohnehin sehr kurzfristig absagen oder gleich gar nicht auftauchen.
Da eine Unterkunft in München sehr begehrt ist, habe ich bald die Auswahl. Der 24jährige Tino aus Italien kann singen, tanzen und malen. Alles drei bemerkenswerte Skills - für die ich keinerlei Verwendung habe. Ich brauche jemanden, der meine Gartenlaube streicht und mir ein paar Folge-Arbeiten nach meinem Umzug abnimmt. Trotzdem wähle ich ihn, weil er sich als Erster gemeldet und noch keine workaway-Erfahrung hat, motiviert wirkt und mir beim Zoom-Gespräch sympathisch ist. Ich akzeptiere, dass der hübsche Lockenkopf kein Handwerker ist, dafür aber gerade sehr emotional, weil ihn sein Freund betrogen hat. Dann wird meine Laube halt wie die sixtinische Kapelle angemalt, warum auch nicht.
Donnerstag Abend. Tino reagiert regelrecht panisch, als ich ihm erkläre, wie er vom Busbahnhof zu mir kommt, was eine knappe halbe Stunde dauert. Also schiebe ich einen Termin um, fahre hin – und kehre unverrichteter Dinge wieder zurück, weil er mir nicht mitgeteilt hat, dass sein Bus drei Stunden Verspätung hat. Der junge Mann nimmt sich ein Taxi und erwartet, dass ich es bezahle. Am nächsten Tag arbeitet er willig, wenn auch nachlässig, aber hey! Ist ja sein erster Tag.
Am Wochenende erfahre ich alles über seine Trennung. Am Montag früh bittet er um einen freien Tag, um Handy-Probleme zu lösen, dafür würde er am Samstag arbeiten. Natürlich will er mir trotzdem helfen, den Teppich aus der alten Wohnung in den Keller zu tragen. Spricht’s und verschwindet bis zum Abend, als er mit mit einer Handvoll Gras zurückkommt. Mein Geschenk als Einschlafhilfe, gut für eine Woche, hatte er schon nach drei Tagen weginhaliert. Am Dienstag bitte ich ihn, meine Laube im Schrebergarten zu putzen.
Er macht drei Sachen ordentlich, eine andere nachlässig und die restlichen gar nicht, dafür aber ohne Absprache eine Stunde eher Feierabend. Und ich – bin bedient. Habe zu viel um die Ohren, um einem Mann das Putzen beizubringen, und keine Lust, seine Zeit oder Arbeit zu kontrollieren. Also erkläre ich ihm am Abend, dass er ein ganz Lieber ist und gerne bis Freitag als mein Gast bleiben darf, aber dass ich ihn als Unterstützung nicht brauchen kann.
Vielleicht mein Fehler, überlege ich hinterher. Bin ich zu ungeduldig, zu anspruchsvoll? War ich pädagogisch nicht wertvoll genug? Haben wir uns persönlich zu gut verstanden? War so der Eindruck entstanden, er sei bei einer lieben Tante zu Besuch und seine Arbeit nur symbolisch zu verstehen? Wenn man die Bewertungen auf der Plattform liest, scheinen alle GastgeberInnen echte Schätzchen und sämtliche workawayer übermotivierte Allrounder zu sein – eine ideale Welt. In Wahrheit, so habe ich von vielen gehört, halten sich beide Seiten mit der Waffe «Bewertung» in Schach: Man gibt gutes Feedback auf der Plattform, um selbst solches zu bekommen. Kritik wird selten geäussert, maximal zwischen den Zeilen angedeutet.
Ein Gespräch mit einer Freundin, die im idyllischen Mittenwald Ferienwohnungen vermittelt, beruhigt mich ein wenig. Da die Reinigung der Wohnungen zwischen zwei Bezügen reine Saisonarbeit ist, wollte Alie Johnston es mit Workawayern versuchen. «Den meisten fehlen einfach die Grundkenntnisse», sagt sie. «Oder sie sind nicht wirklich motiviert. Sie sehen die Fotos von den Bergen und haben Lust auf die Gegend, aber leider meistens völlig falsche Vorstellungen.» Reinigung unter Zeitdruck – trotz grosszügiger Zeitvorgabe – war dann oft zu viel erwartet. Obwohl workawayer, deren Arbeit wie in diesem Fall gewerblich genutzt wird, den jeweils landesüblichen Mindestlohn pro Stunde verrechnet bekommen, in diesem Fall sogar mehr. Mit zehn jungen Leuten aus verschiedenen Kulturen hat Alie es in zwei Jahren versucht.
«Ich war eher die Vertrauensperson, weniger die Arbeitgeberin», resümiert sie. Freundliche Rückmeldung habe wenig gebracht. Einige hätte sie gern länger beschäftigt, doch unterm Strich ist ihr Fazit: Wenn man ein ernsthaftes Business betreibt, geht sich das nicht aus.
Workaway.info wird sicher nicht zur Konkurrenz für den konventionellen Arbeitsmarkt. Doch diese Art, die Welt zu erkunden, hat definitiv einiges zu bieten. Mittendrin statt nur dabei, sozusagen. Die Länder so kennenlernen, als würde man dort nicht nur reisen, sondern leben. Andere Menschen anders und komplexer kennenlernen, ebenso wie die eigenen Fähigkeiten, Erwartungen und Belastungsgrenzen. Ob ich meine Laube selbst streichen oder es noch einmal mit workaway versuchen werde? Auf jeden Fall will ich nächsten Winter wieder auf Dienstreise gehen.
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