Working «Buur»

Landwirtschaft: Viel Arbeit und wenig Ertrag

Das Emmental ist eine üppig grüne Hügellandschaft in der Schweiz. Überall liegen prächtige Bauernhöfe. Unter den Dächern dieser Prachtbauten und Heimwesen sind die Lebensbedingungen allerdings oft alles andere als üppig.


Die Landwirtschaft als Erwerbszweig ist wegen des Strukturwandels sowie der internationalen Handelsregelungen je länger desto mehr unter Druck. Dies hat bereits dazu geführt, dass zahlreiche Betriebe schliessen mussten und viele landwirtschaftliche Familienbetriebe nur noch unter äusserst prekären Umständen dahinvegetieren. Die beiden Absolventen der Berner Fachhochschule Soziale Arbeit, Jonas Bieri und Rafael Ganzfried, widmeten ihre Diplomarbeit dem Thema „Armut in der Landwirtschaft“.

Alarmierende Situation
Lediglich die Hälfte der Schweizer Bauernbetriebe kann als wirtschaftlich gesund bezeichnet werden. Die restlichen Betriebe überleben nur, weil die BetreiberInnen entweder keine notwendigen Investitionen tätigen oder sich mit einem Einkommen durchschlagen, welches unter der Armutsgrenze liegt. Bei rund einem Viertel reicht es weder für Investitionen, noch für die Existenzsicherung. Die Bauernfamilien zehren oft so lange von der Substanz, bis gar nichts mehr geht. Oft haben die Bauern den Beruf durch die Eltern erlernt und verfügen weder über eine landwirtschaftliche noch eine andere Ausbildung. Wer gezwungenermassen einem Nebenerwerb nachgeht, tut dies oft als Hilfsarbeiter mit entsprechend tiefem Verdienst, wenn solche Stellen überhaupt verfügbar sind.

Sozialhilfebezug mit Scham- und Schuldgefühlen
Bauern gelten in der Regel als Selbständigerwerbende. Ihre soziale Absicherung ist deshalb äusserst mager. Sozialversicherungen fehlen. Der Gang zum Sozialamt stellt für die Landwirte allerdings eine riesige Hürde dar. Sie fühlen sich als Versager, wenn sie beim Staat Unterstützung beantragen müssen und sie fürchten nicht zu unrecht um ihre Unabhängigkeit. Die ehemalige Bauernpartei, der sie sich meist zugehörig fühlen, bietet keine Hilfe an. Sie setzt sich nur halbherzig für landwirtschaftliche Stützungsmassnahmen ein, weil sie Staatsinterventionen generell ablehnt, und sie führt eine aggressive Kampagne gegen SozialhilfebezügerInnen. Im ländlichen Raum, wo jeder jeden kennt, wird man unter diesen Umständen schnell einmal stigmatisiert.


Strukturwandel nicht hinterfragt
Bieri und Ganzfried setzen deshalb auf eine Verbesserung der gegenseitigen Akzeptanz. Einerseits durch intensiveres Lobbying mit und durch den Bauernverband und eine spezifische Weiterbildung der SozialarbeiterInnen. Die Ansätze wirken allerdings angesichts der schwerwiegenden Problematik relativ hilflos. Den Strukturwandel und seine sozial-politischen Auswirkungen nehmen Bieri und Ganzfried als unveränderbare Tatsache hin. Die Logik, dass verschwinden muss, was nicht rentiert, wird von den beiden Autoren leider nicht hinterfragt. Lösungsansätze sollten primär auch von der Politik kommen. Es ist stossend, wenn sich die Versorgung mit dem Grundgut Lebensmittel und die Landschaftspflege einzig nach wirtschaftlichen Kriterien richten müssen. (chb)


Jonas Bieri, Rafael Ganzfried: Working „Buur“, Schweizer Bauernbetriebe in prekären finanziellen Situationen – Eine Standortbestimmung.

Studie/Diplomarbeit des Fachbereichs Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule / Edition Soziothek, Juni 2008, ISBN 978-3-03796-216-9.

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