Zen statt Zeug

Wie richtiges Aufräumen das Leben verändert

Wer pilgert, hat alles bei sich und weiss wo es ist. Wie lässt sich dieses beglückende Gefühl zuhause umsetzen? Erfahrungen
Zuhause angekommen versickert die gelassene Genügsamkeit recht schnell. Wohin? In die Ritzen und Spalten, in die Berge, Täler und Seitentäler all der Dinge, die ich besitze und die um meine Aufmerksamkeit buhlen. Meine Besitztümer – meine Besitz-Türme.

In der Bibliothek springt mich eine Bombe im schlichten Gewand eines Buches übers Aufräumen an. Ein Bestseller, millionenfach in verschiedenen Sprachen verkauft: «Magic Cleaning, wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert» der 30-jährigen Japanerin Marie Kondo. Vom Time-Magazine wurde sie unter die hundert einflussreichsten Personen im Jahr 2015 gewählt. Ich lese das komplette Buch am selben Abend. Am nächsten Tag lese ich es noch einmal – dann lege ich los.

Die KonMari-Methode oder «Magic Cleaning», wie sie es nennt, ist unverschämt einfach.

1    Mache dir klar, warum du aufräumen willst.

2    Räume in einem Rutsch, in kurzer Zeit und perfekt auf. Geh die Dinge nach Kategorien durch, nicht nach Zimmern. Nimm jeden Gegenstand in die Hand, und sortiere alles aus, was dich nicht glücklich macht.

3    Finde für jeden Gegenstand, den du behältst, ein Zuhause.

4    Lebe glücklich bis ans Ende deiner Tage, ohne je wieder im Chaos zu versinken.

Auch den vierten Punkt meint Kondo ernst: Nach ihrer Methode müssen wir einmal im Leben aufräumen und dann nie wieder. Der Zustand unserer perfekt aufgeräumten Wohnung, einzig mit Dingen, die wir lieben, werde sich wie ein positiver Schock einprägen. Und bis jetzt soll tatsächlich keine einzige von Kondos Kundinnen einen «Rückfall» erlitten haben.
Aber natürlich sind die Schritte vorher dafür umso wichtiger. Nach der KonMari-Methode entrümple ich jede Kategorie von Gegenständen nacheinander, in folgender Reihenfolge: Kleider, Bücher, Dokumente, Kleinkram und Erinnerungsstücke. Von jeder Kategorie sammle ich alle Dinge, z.B. sämtliche Kleider, im ganzen Haus und legen sie an einem Ort aus. Erst da wird mir bewusst, wieviel ich überhaupt besitze. Nacheinander nehme ich jedes Stück in die Hand und stelle mir die einzig relevante Frage: Macht mich dieser Gegenstand glücklich? Anfangs bereitet dieses Kriterium Mühe, später wird es immer leichter. Meine Fühler stimmen sich ein auf Glück. Weggeben ist aber manchmal auch schmerzhaft. Ich muss mich der Vergangenheit stellen und mir eingestehen, dass ich nicht mehr dieselbe bin, wie vor drei Jahren. Trotz den teils unangenehmen Entscheidungen ist Aufräumen nach Marie Kondo ein Fest, ein Fest der Dankbarkeit und Wertschätzung – besonders für die Gegenstände, die ich loslasse. Jedes Ding hat seinen eigenen Zweck. Vergegenwärtige ich mir die wahre Rolle eines jeden Gegenstands, der mich nicht (mehr) glücklich macht, dann merke ich, dass die meisten ihre Aufgabe bereits erfüllt haben. Ich kann sie dankend verabschieden. Die Stücke, die ich behalte, kann ich von nun an noch besser wertschätzen.

Entrümpeln tut gut. Im Feng Shui bedeutet herumliegender Krempel gefangene Energie. Praktischer ausgedrückt bedeutet Gerümpel aufgeschobene Entscheidungen und aufgeschobene Handlungen. Dieser Gerümpel schadet uns auf unterschiedliche Art und Weise. Er schwächt unsere Konzentration, erhöht das Stressgefühl, begünstigt unnötiges Aufschieben und kostet Zeit und Geld. Vor allem aber hält uns dieser Gerümpel davon ab, im Jetzt zu leben. Wir bewahren Dinge auf, weil wir entweder Angst vor der Zukunft haben oder zu sehr an Vergangenem haften. Dies bedeutet fast immer: Wir wissen nicht, was uns in der Gegenwart Erfüllung und Glück bringt und was wir eigentlich suchen. Viele ihrer Klienten werden beim Aufräumen überflüssige Pfunde und Pickel los, schreibt Kondo im Buch. Andere machen nach der Wohnung weiter mit aufräumen und verabschieden sich auch von ungesunden Beziehungen oder einer unpassenden Arbeitsstelle.

«Magic-Cleanig» soll nicht die Wegwerfgesellschaft weiter befeuern. Viel mehr passt sie für mich in eine Welt des Tauschens und Teilens, wo nicht jeder alles selber besitzen muss, sondern auch unsere Besitztümer im Fluss sind, wie alles in der Natur.
Als Kind wurde mein chaotisches Schulpult regelmässig im Zeugnis beanstandet. Meine Farbstifte ordnete ich aber nach Regenbogenfarben, und meine Lieblingsbücher präsentierte ich wie Museumsexponate in immer neuen Ordnungssystemen auf dem Regal. Nach Kondo macht das Sinn: Der Mensch kann sich nur um eine beschränkte Anzahl von Gegenständen wirklich kümmern, sie pflegen und benutzen. Umso leichter fällt das, wenn wir diese Dinge auch ins Herz geschlossen haben.

Ich bin kein Aufräum-Fan geworden. Einmal im Leben reicht ja. Aber ich bin Fan der KonMari-Methode. Die ersten drei Kategorien habe ich hinter mir. Mein Kleiderschrank gleicht einer Schatzkammer mit Lieblingsstücken, die alle genug Luft zum Atmen haben. Meine übriggebliebenen Bücher liebe ich heiss und innig und sie lassen mir genug Freiraum für neue Inspiration. Alle meine Papiere passen in zwei Ordner. Ich fühle mich schon viel leichter und immer noch sehr motiviert, auf dem Weg zu meinem idealen Leben zu pilgern. Wer also im Januar mit dem Frühlingsputz anfangen will, dem empfehle ich dieses Buch wärmstens.   

Marie Kondo: Magic Cleaning – Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert. 2013,
Rowohlt Taschenbuch Verlag. Fr. 14.90 / € 10.–
13. Januar 2016
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