Israel hat die Wahl – und die Pflicht

Es gibt eine Lösung für den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Zu finden ist sie im neu erschienenen Buch «Israel in Palästina – Wegweiser zu einer Lösung» des Zürcher Mediators Fredi Rudorf. Der Autor, während zwanzig Jahren Bezirksrichter in Zürich, wendet darin die von allen Menschen und Völkern respektierten Lebensgesetze auf den Nahost-Konflikt an und kommt zum Schluss: Israel ist auf dem Weg zum Frieden vorleistungspflichtig. Die Zusammenfassung von Fredi Rudorf


Es gibt offenbar Regeln unter den Menschen und Völkern, denen alle Menschen zustimmen, sicher aber die monotheistischen Kulturen: Judentum, Christentum und Islam. Wenn diesen Lebensgesetzen gefolgt wird, ergibt sich die Lösung für den Nahost-Konflikt gleichsam von selbst.
Die in unserem Kontext wichtigsten sind:
1. Kants Kategorischer Imperativ: Was du nicht willst, dass man dir tu', das füg' auch keinem andern zu.
2. Friedensfähig ist, wer nicht nur den Schatten des Gegners, sondern auch seinen eigenen sieht.
3. Das Konsens-Prinzip, jedenfalls unter Gleichgestellten.
4. Die Gleichwertigkeit aller Menschen und Völker.
5. Der Ausgleich und seine Begrenzung: das Prinzip der Verhältnismässigkeit.
6. Das Stuhl-Gesetz mit seiner Verankerung im Völkerrecht: Wer schon irgendwo sitzt, darf auch bleiben.
7. Das Verursacher-Prinzip.
8. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
9. Alte Schulden verjähren nicht.
Wer im Einklang mitdiesen Regeln lebt, wird respektiert, hat und gewinnt Freunde, lebt gut und nutzbringend. Wer diese Regeln missachtet, wird geächtet, das Pendel schlägt früher oder später zurück und es herrscht Krieg – oder Schein-Frieden.

Vor 1947 war der Kleinkrieg zwischen den nach Palästina einströmenden Juden und den sich dagegen auflehnenden Arabern/Palästinensern ein Landes-interner Konflikt, wenn auch mit internationalen Verflechtungen.
Mit der massenhaften Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 (der Nakbah: mindestens 800'000 Flüchtlinge) und der Staatsgründung Israels, wurde daraus ein internationaler Konflikt, die Nachbarstaaten reagierten mit Krieg. Die Vertreibung ist daher der Keim des Nahost-Konflikts, sie und ihre Leugnung durch Israel und den Westen sind alte Schulden, die nie verjährten.
Israel hat daher schon bei seiner Gründung gegen wichtige Regeln verstossen (Regel 3, 6, 8 und 9). Es wurde deshalb von seinen Nachbarn nie geachtet und konnte nie in Frieden leben – obwohl ihm das zustehen würde, ganz besonders nach dem Holocaust.

Der Zionismus hat sehr wohl seine Berechtigung: Die Juden haben wie jedes andere Volk das Recht, irgendwo zu leben, namentlich im verheissenen Land Palästina. Dieses Ziel ist heute unbestritten. Aber die Methode «Zwangsumsiedlung» (Ben Gurion) hat seither den Un-Frieden zur Folge. Dabei kann heute offen bleiben, ob es anders gegangen wäre.
Wahrheit heilt – oder bremst jedenfalls das Bluten. Wenn Israel anerkennt, dass es sich sein Staatsgebiet mit Massakern, Terror, Vertreibung und auch mit Krieg erobert hat, kann Heilung passieren, auf der Seite der Vertreiber wie der Vertriebenen, und ihre Beziehung zueinander kann endlich beginnen zu heilen. Der innere Prozess (Anerkennen) kommt vor dem äusseren (Verhandeln). Zu beidem gehört, dass sich Israel nicht über ganze Volksteile der Palästinenser stellt, nur weil diese die gleichen Methoden anwenden, denen sie selbst ausgesetzt waren und sind – sondern neben sie oder noch besser: gegenüber. Das bedeutet Verzicht auf die Ächtung des Gegenübers als «terroristische Organisation». Die Menschen in Israel sind nicht besser als ihre Nachbarn.

Israel hat die Rückgabe der 1967 eroberten und besetzten Gebiete nie wirklich gewollt und angestrebt, auch nie ‹Land gegen Frieden› angeboten, sondern dieses eroberte Land besiedelt, sowie de jure und de facto annektiert. Das verstösst nicht nur gegen fast alle der genannten Lebensgesetze, sondern auch gegen das Völkerrecht. Die Berufung auf die Bibel geht fehl, denn der Eine und Ewige Gott hat das Land Palästina beiden Völkern verheissen.

Das wiederum müssen sich auch die Palästinenser sagen (lassen), insbesondere die Hamas: Die Überlieferungen und Schriften des Islam sind nicht mehr wert als die diejenigen des Judentums. Allah hat das Land Palästina beiden Völkern verheissen. Dem Kampf gegen Israel hat ein Friedensvertrag zu folgen, nachdem es sich auf die Grenzen von vor 1967 zurückgezogen hat; denn das Stuhl-Gesetz gilt nach 60 Jahren nun auch für Israel.

Solange im Westjordanland der Zustand der Besetzung und Ghettoisierung durch Israel andauert, sind funktionierende Beziehungen zu den engsten Nachbarn und zur Völkergemeinschaft nicht möglich, Israel bleibt ein geächteter Staat, von dem sich sogar Freunde abwenden. Ein geachteter, friedensfähiger Staat wird es erst dann, wenn es die Schatten seiner Politik eingesteht, das den Flüchtlingen und Nachbarn zugefügte Unglück anerkennt, sich in Beachtung des Völkerechts auf die Grenzen von vor 1967 zurückzieht (auch aus Ost-Jerusalem) und die Konstituierung eines souveränen Palästinenserstaats nicht nur zulässt, sondern fördert. In die teilweise geräumten Gebiete der Westbank können die Flüchtlinge zurückkehren. Deren Assimilation ist nach dem Verursacherprinzip von Israel zu bezahlen, wie dieses auch für Grundwasser wird zahlen müssen. Erst dann ist es fair zu verlangen, dass sein Existenzrecht anerkannt und ringsum der Gewalt abgeschworen wird. Dann kann die Mauer abgerissen werden – die wirkliche und die mentale.

Israel hat nun also die Wahl zwischen wirklichem und Zwangs- oder Schein-Frieden.


Quelle: Dr. iur. Fredi Rudorf: Israel in Palästina – Wegweiser zur Lösung. 2009, 279 S. Fr. 15.-. Mit ausführlicher Chronologie. Bezug: www.mediation-rudorf.ch 
13. Oktober 2009
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