Mehr Effizienz, Leistung & Profit

Turbokühe sind das Ziel moderner Hochleistungszucht – und dabei rangiert die Schweiz im internationalen Vergleich ganz vorn. Die Milchleistung wird kontinuierlich gesteigert, zum Preis eines recht jämmerlichen, kurzen Kuhlebens. Wer ausgedient hat, kommt ins Schlachthaus.

 Am Boden flimmert eine Lichtshow. Fünf Kühe quälen sich langsam im Kreis der Manege. Ihr Kopf wird vom Halter in die Höhe gezerrt, so dass ihre pfeilgerade Wirbelsäule sichtbar wird – ein Qualitätsmerkmal. Der pralle Euter behindert sie bei jedem Schritt. Der Kommentator jault ins Mikrofon: «Eine uuunglaubliche Euterkuh!» Aus den Lautsprechern dröhnt Insomnia von Faithless.

Im Januar fand in Lausanne die 21. Swiss Expo statt, die grösste Rindviehveranstaltung in Europa. Züchter aus ganz Europa brachten ihre prächtigsten Kühe mit. «Hier können wir unsere Genetik global bewerben und uns mit den Besten messen», sagt Alex Barenco, Leiter Genetik beim Zuchtverband Swissherdbook. Hierzulande gäbe es besonders effiziente Zuchtprogramme. «Die Schweiz positioniert sich mit allen Rassen an der Weltspitze.» Vordergründig ist eine Viehschau ein Schönheitswettbewerb. Doch dahinter steckt das Geschäft mit der Genetik, das sich längst zum prägenden Faktor in der Tierproduktion entwickelt hat. Die Zucht bezweckt die vom Menschen gesteuerte, genetische Veränderung von Tieren. Es geht um mehr Effizienz, mehr Leistung und mehr Profit. Die Reproduktion der Nutztiere befindet sich heute vollumfänglich – und wortwörtlich – in Menschenhand.

Biotechnologie bei Nutztieren
Nach 1950 stieg der Zuchtfortschritt sprunghaft an. Grund dafür war die Entdeckung der künstlichen Besamung, die mittlerweile zum Standard avancierte. «Heute werden in der Schweiz 90 Prozent unserer Milchkühe künstlich besamt», sagt Alex Barenco. Bei Bio-Kühen sind es 80-90 Prozent, schreibt die Agrarzeitung Schweizer Bauer, und das obwohl der Verband Bio Suisse eigentlich den sogenannten Natursprung empfiehlt, die natürliche Begattung eines weiblichen Nutztieres.
Vor der künstlichen Besamung bei der Kuh muss beim Stier «abgesamt» werden. Dazu lässt man ihn auf ein Phantom springen, um dann von Hand den Penis in eine künstlichen Vagina umzuleiten. Das Ejakulat wird anschliessend gekühlt und in einem Spermalabor in 200 – 300 Samenportionen aufgeteilt. Heutzutage kann Rindersperma eingefroren und wieder aufgetaut werden. Das ermöglicht den internationalen Handel. Und mit einem Stier kann selbst über seinen Tod hinaus weiter gezüchtet werden. Für den Züchter rechnet sich die künstliche Besamung, da die männliche Reproduktionsrate deutlich gesteigert werden kann. Auch für den Milchbauern lohnt sich der Eingriff: Er braucht keinen teuren Muni im Stall. Die Reproduktionsarbeit erledigt stattdessen ein professioneller Besamer. Bestellt werden Samen und Besamer im Stieren-Katalog oder neuerdings auch im Webshop der Zuchtverbände.
Mittlerweile ist man technologisch noch einen Schritt weiter. Beim sogenannten Sperma-Sexing wird das Ejakulat im Labor nach Geschlecht getrennt. Gesextes Rindersperma wird seit 2007 angeboten. Heute boomt das Geschäft. Alex Barenco erklärt, wieso: «Mit den männlichen Kälbern der Milchrassen kann heute kein Gewinn mehr erzielt werden.» Durch die einseitige Zucht auf Milchleistung werden die männlichen Nachkommen wertlos. Sie geben keine Milch und können mit der Mastleistung von Fleischrassen nicht mithalten.

Die Kehrseite der Hochleistung
Auch der Schweizer Tierschutz STS befürwortet gesextes Sperma, damit weniger «unnütze» männliche Kälber entstünden. «Bereits 9000 Kälber im Jahr werden deshalb heute sehr früh getötet, teilweise auch illegal», so Geschäftsleiter Hans-Ulrich Huber in der Broschüre «Milchproduktion und Tierschutz». Recherchen des STS zeigen, dass bei einigen Kälbern das vorgeschriebene Alterslimit von sieben Tagen nicht eingehalten wurde.
Huber betrachtet diese Entwicklung als Folge der Hochleistungsstrategie. Die durchschnittliche Leistung einer Kuh steige von Jahr zu Jahr. «Am extremsten verlief die Steigerung der Milchleistung beim Holsteinvieh», sagt Huber. Während eine Holstein-Kuh 1991 noch 6400 kg Milch produzierte, so Huber, sind es heute im Schnitt über 8400 kg pro Laktation. Aufgrund der Strapazen der Hochleistung werden die Kühe anfälliger für zuchtbedingte Krankheiten, etwa Euter- und Klauenentzündungen sowie Stoffwechselerkrankungen. Wenn der Körper schwächelt oder die Leistung sinkt, wandert die Kuh ins Schlachthaus. Im Schnitt bringt eine Kuh gerade noch vier Kälber zur Welt, bevor sie ausgemustert und ersetzt wird. Die einseitige Hochleistungszucht, so Huber, senke die Lebensdauer von Kühen.
«Das ist ein Vorurteil aus vergangenen Zeiten», entgegnet Genetik-Experte Alex Barenco. Bis in die 2000er Jahre hätte man primär auf Leistung gezüchtet. «Seit über zehn Jahren beobachten wir eine verlängerte Nutzungsdauer der Milchkühe.» Die meisten Kühe würden nicht aufgrund von leistungsbedingten Krankheiten geschlachtet.

Mitgefühl für Kühe
Derweil zogen die Kühe in Lausanne an der Swiss Expo weiter ihre Kreise, als das Spektakel eine unerwartete Wendung nahm: Rund zehn Demonstranten und Aktivistinnen der Tierrechtsgruppe 269Life Libération Animale – Suisse stiegen in den Ring und hielten Transparente hoch. Kurz darauf wurden sie von den Züchtern weggezerrt. Aktivistin Elisa Keller nimmt später Stellung: «Wir wollten jenen unsere Empörung zeigen, die vom Leid der Tiere profitieren.» Dass sich die Aktivisten dabei nicht an die Regeln hielten, erachtet Keller als legitim. «Was wir den Tieren antun, ist extrem gewalttätig und ungerecht.» Es sei deshalb unsere Pflicht, öffentlich ungehorsam zu sein. «Wir sollten lernen, uns in Tiere hineinzuversetzen und unseren Kreis des Mitgefühls auf alle fühlenden Individuen auf diesem Planeten erweitern.»



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