Mit Kratzeisen und Stossbesen

Wer kennt sie nicht, die Glücksbringer in Schwarz, mit Russ im Gesicht, wie sie mit ihren Leitern und Stahlbürsten auf Dächer steigen und Kamine fegen? Die Wahrheit ist: Wir alle kennen sie nicht. Ein Porträt von einem sich wandelnden Berufsstand.

 An Hochzeiten kommt es noch vor: Da wird er von Wildfremden angefasst oder geküsst, denn das soll Glück bringen. Heinz Nacht, 56, wohnhaft in Schliern nahe Bern, zieht sich die Jacke mit den goldenen Knöpfen über, er setzt den Zylinder auf und posiert. Dass er damit ein Klischee bedient, das mit dem richtigen Leben fast gar nichts tun hat, weiss der drahtige Berner nur zu gut. «Eigentlich sind wir keine Kaminfeger mehr, sondern Heizungsreinigungstechniker. Aber was kann man sich darunter schon vorstellen?»
Zwar musste Nacht – wie die Buben in Lisa Tetzners Buch «Die Schwarzen Brüder» – als Lehrling noch die Kamine hochklettern. Doch das ist lange her. Auf Dächer steigen Kaminfeger nur noch selten, die Holzöfen in den Wohnungen werden immer weniger und statt Öl kommen Gas oder alternative Energieträger zum Einsatz. «Wir bewegen uns zwischen Tradition und Moderne», sagt Nacht. Noch sind die Kaminfeger mit ihren Stahlbürsten, Kratzeisen, Stossbesen und Staubsaugern unterwegs – und die Dusche gehört zur Arbeit. Mit den neuen Hightech-Feuerungsanlagen aber wandeln sich auch die Anforderungen an den Berufsstand. Der Kaminfeger von heute wird immer mehr zum Servicetechniker und Kundenberater in Sachen Energie.

Einfacher wird die Arbeit damit nicht. «Die modernen Anlagen sind technisch enorm anspruchsvoll – und oft sehr anfällig. Dafür braucht es viel Fachwissen.» Heinz Nacht steht in der Heizzentrale des Wärmeverbunds Schliern und schaut auf einen Bildschirm voller Daten. Die Anlage gehört zur Gemeinde Köniz in der östlichen Agglomeration Berns, sie wurde vor einem Jahr in Betrieb genommen und gilt weitherum als Vorzeigeprojekt. Bis zu 70 Kubikmeter Schnitzel können hier pro Tag verbrannt werden, das Holz stammt aus der Region. Damit lassen sich rund eine Million Liter Heizöl einsparen, das entspricht 2700 Tonnen CO2. Die Anlage in Schliern zeigt aber auch: Technischer Fortschritt nimmt den Kaminfegern zunehmend Arbeit weg. «Früher stand in jeder Wohnung ein Holzofen», sagt Nacht, «heute heizt eine einzige Ölanlage ein ganzes Hochhaus. Und eine Zentrale wie in Schliern bedient 800 Haushalte.»
Kommt hinzu, dass auch im Kanton Bern am Kaminfegermonopol gerüttelt wird. Bis dahin musste der Kaminfeger weder die Konkurrenz fürchten noch um seine Kunden bangen. Der Kanton wird in Kaminfegerkreise eingeteilt, die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern wählt auf vier Jahre pro Kreis einen Kaminfegermeister und die Tarife werden im Monopol reguliert. Aber damit soll nun Schluss sein. Wenn es nach dem Bernischen Kaminfegermeister Verband und der Politik geht, müssen sich die Berner Kaminfeger ab 2020 auf dem freien Markt behaupten. Wie andere auch, hatte Heinz Nacht anfangs Vorbehalte, jetzt aber steht er der Entwicklung positiv gegenüber. Tatsächlich zeigen die Erfahrungen in anderen Kantonen, dass die Aufhebung des Monopols überwiegend positive Auswirkungen hat. Obschon sich die Hauseigentümer nun selbst bei den von ihnen ausgewählten Kaminfegern melden müssten, führe gerade diese Eigenverantwortung zu einem engeren Verhältnis zum Kaminfeger und zu mehr Kundenzufriedenheit, wie Nacht betont. Auch die Konkurrenz bereitet ihm keine Sorgen. Heinz Nacht ist Kaminfeger in der siebten Generation und seine Firma mit gegenwärtig acht Mitarbeitern auf dem Platz Bern dementsprechend gut vernetzt.

Anderen Tendenzen steht Nacht eher skeptisch gegenüber: «Hinter der Energiediskussion verbergen sich immer auch politische Interessen.» So werde gegenwärtig das Gas als Energieträger sehr einseitig beworben. Was nicht unproblematisch sei, wenn man bloss an die Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen, an die Umweltbelastungen bei der Förderung, den Transport und die Verbrennung oder an die Gefahr von Explosionen denke. «Aber das Gas hat eben eine starke Lobby», sagt Nacht. Und nennt als Beispiel die Stadt Bern mit ihrem riesigen Gasnetz, das erst noch zu amortisieren sei.
Ob Gas oder alternative Heizmethoden wie Wärmepumpen und Solaranlagen, für Heinz Nacht liegt das eigentliche Leck häufig anderswo. «Wir haben immer noch zu viele schlecht isolierte Häuser.» Deshalb müsse man sich zuerst um die Hülle kümmern und dann erst um die Heizung. Würden die Häuser dementsprechend saniert, könnte man gut die Hälfte der Energie einsparen, ist Nacht überzeugt – «und zwar egal, ob mit Öl, Gas oder Wärmepumpen geheizt wird».
Dafür aber brauchen die Hauseigentümer spezielle Anreize. Heinz Nacht hat die Idee dazu: eine Etage mehr für jedes Haus in der ganzen Schweiz. Das habe zwei Effekte. Erstens schafft der Besitzer mehr Wohnraum, ohne zusätzliches Land zu beanspruchen. Und zweitens kann er den Umbau nutzen, um sein Haus neu zu isolieren, wobei er einen Gutteil der Kosten auf die neuen Wohnungen abwälzen kann. Dass dies realistisch ist, weiss Nacht aus eigener Erfahrung, er hat ein altes Haus nach diesem Modell umgebaut und saniert. Und sich so ein Wissen angeeignet, das er, der Kaminfeger, in seiner Rolle als Servicetechniker und Kundenberater künftig immer mehr brauchen wird.       





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25. März 2017
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