«More than Honey» — wenn das Bienensummen verstummt

«Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen aus.» Dieser schöne und vielleicht wahre Satz stammt nachweislich nicht von Albert Einstein, obwohl er ihm immer wieder zugeschrieben wird. In der Tat: Die Honigbiene macht längst nicht nur Honig, als Bestäuber von unzähligen Nutzpflanzen gilt sie volkswirtschaftlich gesehen nach Rind und Schwein als drittwichtigstes Nutztier. Und sie verliert langsam ihre Kräfte. Der neue Dokumentarfilm «More than Honey» des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof zeigt, wie Bienen einen unentbehrlichen Beitrag an unsere Ernährungskette leisten, erzählt von ihrem Schicksal als Laufbandarbeiter für die industrielle Landwirtschaft und geht dem Mysterium des weltweiten Bienensterbens (Colony Collapse Disorder) auf den Grund. Der Film ist nicht nur eine Reise zu den Bienen dieser Welt, sondern auch in die Welt der emsigen Alleskönner selbst. Eindrückliche Makroaufnahmen zeigen die Tierchen beim Pollen abstreichen, beim Wabenbau und beim Fliegen und gewähren Einblicke in die Geburt einer Königin.

Mit «More than Honey» hat sich Markus Imhoof erneut einem Thema mit grosser gesellschaftlicher Relevanz gewidmet. Seine frühen Dokumentarfilme über das Wohl der Pferde im Militär und über den Gefängnisalltag wurden vor ein paar Jahrzehnten noch verboten. Einen Namen gemacht hat sich der Regisseur insbesondere mit dem Film «Das Boot ist voll» von 1981, einer Geschichte von Flüchtlingen des Zweiten Weltkriegs. Die Hauptdarsteller von «More than Honey», die Bienen, begleiten Imhoof schon ein Leben lang. Als Enkel eines Imkers hat er bereits als Kind gelernt, dass es einen Drittel von dem, was die Menschen essen, ohne Bienen nicht gäbe.  An den eifrigen Alleskönnern fasziniert ihn vor allem deren Schwarmintelligenz: Reduktion von Individualität zugunsten des Ganzen. Forscher wie Professor Menzel, ein Bienenhirnforscher, sowie Imhoofs Tochter und Schwiegersohn, die auf einer unbewohnten Insel Australiens das Immunsystem der Bienen erforschen und auf einen Ausweg hoffen, kommen zu Wort. Lassen sich Bienen womöglich nicht so einfach vom Menschen manipulieren und zu willkürlichen Arbeitsvölkern zusammenwürfeln? Welchen Einfluss haben Pestizide auf den Orientierungssinn der Bienen? Wir lernen einen Bergimker kennen, der seine Bienen von den industriellen Grossimkern fern zu halten versucht und trotzdem zu den Leidtragenden des Bienensterbens gehört. Seine rassenreinen Bienen scheinen der Inzucht zum Opfer zu fallen.

Markus Imhoof mit seinen Hauptdarstellern (©Austrianfilm)

Egal auf welchen Kontinenten, den Bienen scheint es immer weniger zu gefallen in unserer Welt. Imhoof sucht aber nicht nach einem einzelnen Sündenbock. Wenn heute in Nordamerika, China und Europa den Honigbienen Medikamente verabreicht werden, dann stehen dahinter auch Existenzängste der Imker. «Die Bienen sterben nicht einfach an Pestiziden oder Milben oder Antibiotika oder Inzucht oder Stress: Es ist die Summe von allem. Die Bienen sterben am Erfolg der Zivilisation», sagt Imhoof. Am Beispiel der Bienen lässt sich vieles sagen über die Auswirkungen der industriellen Nahrungsmittelproduktion, der Globalisierung und unseren Umgang mit der Natur und anderen Lebewesen. Auf die Frage, ob es Schwarmintelligenz auch bei Nichtinsekten gibt, antwortet Imhoof: «Zu hoffen wäre beim Menschen...»


MORE THAN HONEY: Markus Imhoof. Frenetic Films Zürich, 2012. 94 Min.
Kinostart Schweiz: 25. Oktober 2012 (Deutschland: 8. November / Österreich: 12. November)
Verleih Schweiz: Frenetic Films

Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=Gw8dweb1_NQ