Niemand liebt Trennungen, ich auch nicht

Trotzdem kann der Zeitpunkt kommen, einen geliebten Menschen definitiv loszulassen. Wann?

(Foto: Shutterstock)

Es war das Letzte, was ich mir gewünscht hatte: wieder einen «Zahnbürsten-Moment» zu erleben. Einer dieser Momente, wo von einer mehrjährigen Beziehung, wunderbar begonnen und mit Visionen der Ewigkeit gekrönt, nichts weiter übrigbleibt als diese ominöse «Kiste der letzten Dinge», die man beim andern irgendwann noch abholt: Pyjama, Bücher, Ladekabel. Und eben die Zahnbürste. Irgendwie ist die Zahnbürste immer das Letzte, was geht.

Vor drei Jahren hätte ich nie geglaubt, mit diesem Partner diesen Moment je zu erleben. Zu viel war passend, stimmig, glücksverheissend gewesen. Aber was soll ich sagen? Auch uns fand das Leben. Respektive all das, was noch so im Menschen mit drinsteckt und quasi mitgeliefert wird. Diese unverhofften Gratisbeilagen.

Als es schwierig wurde, als Missverständnisse auftauchten, als alte Verletzungen aus vergangenen Beziehungen neue Ängste schürten, als das im eigenen Kopfkino produzierte Bild des jeweils andern die Realität zu überdecken begann, da gaben wir nicht auf. Als die kühnen Visionen zu strapaziösen Erwartungen wurden und das Management der Gefühle immer mehr zu versagen begann, auch nicht. Nein, wir blieben dran. Und dran. Mit ständigen Hochs, Tiefs, Spiralen und Strudeln. Nur, um über eine aufreibend lange Zeit hinweg trotzdem immer wieder bei derselben Frage zu landen: Lohnt sich das noch?

Hoi Mondkalb

Auf diese Frage eine Antwort zu finden, fand ich in etwa so einfach, wie das Mondkalb zu melken. Das einzig halbwegs Logische schien mir, meinem inneren Mix aus Überzeugungen und Werten zu folgen: Hey, wahre Liebe ist mega rar, im Fall. Loslassen wäre doch ein Verrat an unseren Träumen und an all dem, was wir bereits investiert haben. Es kann doch nicht sein, dass wir das nicht schaffen. Wenn ich jetzt loslassen würde, kämen dieselben Themen später ja ohnehin mit jemand anderem wieder. Trennungen, wenn die Liebe noch da ist, sind doch etwa so nötig sind wie Sardellen im Kaffee. Wenn man geht, nimmt man der Beziehung die Chance auf Entwicklung.

Nein, etwas so Kostbares wollte ich nicht einfach aufgeben. Da musste schon mehr als nur Hopfen und Malz verloren scheinen, eher gleich die ganze Brauerei.
Nur: Genützt hat es mir nichts. Dafür fehlte mir die Energie, die ins vergebliche Rettenwollen floss, über lange Zeit in sämtlichen anderen Lebensbereichen. Am Ende stehe ich gar da und frage mich: Hätte ich nicht besser früher losgelassen?

Der Drei-Punkte-Schlüssel

Kann jemand also aus einer objektiven Sicht sagen, wie lange sich das Dranbleiben wirklich lohnt? Barbara Hana-Mozerov, die in Luzern eine Praxis für Paar- und Sexualtherapie betreibt, meint dazu: «Ich glaube prinzipiell, dass es sich so lange lohnt, wie beide das wollen. Dazu gehört auch, dem anderen sagen und zeigen können: ‹Ich bleibe dran, und ich nehme meinen Teil der Verantwortung wahr, um uns in dieser Beziehung etwas weiterzubringen.›»

Aber was genau soll man weiterbringen? Hana-Mozerov nennt drei aus der Sicht der Bindungstheorie zentrale Punkte, die eine auf lange Sicht befriedigende Beziehung ausmachen: Erstens die «Zugänglichkeit» des Partners, also das klare Bekenntnis: «Du bist mein Partner, und ich bin deiner – ohne dich dafür verbiegen zu müssen.» Man ist innerlich noch dabei. Zweitens die «Empfänglichkeit»: «Beide Partner fühlen sich mit ihren Bedürfnissen, ihren Gefühlen und ihrem Standpunkt gehört, auch wenn der oder die andere diesen Standpunkt nicht teilt», erklärt sie. Und drittens das «emotionale Engagement»: «Die Partner können sich grundsätzlich einander so zumuten, wie sie wirklich sind – auch mit den Anteilen, die dem Gegenüber unbequem werden könnten.» Dazu gehöre auch die Fähigkeit, sich nach emotionalen Situationen wieder selbst zu zentrieren und dann wieder auf den anderen zugehen zu können, statt den Kontakt abzubrechen.
«Diese drei Punkte kann man so zusammenfassen: ‹Da ist jemand, der mich hört, und wir beide schaffen es, emotional echt miteinander umzugehen.›»

Soweit die Theorie. Aber so einfach ist es dann in der Praxis doch nicht, denn: Diese Fähigkeiten müssen trainiert werden. «Die Frage ist, ob beide das lernen wollen – und können», so Hana-Mozerov. Ein springender Punkt. Wie kann man das vorhandene Ausmass von Lernfähigkeit und -willen realistisch abschätzen? Und wann ist doch die kritische Grenze erreicht?

Bis zur Grenze der Selbstaufgabe

«Wenn man merkt, dass der Andere sich rausgenommen hat. Er oder sie zeigt keine Investitionsbereitschaft mehr, und man kann selbst nichts mehr aktiv verändern», schildert Barbara Hana-Mozerov die apokalyptischen Fanfaren. Und daraus ergibt sich eine weitere: Wenn der eine Partner vor lauter Rettungsversuchen den Selbstkontakt verliere. «Wenn ich das Gefühl habe, dass ich all meine inneren Impulse ständig verleugnen und wegdrücken muss, geht es Richtung Selbstverrat. Da wird es gefährlich in einer Beziehung.»

Dennoch: Eine fixe Checkliste mit Punkten, die man abhaken könne, um zu wissen, an welchem Punkt man stehe, gebe es nicht. «Das sind Gefühlsprozesse», so Hana-Mozerov. «Irgendwann ist man innerlich für sich in einer neuen Ordnung angekommen. Man schaut in den Spiegel und weiss und spürt: ‹Ich kann das nicht mehr mit mir vereinbaren.›»
Und ich überlege mir, wie oft ich selbst die genannten Warnglocken ignoriert habe, obwohl sie schon ein paar Mal geläutet hatten. Ziemlich laut sogar. Warum konnte ich trotzdem nicht loslassen? War es sinnvoll, dennoch bis zum bitteren Ende auszuharren?

Der Sinn im Hintergrund

Patricia Walker, Life- und Beziehungscoach mit Praxis in Langnau ZH, hat darauf eine klare Perspektive: «Wenn eine Beziehung keinen Sinn mehr macht, löst sie sich einfach auf. Wenn sie das nicht tut, hat sie uns in dieser Form noch eine Lektion zu lehren – und wir dürfen entdecken, worum es sich handelt.»
Und wie merkt man, welche Lektion das sein soll? «Sie hat meist etwas mit unserem Lebensthema zu tun», so Walker. Ein Thema also, das uns meist bereits seit der Kindheit begleite und sich im Leben immer wieder zeige – auch mit anderen Menschen, aber vor allem mit unseren Partnern. Und zwar oft mit verschiedenen. «Dann taucht die Frage auf: ‹Warum passiert mir immer das Gleiche?›», so Patricia Walker. «Warum werde ich beispielsweise immer wieder dominiert, oder fühle mich vernachlässigt, oder kann nicht für mich einstehen?»

Zum Licht hinter den Schatten

Dies seien exakt die Themen, die zu einer persönlichen Heilungsarbeit einladen würden: Weil sich hinter den bei anderen als negativ empfundenen Zügen auch eine stärkende Qualität verberge, die einem selbst oft fehle. «Nehmen wir an, mein Partner ist oft aggressiv. Dann fehlt mir selbst meist die Fähigkeit, die positive Qualität hinter dem «Schatten» Aggression – die kraftvolle Energie und Selbstermächtigung – für mich wirklich zu leben. Sobald ich sie mehr integriere, verändert sich auch das Beziehungsfeld», gibt Walker ein Beispiel.
Laut Patricia Walker ist darum – wenn man es schafft, hinter das aktuelle Drama zu sehen – das Heilungspotential in Beziehungen enorm, sofern man sich auf diesen Prozess einlassen kann. «Der Partner ist da, um mir etwas an Transformation und Wachstum zu ermöglichen. Wenn diese Lektion erfüllt ist, kann er oder sie sich quasi von diesem «Job» befreien und ist dann entweder mein Liebespartner auf einer höheren, bezogeneren Ebene – oder die Beziehung löst sich von alleine auf», so Walker. Insofern sei jeder Partner der «richtige».

Nicht noch mehr Meer

Trotzdem gehe es nicht darum, auf Biegen und Brechen in einer schmerzhaften oder nur noch destruktiven Beziehung zu bleiben. «Was sagen Sie jemandem, der mit einer offenen Wunde im Meer steht? Dieser Mensch muss erst mal aus dem Wasser und die Wunde pflegen und verbinden», so Walker. Denn: Für Erkenntnis- und Heilungsprozesse brauche es erst einmal den guten Kontakt zu einem selbst. Und das kann bedeuten: Alleine zu sein.
Schlussendlich ist Beziehung also eine weitere, spannende Chance zur radikalen Selbstbegegnung. Da darf man nicht nur dem Leben, sondern auch sich selbst eine neue Chance gönnen. Und eine neue Zahnbürste.  

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Mehr über «loslassen | dranbleiben» in Zeitpunkt 161

 

29. Juni 2019
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