U Like?
Wir jagen Likes hinterher, bewerten jeden und alles. Und verbauen uns damit die Chance, auch mal zu fragen: Bin ich mir eigentlich sicher?
Marianne mag mich. Sie hat meinen Post geliked. Dafür schenke ich ihrem neuesten Foto ein Herzchen. Michael dagegen ignoriert meine Postings auf Facebook. Vor einem Jahr hat er mir mal einen «Daumen nach oben» gegeben, war ein echter Energieschub. Woher kenne ich ihn eigentlich? Kenne ich ihn überhaupt? Aber er hat eineinhalbtausend Freunde. Wenn ich alle die FB-Freunde, die ich nicht im realen Leben kenne, aussortieren würde, wären vielleicht gerade mal 100 übrig. Zu wenig fürs Ego – zu viel, um mit FB aufzuhören.
Jedes Like bedeutet, dass mich jemand mag. Dass ich mit meiner Meinung nicht allein bin. Dass jemand das, was ich bin und tue, richtig gut findet. Das ist doch soziale Anerkennung in Reinform, unverschnittenes Koks für unser Bedürfnis, uns in der modernen Welt als wichtig, interessant und relevant zu positionieren. Obwohl daheim weder Hund noch Hamster auf unsere Kommandos reagieren, können wir uns in den sozialen Medien als Meinungsführer etablieren – und unsererseits Likes verteilen wie Gunstbezeugungen des Internet-Adels: gönnerhaft, launenhaft und in jedem anderen Kontext absolut irrelevant. Hier kann ich frei heraus zeigen, welche Werte ich im Leben vertrete. Ich tue etwas Gutes, wenn ich eine Aktion like: «Seht her, ich solidarisiere mich, ich unterstütze euch.» Nicht real, aber wenigstens virtuell. Was kann ich noch mehr tun? Zum Glück werde ich krass anderen Standpunkten als den meinen ohnehin nicht ausgesetzt.
Alles schaut gleich aus: Wuschelige Tierbabies, Nachrichten von Naturkatastrophen, Fake-News, politische Aktionen – das Netz präsentiert jeden Content auf die gleiche Weise, wirkt gleich real. Doch auch gleich relevant? Auf diese Frage antwortete FB-Gründer Mark Zuckerberg einmal, dass ein sterbendes Eichhörnchen vor der Haustür für die eigenen Interessen akut relevanter sein könne als sterbende Menschen in Afrika. Und FB wie auch Google weiss, was für mich ganz individuell relevant ist. Je nachdem, wo ich klicke und was ich like, filtern vollkommen uneinsichtige Algorithmen heraus, was sie auf Grundlage meines Klickverhaltens als für mich «like-würdig» bewerten. Big Brother sorgt dafür, dass wir nur sehen, was wir mögen. Der Internetaktivist Eli Pariser hat dies erkannt und 2011 den Begriff der Filterblase geprägt: Wir bekommen präsentiert, was wir wollen – und nicht das, was wir vielleicht brauchen. Wir alle surfen so in einer kleinen heilen Welt von personalisierten Postings und Suchergebnissen, ohne Aussicht darauf, mal etwas ausserhalb unserer Blase kennenzulernen, das wir eventuell nach einer Phase des Kennenlernens ebenfalls liken könnten. Pariser vergleicht die Algorithmen des Internets mit Chefredakteuren längst vergangener Print-Zeiten, die ebenfalls entschieden, welche Information auf das Volk losgelassen wurde. Anstatt uns den vollen Zugang zu allem zu gewähren, isoliert und beschränkt uns die Personalisierung der «weiten» Welt des Webs.
Wie nuanciert können Wahrnehmung und Bewertung in dieser Like-Gesellschaft sein? Wie sieht das Icon aus, mit dem ich ausdrücke, dass ich eine Meinung mies finde und den Meinungsgeber trotzdem respektiere? Wie kann ich vermitteln, dass jemand, der gegen all das steht, was ich per Daumen für gut, schön und wahr erachte, dennoch ein gutes Argument ins Feld führt? Lässt sich das überhaupt trennen? Kann ich sagen: Deine Prämisse ist zwar Klasse, aber droht ins Extreme abzukippen? Oder vermitteln: Hier reisst du das Zitat aus seinem korrekten Kontext? Erkennbar machen: Ich bin mir nicht sicher? Oder auch nur: Deine Katze ist niedlich, aber du bist ein unreflektierter Muskopf?
Natürlich kann ich das – dafür gibt es ja die Kommentarfunktion! Obwohl ich gestehe, dass es recht aufwändig ist, sich in Form einer virtuellen Diskussion mit den Leuten auseinanderzusetzen. (Da wisch ich lieber nach rechts oder wahlweise nach links, denn Menschen innerhalb von Sekunden zu bewerten, ist auch nicht schwieriger, als Meinungen zu bewerten.)
Wäre es denkbar, dass wir uns selbst beschränken, wenn wir uns hauptsächlich über das definieren, was wir – aus dem Stand heraus – befürworten und ablehnen, und Seelenverwandten nur in jenen zu erkennen glauben, die ähnliche Vorlieben und Abneigungen zur Schau stellen? Und dass es an uns selbst liegt, ob wir das Web zu einem Fenster, einer Mauer oder einem All Access Backstage Pass machen?
Wie auch immer: Wenn euch der Artikel gefallen hat, freue ich mich über ein Like!
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von:
Über
Martina Pahr
Martina Pahr ist Magister der Literaturwissenschaft, verausgabte Fernsehredakteurin, ehemalige Reiseleiterin und leidenschaftliche Schrebergärtnerin. Nebenher veranstaltet sie diverse Lesebühnen in München (wo sich kaum jemand etwas unter diesem Begriff vorstellen kann - im Grunde «Poetry Slam» ohne Wettbewerb.) Im Sommer schreibt sie gern in Schottland, im Winter in Asien und zwischendrin im Garten - wo sie sich überlegt, warum sie nichts Anständiges gelernt hat.
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