Der Bundesrat schützt lieber die Wirtschaft als die Umwelt
Nach der Ablehnung der Konzern-Initiative soll nun der Gegenvorschlag des Bundesrates umgesetzt werden. Das Vernehmlassungsverfahren ging am 14. Juli zu Ende – und das Resultat wurde von verschiedenen Seiten als Farce bezeichnet. Mehr als 20’000 Personen haben das Bundesamt für Justiz aufgefordert, dass die neue Regelung ethischer sein soll.
Nachdem die Konzern-Initiative im November 2020 knapp abgelehnt wurde, soll nun der Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament umgesetzt werden. In der ersten Julihälfte fand das Vernehmlassungsverfahren statt, in dessen Rahmen verschiedene Organisationen Stellung bezogen. Der Vorschlag von Bundesrätin Karin Keller-Sutter wurde dabei als Farce bezeichnet. Er biete diverse Schlupflöcher für Grossunternehmen, damit sich diese weiterhin ihrer Verantwortung entziehen könnten, was die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards betreffe.
Auch mehr als 20’000 Einzelpersonen haben das Bundesamt für Justiz offiziell dazu aufgefordert, eine Umsetzung zu garantieren, die ethischer und der demokratischen Tradition der Schweiz würdig sei: Die Konzern-Initiative war mit 50.7 Prozent Ja-Stimmen angenommen worden, jedoch am Ständemehr gescheitert. In erster Linie wird kritisiert, dass für transnationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz nach wie vor keine Sorgfaltspflicht gilt. Denn es ist vorgesehen, nur in Ausnahmefällen zu überprüfen, ob die Selbstdeklarationen der Konzerne tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Im Falle von Kinderarbeit zum Beispiel, wenn ein begründeter Verdacht besteht. Kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden sind sogar ganz davon ausgenommen, obwohl die Realität – zum Beispiel in der Schokoladeindustrie oder im Textil- oder Rohstoffbereich – anders aussieht.
Auch wenn das Risiko für Kinderarbeit als gering eingeschätzt wird, soll auf eine Sorgfaltsprüfung verzichtet werden. Wenn ein Konzern nicht direkt mit so genannten Hochrisikoländern geschäftet, wird nicht überprüft, wie die verwendeten Materialien produziert werden. Dies ist aber hochgradig problematisch: Wenn ein Schweizer Konzern einen Schuh vertreibt, auf dessen Etikette «Made in Germany» steht, bedeutet dies nur, dass die Endmontage in Deutschland erfolgt ist. Die Bestandteile könnten in Drittstaaten produziert worden und von Kinderarbeit betroffen sein. Es werden also keineswegs ethische Massstäbe für die gesamte Lieferkette garantiert, wie dies die ursprüngliche Konzern-Initiative gefordert hatte.
Im Rohstoff-Bereich sieht es ähnlich aus: Nur Konzerne mit bestimmten Mindest-Importmengen werden überprüft. Metalle, die wiederverwertet werden, sind ausserdem von der Sorgfaltspflicht ausgenommen. Was heisst das? In Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten kann Konfliktgold zu Schmuck verarbeitet werden, der dann in der Schweiz eingeschmolzen und problemlos als «sauber» verkauft wird. «Wenn diese Verordnung so umgesetzt wird, kann sich jede Firma, die es will, von der Sorgfaltspflicht befreien», sagt Rahel Ruch, die Geschäftsleiterin der Konzern-Initiative, gegenüber dem Tagesanzeiger. «Mit dieser Verordnung wird die Schweiz hinter die meisten europäischen Länder zurückfallen. Nach Frankreich haben nun auch Deutschland und Norwegen Regulierungen beschlossen, die viel strenger sind. Auch in der EU plant man weitergehende Verschärfungen.»
Das Engagement für mehr Konzernverantwortung geht aber auch nach dieser Enttäuschung weiter: Die Initiantinnen und Initianten der Konzern-Initiative haben über ein Crowdfunding Geld gesammelt, um weiterhin Öffentlichkeitsarbeit leisten und die Schweizer Regierung sowie die Konzerne in die Pflicht nehmen zu können. Was Schweizer Konzerne im Ausland für immense Schäden anrichten können, zeigt zum Beispiel der Fall des Rohstoffkonzerns Glencore. Dazu erarbeite ich zurzeit zusammen mit einem peruanischen Kollegen einen Dokumentarfilm – ein kleiner Ausschnitt daraus ist bereits online verfügbar.
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