Triumph des Wünschens
Bestsellerautoren verkaufen Millionen Bücher mit der eigentlichen simplen These, dass wir uns unser Schicksal selbst kreieren und das Begehrte einfach herbeiwünschen können. Das «Gesetz der Anziehung» scheint auf viele Menschen eine magische Anziehungskraft auszuüben. Beruht all das nur auf Wunsch-Denken? Oder steckt mehr dahinter – vielleicht sogar wissenschaftliche Wahrheit? (Roland Rottenfußer)
«Warum glauben Sie, dass 1 Prozent der Weltbevölkerung ungefähr 96 Prozent von allem vorhandenen Geld verdienen? Glauben Sie, dass das nur Zufall ist?» Die Frage des US-Bestseller-Autors Bob Proctor lässt aufhorchen. So mancher Leser würde an dieser Stelle Analysen der Zinsdynamik, mitfühlende Darstellungen des Elends in der Dritten Welt oder eine flammende Anklage gegen den immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich erwarten. Doch weit gefehlt: Von besagtem 1 Prozent der Reichen sagt Proctor, sie hätten «etwas verstanden. Sie verstehen das Geheimnis.» Mit besagtem «Geheimnis» ist nichts anderes gemeint als «Das unwandelbare geistige Gesetz der Anziehung.» Jeder Mensch zieht dieser Theorie zufolge Ereignisse in sein Leben, mit denen er in Resonanz steht. Er kreiert sich seine Wirklichkeit mit Hilfe seiner Gedanken. «Wenn Sie sich sich selbst im Zustand des Überflusses vorstellen, dann werden Sie genau diesen Überfluss anziehen. Es funktioniert immer und bei jedem Menschen.»
Die von Bob Proctor propagierte Weltanschauung blickt auf einen beispiellosen Siegeszug zurück, der 1948 mit dem Erscheinen von Dale Carnegies Klassiker «Sorge dich nicht, lebe» begann. Das so genannte Positives Denken (das der These vom «Gesetz der Anziehung» sehr verwandt ist) hat viele Menschen weltweit auf die Macht ihrer Gedanken, Vorurteile und Wünsche hingewiesen. Doch so verlockend die dort ausgebreiteten (Teil-)wahrheiten erscheinen mögen, so problematisch sind oft die überzogenen Heilsversprechen von Dale Carnegie, Dr. Joseph Murphy & Co. Ist jeder von uns tatsächlich ein «Schöpfergott», der sein eigenes Schicksal kreiert? Und ist das Positive überhaupt so positiv?
Bärbels willfähriges Universum
Auf den kürzesten Nenner gebracht, besagt das Gesetz der Anziehung, «dass die Welt das ist, was wir insgesamt über sie denken und fühlen». Bärbel Mohr landete Ende der 90er einen der größten Esoterik-Bucherfolge mit der schlichten Behauptung, dass man sich das Glück beim Universum bestellen könne wie bei einem grossen Versandhaus. Ihr Argument: «Die meisten Menschen leben in einer Welt, die sich aus dem zusammensetzt, was sie unbewusst ‘bestellt’ haben. Mit dem, was sie über diese Welt denken. Warum dann nicht lieber bewusst denken und bewusst bestellen, was ich haben möchte?» Ihr «Beweis» für diese kühne Behauptung: Anekdoten, Erfolgsgeschichten geglückter «Bestellungen» die den Leser motivieren sollen, ebenso wie die Helden solcher Erzählungen ihrer kreativen Imagination zu vertrauen. Positiv-Denken-Bücher kommen nie ohne Anekdoten aus, die allesamt nach einem ähnlichen Strickmuster geschrieben sind: Ein vormals armseliges Würstchen bringt es durch erleuchtende Begegnung mit einem Meister des Positiven Denkens (meist der Autor/die Autorin selbst) zu Ruhm, Reichtum und einem erfüllten Leben. Verantwortlich für den dramatischen Glückswandel ist meist eine Umprogrammierung des Unterbewusstseins durch Abschied vom passiven «Opferbewusstsein», das kurzerhand durch ein aktivierendes «Schöpferbewusstsein» ersetzt wird.
Nun ist es relativ leicht, Beispiele zu finden, die das «Positive Denken» platt, ärgerlich, ja lächerlich erscheinen lassen. Aber gilt dies für das negative Denken nicht ebenso? Gerade kognitiv orientierte Psychotherapeuten können ein Lied davon singen, wie negative Denkgewohnheiten und ein destruktives Selbstbild die Wirklichkeit verzerren und dazu beitragen, wie die Betroffenen permanent ihr eigenes Unglück inszenieren. Von Paul Watzlawick («Anleitung zum Unglücklichsein») stammt das tragikomische Eingeständnis: «Jemand der mich liebt, leidet unter einer morbiden Faszination durch das Minderwertige».
Das Bewusstsein bestimmt das Sein
Trifft das Positiven Denken also nicht zumindest eine Teilwahrheit: die oft beobachtbare Tatsache, dass unsere Gedanken und Erwartungen die Tendenz haben, sich zu verwirklichen? Die Philosophie vom «Gesetz der Anziehung» ist eine im ursprünglichen Sinn idealistische Weltanschauung. «Idealistisch» meint hier nicht: «nach dem Guten strebend», sondern, mit den Worten des Physikers und Philosophen Amit Goswami, «die Idee, dass das Bewusstsein Grundlage alles Seienden ist, nicht die Materie». «Zuerst müsst ihr wissen, dass es keine objektive Realität gibt ausser der durch das Bewusstsein geschaffenen», heißt es in Jane Roberts’ Esoterik-Klassiker «Gespräche mit Seth». «Das Bewusstsein bringt immer die Form hervor und nicht umgekehrt.» Damit schlägt zeitgenössische Esoterik einen Bogen zur altehrwüdigen Tradition der Philosophie des Idealismus (z.B. Platon, Fichte).
Verblüffenderweise gibt es Erkenntnisse der neueren Physik, die eben diese uralten philosophischen Annahmen zu bestätigen scheinen. So scheint das Elektron, ursprünglich ein eher wolkiges, nicht fassbares Gebilde, erst im Augenblick des Beobachtens und Messens durch ein wahrnehmungsfähiges Bewusstseins zu einem Materieteilchen mit genau bestimmbarem Aufenthaltsort zu gerinnen. Die aufregende Schlussfolgerung aus diesen Forschungen: «Das Universum scheint ohne einen Betrachter nicht zu existieren» (Alan Wolf). Wenn wir nun glauben, «dass alles (einschließlich der Materie) im Bewusstsein existiert und vom Bewusstsein her manipuliert wird» (Amit Goswami), warum sollte es dann nicht möglich sein, unser Schicksal mit Hilfe unserer Gedanken zu manipulieren? Eine lückenlose wissenschaftliche Theorie darüber, wie die Gesetze der Quantenmechanik auf Prozesse der «Makro-Welt» (z.B. auf das «Herbeiwünschen» von Geld, Erfolg und Liebesglück) angewandt werden können, gibt es meines Wissens noch nicht. Aber man kann über dergleichen zumindest spekulieren.
Krank durch „Positives Denken“?
Allerdings sind die populären Protagonist/innen der Wünsch-dir-was-Literatur nicht unbedingt alle «Platons» und „Goswamis“. Oft scheinen deren Bestsellerbücher in einem recht sorglos-lockeren, anekdotischen Stil gestrickt (wobei «The Secret» positiv dadurch auffällt, dass es die Statements zahlreicher Gewährsleute vereint, von denen etliche über therapeutische Qualifikation verfügen). Zahlreiche Schwachstellen der populären Gehirnprogrammierer hat bereits Günter Scheich in seinem Buch «Positives Denken macht krank» ausführlich behandelt. Da ist zum einen die Vorspiegelung eines absoluten, mit 100prozentiger Sicherheit eintretenden Erfolges (Dr. Murphy: «Positives Denken führt unausweichlich zum Ziel»). Da ist die Tendenz der Positivdenker, dem kognitiven Element (Denken und Sprache) eine übermässige Bedeutung beizumessen (Dr. Murphy behauptet, «dass Krankheit und Leid nichts anderes als die körperlichen Erscheinungsformen destruktiver Denkgewohnheiten sind»). Andere Persönlichkeitsanteile wie Gefühle, Stimmungen, unbewusste Prägungen, energetischer Gesamtzustand usw. werden in ihrem Einfluss auf die Psyche weitgehend ausgeblendet. Der Einzelne wird von Vertretern des Positiven Denkens in manchmal belastender Weise mit der Alleinschuld für alles, was ihm widerfährt, konfrontiert (Erhard F. Freitag: «Es gibt kein Problem, keine Krankheit auf dieser Erde, deren Ursache wir nicht in uns selbst erfahren könnten»).
Man muss die Frage stellen, ob die bewusste, quasi strategische Hinwendung zu positiven Gedankeninhalten nicht über kurz oder lang an einem Phänomen scheitern muss, das die westliche Psychologie den «Schatten» nennt. «Der Schatten ist die Summe dessen, von dem wir aufs tiefste überzeugt sind, dass es aus der Welt geschafft werden müsste. Doch gerade das Gegenteil ist der Fall: Der Schatten beinhaltet all das, was der Welt zum Heilwerden fehlt» – so die kurze, schlüssige Definition von Thorwald Dethlefsen und Ruediger Dahlke in «Krankheit als Weg». Wenn man sich ausschliesslich dem einen Pol der Schöpfung, sagen wir also: dem Positiven, «Guten», zuwenden, wird der andere Pol (das Negative, «Böse») ein unbewusstes Eigenleben entwickeln und sich zu einer gefährlichen, destruktiven Kraft auswachsen. «Wer absichtlich das Gute nährt, nährt unbewusst das Böse mit» (Dethlefsen/Dahlke).
Eine magische Parallelwelt
Sind Positivdenker also in ihrem spirituellen Wachstum stärker behindert als andere Menschen, weil sie die Schattenarbeit und -Integration verweigern? «Das zwanghafte ‘Weiss-Denken’ ist mindestens genauso schlimm wie das permanente ‘Schwarz-Sehen’», formuliert Günter Scheich treffend. Auf eine «Ferndiagnose» der Protagonisten der These vom «Gesetz der Anziehung» möchte ich mich hier nicht einlassen. Mein Eindruck aus persönlichen Begegnungen ist, dass sie subjektiv aufrichtig sind und an die Inhalte ihrer Bücher tatsächlich glauben. Zu fragen ist allerdings, warum besagte Thesen gerade jetzt boomen – «zufällig» ungefähr zeitgleich mit dem Hype um Zauberlehrling Harry Potter. Klammern wir uns an Populärmagie in Zeiten zunehmend erlebter Machtlosigkeit? Fühlen wir uns den übermächtigen Gewalten von Staat, Umweltzerstörung und globalisiertem Markt so ausgeliefert, dass wir deshalb uns ein freundlicher gesinntes Paralleluniversum herbeiträumen? Brauchen wir zu unserer psychischen Stabilisierung ein Universum, das von einem Dienstleistergott beherrscht wird, von einem Versandhausuniversum, dem jeder noch so kindliche und egozentrische Wunsch Befehl ist?
Bedenklich ist in jedem Fall eine politische Komponente des Positiven Denkens, die schon in dem anfangs zitierten Statement von Bob Proktor deutlich wird. Kein Wort davon, dass in einer Welt von begrenzten Ressourcen jeder «herbei gewünschte» oder «beim Universum bestellte» Gewinn einem Verlust irgendwo anders auf der Welt entsprechen muss. Ein nicht mehr zu überbietender Zynismus sowie haarsträubende Ignoranz gegenüber den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen tragischer Menschenschicksale tritt auch zutage, wenn Dr. Joseph Murphy behauptet: «Armut ist eine Krankheit des Geistes». Millionen von «Kranke» in der Sahelzone, den Favelas der brasilianischen Millionenstädte oder den menschenunwürdigen Müllhalden-Siedlungen am Stadtrand von Mexico City müssen sich als Negativdenker mit «Armutsbewusstsein» verhöhnen lassen.
Verhöhnung der Armen
Damit wird eine mental optimal trainierte Elite von «Richtigdenkern» auch wohlfeil aus seiner gesellschaftlichen Verantwortung entlassen, selbst wenn sie, wie Proktor zugibt, mit völlig unverhüllter Gier ein übermäßiges Stück vom Kuchen des gemeinschaftlichen Reichtums an sich raffen. Das Positive Denken wird so zum geistigen Überbau des herrschenden Wirtschaftsliberalismus, schön tönende Begleitmusik zum Chor der marktradikalen Gegner des Sozialstaats, die in soziale Not Geratenen statt Brot und Mitgefühl gern besserwisserisch Belehrungen über versäumte Eigenverantwortung zukommen lassen. Mein Fazit lautet also: Wachsamkeit gegenüber den realen Auswirkungen unserer Gedanken und Vorstellungen ist geboten. Eine dogmatische, den Zeitgeist übermässig durchdringende Philosophie der Eigenverantwortung («Du allein bist Schöpfer deines Schicksals») ist dagegen mehr als problematisch.
Und wäre es überhaupt so wünschenswert, wenn sich Hinz und Kunz (einschliesslich der Leute, die wir nicht mögen) all das herbeimaterialisieren könnten, was ihnen in den Sinn kommt? Liegt nicht der grösste Segen dieser Bücher gerade darin, dass sie nicht (oder nicht im behaupteten Ausmass) wirken? Denn wohin käme unsere Welt, wenn die Wünsche von Millionen kleiner Egos, ausgestattet mit «unbegrenzter Schöpfermacht», unmittelbar in Erfüllung gingen? Ich glaube, die kleinen Katastrophen, die im Hollywood-Film «Bruce Allmächtig» passieren, wären noch harmlos gegen das, was uns dann drohen würde. Eine der tiefsinnigsten Thesen zum Thema «Wünschen» fand ich in Deepak Chopras neuem Buch «Der dritte Jesus»: Nur wer nicht aus dem Ego, sondern aus dem Gottesbewusstsein heraus bittet, sagt Chopra, dem wird gegeben. Denn es spricht dann ja «Gott zu Gott», und wie könnte Gott sich selbst einen Wunsch abschlagen?
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