Chapeau: Kloster oder Hotel? Das Upleven ist beides
Im Mai 2022 lernte unser Autor im Rahmen eines Camps für junge Erwachsene, bei dem er im pädagogischen Team war, ein Hotel an der deutschen Nordseeküste zwischen Bremerhaven und Cuxhaven kennen. Es nennt sich Upleven.
Früher unter dem Namen «Deichgraf» bekannt, hatte sich das Hotel aufgrund des Konzeptes eines langjährigen Meditierers (und Schülers von u.a. Thich Nhat Hanh) ins «Upleven Hotel der Stille» verwandelt und war nun eine Mischung aus Kloster und Hotel geworden. So erklärten es uns der Hotelier Oliver Scheit, von ihm stammt das Konzept, und Bodo Janssen, der Inhaber der Hotelkette. Und so war es auch.
Bodo Janssen hatte vor ein paar Jahren durch ein Seminar bei Anselm Grün «die Stille kennengelernt», wie er es nennt. Er sei dadurch zu einem anderen Menschen geworden, sagt er. Eine Art, wie das in seinem Leben Ausdruck fand, ist nun dieses »Hotel der Stille«, bei dem er sich als Unternehmer erlaubt, es vorerst mit Unterdeckung zu betreiben. So blieb das Upleven ein Insidertipp und war zunächst fast nur Meditierern bekannt, die genau sowas suchen und es einander weiterempfahlen.
Ich war schwer beeindruckt und verliebte mich in den Ort. Inzwischen bin ich zwei Mal dorthin zurückgekehrt. Das erste Mal als Gast, das zweite Mal als Leiter eines Meditationsseminars, das die Struktur des Hauses nutzt: Sechs Mal am Tag schliesst sich dort für eine halbe Stunde die Tür des Meditationsraums, in dem wirklich niemand spricht. Schon beim Eintreten in den Raum empfängt er seine Besucher mit einer entspannenden Stille.
Das Personal dieses 4-Sterne-Hotels wird vom Hotelier nicht nur nach gastronomischer Kompetenz ausgewählt, sondern auch nach Meditationserfahrung.
Für mich entsteht dieser Effekt jedoch auch schon beim Betreten des Hauses. Es heisst vor allem Gäste mit Meditationserfahrung willkommen und solche, die es werden wollen. In den öffentlichen Räumen sind Handys und andere mobile Geräte unerwünscht. Es finden dort im Seminarraum auch Veranstaltungen statt, dort wird natürlich auch gesprochen. Ebenso beim Essen, für die, die nicht am Schweigetisch sitzen. Das ist in der Regel allerdings kein Smalltalk, sondern es ergeben sich schon durch die Umgebung quasi von selbst tiefe Gespräche.
Das Personal dieses 4-Sterne-Hotels wird vom Hotelier nicht nur nach gastronomischer Kompetenz ausgewählt, sondern auch nach Meditationserfahrung. Die so ausgewählten machen dann alles: Zimmerservice, Rezeption, Waschküche und das Anleiten der Meditationen. Nur die Küchencrew besteht aus alteingesessenen Profis, die vom Hotel Deichgraf übernommen wurden und weiterhin exzellentes Essen zubereiten, nun jedoch den neuen Stil des Hauses sehr schätzen.
Jetzt gibt es zu Mittag und zu Abend nur ein einziges warmes Essen plus Rohkost; man wählt hier nicht nach Karte. So muss kein Essen warm gehalten und dann entsorgt werden, weil die Gäste es nicht gewählt haben. Das ist ein enormer ökonomischer und ökologischer Nutzen, und auch die Gäste schätzen das, denn das Essen ist hier immer gut.
Weil mich der Platz so entzückt und schon beim Reinkommen durch die Tür in stille Präsenz sinken lässt, werde ich bald wieder dort sein für ein weiteres Seminar. Am liebsten gehe ich im Upleven barfuss die Marmortreppe hoch, genussvoll meine Füsse spürend und die leichten Bewegungen des Körpers, den sie tragen. Angekommen im Zimmer lege ich meine Reisetasche ab oder den Koffer und schaue nach Westen aufs Meer, wo bald die Sonne untergehen wird. Zur Linken sehe ich noch ein paar grosse Schiffe langsam den Welthafen von Bremerhaven verlassen; der globale Handel mit all seinen auch ökologischen Konsequenzen ist auch hier präsent, es ist dies keine Eremitage für Zivilisationsflüchtlinge.
Die Zimmer haben kein TV, und es hängen keine Bilder an der Wand. Schlichte Vollholzmöbel aus Eiche schmücken den Raum: Bett, Tisch, Stuhl. Auch ein Sideboard für ein paar Gegenstände zum Ablegen und eine Stange mit Kleiderbügel. Es ist ein bisschen wie im Kloster, aber auf Vier-Sterne-Niveau. Auf dem Schreibtisch liegt ein rotes Band, das ich mir als Schärpe umhängen kann, dann wissen alle, die mir im Hotel begegnen, dass ich «in Schweigen» bin: Ich spreche nicht und werde nicht angesprochen.
Schweigen können wir immer und überall. Wir können uns auch mitten in Lärm und Chaos des stillen Hintergrundes von allem bewusst sein. Hier aber ist es leichter als anderswo, sich dessen gewahr zu sein.
von:
Über
Wolf Sugata Schneider
Wolf Sugata Schneider, Jg. 52., war von 1985-2015 Hrsg. der Zeitschrift Connection. Er ist u.a. Autor von: «Sei dir selbst ein Witz - Humor als spiritueller Weg»
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