Bitte keine Werbung einwerfen!

An so vielen Briefkästen sehe ich die Aufschrift «Bitte keine Werbung einwerfen». Wo das nicht auf dem Briefkasten steht, hat die Inhaberin vielleicht nur gerade kein passendes Schild gefunden. So wie ich kürzlich nach einem Umzug. Oder sie entsorgt den Papiermüll geduldig in die Tonne. Die Samstagskolumne.

Werft mir bitte keine Konsumideen in mein Hirn, die mich vom Wesentlichen abhalten! Foto: Pixaby

Auch bei zu streamenden Filmen werden die Werbemüllverweigerer mit einem höheren Aufwand oder Kosten bestraft. Einen werbefreien Film zu sehen kostet mehr, und die Adblocker im Browser haben Nachteile.

So wie ich als Verweigerer des Fleischessens im Deutschland der 70er und 80er Jahre – seitdem bin ich Vegetarier – ein Aussenseiter war und damit auch heute noch einer Minderheit angehöre, bin ich auch mit der Werbeverweigerung ein Dissident der herrschenden Kultur. Langsam, viel zu langsam driftet dieser ökologisch so sinnvolle Trend in den Mainstream. Währenddessen wir unsere Welt mit weiter mit Unnötigem vermüllen. Wir kaufen Sachen, die wir nicht brauchen, und wissen oft nicht mal mehr, was wir in unseren Kellern, Speichern und Schränken noch rumliegen haben. Erst ein Umzug macht das wieder bewusst. Dann wird per LKW ein Abfall-Container vors Haus gestellt. 

Der kostet was. Die Sachen allein zum Wertstoffhof zu bringt, ist aber keine wirkliche Alternative, denn da stossen wir an unsere Zeitnot. Es ist ja auch unser Kalender verstopft mit Unnötigem. Darunter vieles, das wir zu brauchen glauben, um das ganze andere Unnötige zu bewältigen. Schliesslich brauchen wir Erholung von alledem. Aber auch für die «Freizeit», die ja keine wirklich freie Zeit ist, kaufen wir uns was. Die Freizeitindustrie versorgt uns hierzu reichlich mit Angeboten. Um uns die leisten zu können, müssen wir arbeiten, wovon wir dann wieder Erholung brauchen.

So drehen wir uns im Hamsterrad einer konsumorientierten Wirtschaft und sehnen uns nach Auszeit und Sabbatical. Manchmal auch danach, dass endlich die hart erarbeitete Rente kommt. Wenn sie dann da ist, fallen wir in das Loch der Sinnlosigkeit, das in der Regel wieder mit Konsum zugestopft wird. Shopping als Freizeitbeschäftigung? Die führenden Ökonomen finden das gut. Die Natur und unsere Psyche hingegen leiden darunter. 

Seit ein paar Jahren gibt es immerhin die Degrowth-Bewegung. Sie entstand in Frankreich als Décroissance und breitete sich von dort aus. In Deutschland ist diese nicht nur ökologisch, sondern langfristig auch ökonomisch sehr sinnvolle Bewegung immer noch nicht weit vorangekommen. Wer kennt schon Nico Paech und diePostwachstumsökonomie?

Zu gross ist die Angst, dass ein Anhalten des Wirtschaftswachstums oder gar ein Schrumpfen des BIP dazu führen würde, dass wir auf etwas verzichten müssten. 

Verzichten? Oh mein Gott, neiiiiin, das geht auf keinen Fall! Es muss doch jedes Jahr besser werden, und zwar durch immer mehr. Immer mehr Dinge und immer mehr Geld auf dem Konto. Die Gehälter, Renten und Sozialbezüge müssen wachsen, was sollte sonst das Wort «progressiv» noch bedeuten?

Progressiv ist aber auch ein Krebs, der unaufhörlich fortschreitet. Genau das geschieht durch unsere von den Kapitalrenten angetriebene progressive Wachstumswirtschaft: Sie frisst unseren Biotop auf und hat schon längst auch die Psyche angefressen. Als Konsumsüchtige können wir nicht anders als immer mehr zu wollen. 

Gut, dass endlich «immer mehr» diese Aufschrift auf ihren Briefkästen stehen haben: Bitte keine Werbung einwerfen! Ich will sie auch nicht in meiner E-Mail Box haben. Bitte werft mir keine weiteren Konsumideen in meine Psyche, sie ist schon voll genug. Voll mit all den Alltagsproblemen, die mich vom Wesentlichen abhalten: von der Liebe und der Freude an meiner Lebendigkeit. Vom Genuss meines Atems und dem meiner geistigen und körperlichen Beweglichkeit. Von der Freude an der Natur, die trotz der konventionellen Landwirtschaft noch verblieben ist. Vom Aufatmen in den Zeiten, da mein Kalender noch nicht mit Vermeidbarem zugestopft ist. 

Immer noch sterben mehr als eine halbe Milliarde Menschen pro Jahr an Hunger. Auf der anderen Seite stehen mehr als eine halbe Milliarde, die an Fettleibigkeit früh versterben; es werden immer mehr. Auf der einen Seite gibt es zu viel, auf der anderen zu wenig. Die Reichen werden immer reicher und die Armen ärmer. Beides verstärkt sich noch durch Kriege und Pandemien. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Da lob ich mir doch die Schelmen.

Deshalb werft mir bitte keine Konsumideen in mein Hirn, die mich vom Wesentlichen abhalten! Weniger ist mehr. Weniger Konsum bedeutet mehr Lebensqualität. 


 

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