Positives Denken – und seine negativen Folgen

Dr. Joseph Murphy, Rhonda Byrne oder Pierre Franck – Bestsellerautoren verkaufen Millionen Bücher mit der simplen These, dass wir uns unser Schicksal selbst kreieren und das Begehrte einfach herbeiwünschen können. Die rosa Welt der Positivdenker wirft aber einen beträchtlichen Schatten. Murphy etwa hält Armut für eine «Krankheit des Geistes». Hungernde müssen sich als Negativdenker mit Armutsbewusstsein verhöhnen lassen. Das Positive Denken wurde so zur geistigen Begleitmusik der neoliberalen Ära. Statt Brot und Mitgefühl bekamen Notleidende Belehrungen über versäumte Eigenverantwortung. Was viele schon diffus spürten, hat der systemische Therapeut Mike Hellwig jetzt klar formuliert. In seinem Buch «Wie wir uns vom Positiven Denken heilen» geht er hart mit den Schönfärbern ins Gericht. Der Untertitel heisst «Über die Freiheit, alles fühlen zu dürfen». Da liegt der Knackpunkt: Enttäuschung, Leid und Verzweiflung, so Hellwig, gehörten zum menschlichen Leben. In einer Gesellschaft, in der ein Zwang zum Positivsein herrsche, müssten wir diese Regungen aber unterdrücken. Werde der Schmerz verleugnet, führe dies zur Abspaltung unserer wahren Gefühle. Dem stellt der Autor sein Konzept der «radikalen Erlaubnis» gegenüber. Wenn alle Persönlichkeitsanteile, auch unliebsame, integriert werden, müssen sie nicht gegeneinander kämpfen. Negative Gefühle sollten wir wie Gäste behandeln, sagt Mike Hellwig. Das heisst: Wir geben ihnen Aufmerksamkeit, solange sie da sind. Aber wir sollten auch dafür sorgen, dass sie nicht bei uns wohnen bleiben.

Mike Hellwig: Wie wir uns vom positiven Denken heilen – Über die Freiheit, alles fühlen zu dürfen. Verlag Herder 2012, 200 S., Fr. …/Euro 9.99
02. September 2012
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