Querschnittlähmung geheilt mit inneren Bildern
Aus heiterem Himmel bricht Edith Gloor morgens zusammen – Diagnose «querschnittgelähmt». Man gibt ihr eine Heilungschance von knapp fünf Prozent. Ein Jahr später steht sie dennoch wieder selbstständig auf ihren Füssen und schreibt ein Buch darüber.
Der Beginn war ein Bandscheibenvorfall, dann kam die Lähmung. Nach dem Schock, dann die Behandlung. Wann kam der Wunsch auf, ein Buch zu schreiben?
Aus mir heraus kam gar nie der Wunsch, darüber zu schreiben, es war ein Arzt. Meine ganze Konzentration während 365 Tagen war darauf fokussiert, zu genesen. Ein solches Unterfangen bedarf einer furorähnlichen Geistesgegenwart. Ein Jahr nach dem Unfall wurde ich dann von einem Arzt dazu angeregt, zu schreiben.Das ganze Konzept war sofort bildhaft da. Tags drauf begann ich mit dem ersten Kapitel «Erwachen». Die Erinnerung kam ohne Mühe, ich habe ein gutes Gedächtnis. Sie kam wie ein sich stetig vorwärts bewegender, sprudelnder Fluss in mein Bewusstsein. Beim Schreiben habe ich viel gelacht und geweint.
Sie nehmen die Leserin und den Leser mit durch Ihre persönliche Geschichte. Verschiebt sich das Erlebte wenn man es beschreibt?
Als Dramatikerin bin ich es gewohnt, Leben und Schreiben klar zu trennen. Bei «Holy Shit», das man unter feuilletonistischer Prosa einordnen könnte, habe ich ebenfalls diese klare Trennlinie gezogen. Die Zeitverschiebung ist mir wichtig. Um dem, was ich sagen will, die zwingende ästhetische Form zu geben, benötige ich Distanz. Tagebuchartig oder gar lebensbegleitend therapeutisch alles festzuhalten, ist mir fremd. Dieses zeitgeistige Dokumentieren interessiert mich auch im übrigen Kunstbetrieb nur mäßig.
Warum?
Weil «persönliche Betroffenheit» ohne das Moment der Transformation und Reflexion, eitel- ja narzisstisch ist. Das Erlebte muss sich durch die Beschreibung verschieben: In etwas Absoluteres, Wahrhaftigeres und Demütigeres.
Sie hatten sich während der Genesungszeit von anderen Menschen zurück gezogen. Haben Sie in dieser Zeit auch gelesen, und wenn ja, was?
Der Rückzug war wichtig, um eine Innenwelt aufzubauen. Ich habe wenig gelesen, mehrheitlich Literatur über Neurologie. Herausragend: «Hirnforschung und Meditation», ein Dialog zwischen dem Neurobiologen und buddhistischen Mönch Matthieu Ricard und dem Neurophysiologen und Leiter des Max-Planck-Institut Wolf Singer. Außerdem zwei Bücher von Stefan Zweig. Die Erzählung «Auferstehung» aus «Sternstunden der Menschheit» und «Magellan ein Mann und seine Tat».
Und, tat die Lektüre gut?
Keine Trostliteratur; vielmehr Material, das mir Kraft, Mut und in einem gewissen Sinne männliche Energie vermittelt hat. Aber: Ich habe Bilder, Fabeln, Gleichnisse, einzelne Gedichtzeilen, Gebete, Musiksequenzen, Mythen und Symbole aus dem reichen Fundus der 2000jährigen Kulturgeschichte imaginiert. Diese aus der Erinnerung geschöpften Bildgebungen haben meine Verbindungen zwischen den Nervenzentren im Gehirn in jene entspannte, angstfreie Disposition gebracht, die nötig ist, um neue physiologiche Funktionen zu programmieren. Ein gestresstes Hirn ist unfähig, Neues zu lernen. Eines meiner Kapitel heißt deshalb: «Das Heilende in der Kunst».
Sie waren Patientin in unserem Gesundheitswesen. Sehen sie rückblickend Handlungsbedarf in der Grundversorgung?
Mein Buch wird annonciert mit den Worten «Eine Verneigung vor der Schulmedizin und eine Ode an die Zuversicht». Letzteres hat mit Eigenverantwortlichkeit zu tun und gehört ins Pflichtenheft des Patienten. Ich bin allgemein bei der SWICA versichert. Ohne zeitliches Limit wurden sämtliche Kosten für Spital, Reha und Nachbehandlung bezahlt. Dafür bin ich dankbar.
Wenn Sie ein Bild malen könnten, mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen, wie würde das aussehen?
Im Speisewagen Strecke: Zürich–Lugano. Auf dem Teller Safranrisotto mit Luganighe, dazu ein Glas Tessiner Merlot und Zabaione zur Nachspeise. Zwischen den einzelnen Kapiteln immer wieder der Blick aus dem Fenster: Da liegt der selig sich ausbreitende Zürichsee, irgendwann kommt der Grosse Mythen, dann die langsam ansteigenden Höhenkurven mit dem Umkreiseln und Umschwärmen des Weesener-Kirchleins. Plötzlich befindet man sich vor dem Loch des Gotthardtunnels, ahnend, dass den zu durchfahren immer sehr viel länger dauert, als man möchte. Dann endlich das Tunnelende mit dem tröstlichen Licht; und man weiss, dass man jetzt in eine andere Welt eintritt, egal ob es in Airolo regent oder nicht.
Welche Projekte stehen für Sie nun an?
Zur Zeit arbeite ich mit dem Regisseur und Autor Leopold Huber an der «Saga Ittingen», einer Auftragsarbeit von der Kartause Ittingen. Diese Revue durch Zeit und Geist wird im Februar 2016 uraufgeführt. Das andere Projekt für die kommenden zwei Jahre hat eben seine ersten Funken ausgesendet. Der Buchtitel: «Van Goyens Himmel». Darin geht es um jene ordnenden Kräfte aus den Tiefenschichten des kollektiven Kultur-Gedächtnisses, die mir helfen, immer wieder in den «Aufrechten Gang» zu kommen.
Edith Gloor wurde 1942 geboren, ist Autorin von Hörspielen, Theaterstücken und Filmdrehbüchern. Sie lebt in Wien und Zürich.
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Edith Gloor: «Holy Shit - Meine Weltenreise von der Querschnittlähmung zum aufrechten Gang», Scorpio Verlag. Geb. mit Schutzumschlag, 256 Seiten. 18.- € 25,90 CHF
Aus mir heraus kam gar nie der Wunsch, darüber zu schreiben, es war ein Arzt. Meine ganze Konzentration während 365 Tagen war darauf fokussiert, zu genesen. Ein solches Unterfangen bedarf einer furorähnlichen Geistesgegenwart. Ein Jahr nach dem Unfall wurde ich dann von einem Arzt dazu angeregt, zu schreiben.Das ganze Konzept war sofort bildhaft da. Tags drauf begann ich mit dem ersten Kapitel «Erwachen». Die Erinnerung kam ohne Mühe, ich habe ein gutes Gedächtnis. Sie kam wie ein sich stetig vorwärts bewegender, sprudelnder Fluss in mein Bewusstsein. Beim Schreiben habe ich viel gelacht und geweint.
Sie nehmen die Leserin und den Leser mit durch Ihre persönliche Geschichte. Verschiebt sich das Erlebte wenn man es beschreibt?
Als Dramatikerin bin ich es gewohnt, Leben und Schreiben klar zu trennen. Bei «Holy Shit», das man unter feuilletonistischer Prosa einordnen könnte, habe ich ebenfalls diese klare Trennlinie gezogen. Die Zeitverschiebung ist mir wichtig. Um dem, was ich sagen will, die zwingende ästhetische Form zu geben, benötige ich Distanz. Tagebuchartig oder gar lebensbegleitend therapeutisch alles festzuhalten, ist mir fremd. Dieses zeitgeistige Dokumentieren interessiert mich auch im übrigen Kunstbetrieb nur mäßig.
Warum?
Weil «persönliche Betroffenheit» ohne das Moment der Transformation und Reflexion, eitel- ja narzisstisch ist. Das Erlebte muss sich durch die Beschreibung verschieben: In etwas Absoluteres, Wahrhaftigeres und Demütigeres.
Sie hatten sich während der Genesungszeit von anderen Menschen zurück gezogen. Haben Sie in dieser Zeit auch gelesen, und wenn ja, was?
Der Rückzug war wichtig, um eine Innenwelt aufzubauen. Ich habe wenig gelesen, mehrheitlich Literatur über Neurologie. Herausragend: «Hirnforschung und Meditation», ein Dialog zwischen dem Neurobiologen und buddhistischen Mönch Matthieu Ricard und dem Neurophysiologen und Leiter des Max-Planck-Institut Wolf Singer. Außerdem zwei Bücher von Stefan Zweig. Die Erzählung «Auferstehung» aus «Sternstunden der Menschheit» und «Magellan ein Mann und seine Tat».
Und, tat die Lektüre gut?
Keine Trostliteratur; vielmehr Material, das mir Kraft, Mut und in einem gewissen Sinne männliche Energie vermittelt hat. Aber: Ich habe Bilder, Fabeln, Gleichnisse, einzelne Gedichtzeilen, Gebete, Musiksequenzen, Mythen und Symbole aus dem reichen Fundus der 2000jährigen Kulturgeschichte imaginiert. Diese aus der Erinnerung geschöpften Bildgebungen haben meine Verbindungen zwischen den Nervenzentren im Gehirn in jene entspannte, angstfreie Disposition gebracht, die nötig ist, um neue physiologiche Funktionen zu programmieren. Ein gestresstes Hirn ist unfähig, Neues zu lernen. Eines meiner Kapitel heißt deshalb: «Das Heilende in der Kunst».
Sie waren Patientin in unserem Gesundheitswesen. Sehen sie rückblickend Handlungsbedarf in der Grundversorgung?
Mein Buch wird annonciert mit den Worten «Eine Verneigung vor der Schulmedizin und eine Ode an die Zuversicht». Letzteres hat mit Eigenverantwortlichkeit zu tun und gehört ins Pflichtenheft des Patienten. Ich bin allgemein bei der SWICA versichert. Ohne zeitliches Limit wurden sämtliche Kosten für Spital, Reha und Nachbehandlung bezahlt. Dafür bin ich dankbar.
Wenn Sie ein Bild malen könnten, mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen, wie würde das aussehen?
Im Speisewagen Strecke: Zürich–Lugano. Auf dem Teller Safranrisotto mit Luganighe, dazu ein Glas Tessiner Merlot und Zabaione zur Nachspeise. Zwischen den einzelnen Kapiteln immer wieder der Blick aus dem Fenster: Da liegt der selig sich ausbreitende Zürichsee, irgendwann kommt der Grosse Mythen, dann die langsam ansteigenden Höhenkurven mit dem Umkreiseln und Umschwärmen des Weesener-Kirchleins. Plötzlich befindet man sich vor dem Loch des Gotthardtunnels, ahnend, dass den zu durchfahren immer sehr viel länger dauert, als man möchte. Dann endlich das Tunnelende mit dem tröstlichen Licht; und man weiss, dass man jetzt in eine andere Welt eintritt, egal ob es in Airolo regent oder nicht.
Welche Projekte stehen für Sie nun an?
Zur Zeit arbeite ich mit dem Regisseur und Autor Leopold Huber an der «Saga Ittingen», einer Auftragsarbeit von der Kartause Ittingen. Diese Revue durch Zeit und Geist wird im Februar 2016 uraufgeführt. Das andere Projekt für die kommenden zwei Jahre hat eben seine ersten Funken ausgesendet. Der Buchtitel: «Van Goyens Himmel». Darin geht es um jene ordnenden Kräfte aus den Tiefenschichten des kollektiven Kultur-Gedächtnisses, die mir helfen, immer wieder in den «Aufrechten Gang» zu kommen.
Edith Gloor wurde 1942 geboren, ist Autorin von Hörspielen, Theaterstücken und Filmdrehbüchern. Sie lebt in Wien und Zürich.
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Edith Gloor: «Holy Shit - Meine Weltenreise von der Querschnittlähmung zum aufrechten Gang», Scorpio Verlag. Geb. mit Schutzumschlag, 256 Seiten. 18.- € 25,90 CHF
24. Mai 2015
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