Seetaler Herzsprünge
Auf der Herzschlaufe galoppieren lustvoll die Drahtesel
Fristet der Kanton Aargau nicht ein gar schattiges Dasein als Tourismusdestination? Woran könnte das liegen? An den mangelnden Bergen? An den vielen Staumeldungen? Für viele ist der Aargau immer noch der «A-Kanton», den sie mit Autobahnen, Atomkraftwerken und Abfalldeponien verbinden. Alle drei Aspekte sind leider unübersehbar, zumindest entlang der üblichen Touristenroute, der Autobahn Nr. 1. Sie wirft ein reichlich ungünstiges Licht auf den Kanton, der eigentlich einiges zu bieten hätte.
Seit diesem Frühling gibt es einen neuen Zugang zu diesem verkannten Stück Schweiz. Er nennt sich «Herzschlaufe Seetal» und ist ein Abkömmling der Herzroute, die in diesem Heft schon mehrmals vorgestellt wurde. Nun also hat die Herzroute einen Ableger bekommen, der sich in ein Stück Schweiz hineinschmiegt, das man kennt und doch nicht kennt. Das Seetal, dieser Landschaftsraum zwischen Luzern und Lenzburg, wird je zur Hälfte von den Kantonen Luzern und Aargau beherbergt. Der Name leitet sich von den beiden Gewässern Hallwiler- und Balderggersee ab, die den Talboden prägen. So weit ist man vielleicht schon bei einer Schulreise oder Wanderung vorgedrungen. Beidseits dieser Seen aber spannt sich ein interessantes Hügelgebiet auf, Jagdgebiet der Herzschlaufe Seetal und der darauf verkehrenden Velos oder E-Bikes.
Das Projekt «Herzschlaufe Seetal» hatte ursprünglich einen schweren Start. Viele aus der Region Seetal waren zwar überzeugt, dass sie sich blendend für eine Zusatzschlaufe der Herzrouten-Gäste eignet, aber weder ich als Herzrouten-«Chefdesigner» noch SchweizMobil als Dachorganisation hatten das Gefühl, dass dies eine eigene Route mit Beschilderung rechtfertige; dazu noch eine «Herzschlaufe». Schliesslich blickten wir stirnrunzelnd auf den Kanton Aargau, der wie erwähnt gewisse untouristische Reflexe auslöst.
Dann aber packte ich mein Velo und die Lupe und warf mich ins Unterholz des Seetals und seiner Hügelgarnituren. Nach und nach kam Lust auf. Hier ist es ja richtig schön! Noch dazu lässt sich auf den Höhenlagen bestens radfahren, nachdem Menschen und Autos vor allem den Talgrund frequentieren. Oben ist es weit idyllischer, gelegentlich gar mit Seeblick.
Stück um Stück setzte sich eine Rundroute zusammen, die von Eschenbach über die Höhenlagen des Lindenberges und den Hallwilersee nach Lenzburg führte. Diese als «Ostast» taxierte Verbindung war bald klar und allgemein akzeptiert. Heikler wurde es beim «Westast». Der wollte nicht richtig gelingen. Immer wieder endeten die Wunschlinien in Siedlungsgebieten, die allzu nah lagen am A-Klischee, das es ja zu vermeiden galt. Also war Kreativität gefragt. Nach und nach mäandrierten sich meine Erkundungsfahrten ins westliche Hügelgebiet hinein, wo sie auf den Kretenlagen des Ruedertales endlich auf touristisch festen Boden stiessen.
Der Bann war gebrochen. Hier war es richtig schön. Zwischen Schlossrued und Beromünster kann man eine 20 Kilometer lange interkantonale Passage fast ohne zivilisatorische Belästigungen geniessen, und das mitten in der dichten Schweiz. Ich war beeindruckt. Und nach einer gemeinsamen Testfahrt mit den regionalen Projektträgern war klar: Das ist die gesuchte Veloroute. Nun war es nur noch eine Frage der Finanzierung und Bewilligungen, um das gute Stück umzusetzen.
Wie immer darf das nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wo immer ein Mensch ein Stück Land besitzt, ist der Argwohn nicht weit. Da werden mentale Schützengräben ausgehoben, Schreckensszenarien skizziert und Minenfelder vorbereitet. Velos bringen anscheinend Abfall, Ausländer und den Zerfall der Sitten. Aber die Höflichkeit gebietet, auch irrationale Sorgen ernst zu nehmen.
Und so wurde die Wunschroute seltsam beschnitten und verformt. Schade. So verloren wir das Schloss Liebegg und die Trostburg, zwei Highlights, die mindestens drei Atomkraftwerke und zwei Deponien im Aargaubild der Gäste getilgt hätten. Hier war es der Kanton, der sein eigenes Tourismusprojekt zusammenstutzte, um Wanderwege velofrei zu halten. An anderen Orten waren es besorgte Rechtsanwälte, die ihre Villen ausserhalb der Bauzone von weiteren «Übernutzungen» der Landschaft verschonen wollten. Oder es waren Bauern, die auf ihrem eben angeschafften Traktor realisierten, dass sie damit kein Velo mehr kreuzen konnten und daher Letzteres auf Flurwegen nicht mehr akzeptabel sei.
Es ist dem beherzten Einsatz unserer Spezialagenten (in der Regel charmant und weiblich) zu verdanken, dass einige der drohenden Streckenverluste abgewendet werden konnten und wir heute auf einen Routenverlauf blicken, der immer noch das Gütesiegel der Herzroute verdient. Wer sich also der neuen «599» anvertraut, darf sich getrost in die Landschaft hineinfallen lassen, wird über Geheimwege zu den schönsten Ecken des Seetales geführt und stellt fest, dass der A-Kanton ganz neue A-ssoziationen auslöst: Altstädte, Aussichtspunkte, Abenteuerwege und Alpwirtschaft.
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Paul Dominik Hasler hat in seinem «Büro für Utopien» das Konzept für die Herzroute gelegt und ist auch heute noch zuständig für die Streckenentwicklungen dieses Radwanderansatzes.
Die Herzschlaufe Seetal ist eine lokale Velowanderroute und trägt die Nummer 599. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt der Region Seetal, der angrenzenden Gebiete und der Herzroute. Die Rundroute führt von Eschenbach LU (an der Herzroute) nach Lenzburg und zurück. Der Ostast misst 51 Kilometer, der Westast 66. Die Strecke ist hügelig und bietet mit 1000 Höhenmetern pro Ast das ideale Terrain für E-Bikes oder sportliche Randwanderer ohne Unterstützung. E-Bikes lassen sich in Eschenbach und Lenzburg mieten.
Information und Reservation über
www.herzschlaufe-seetal.ch Unter dieser Adresse kann auch ein kostenloser Routenführer mit weiteren Tipps und Angaben bestellt werden.
Trotz Eröffnung klaffen noch ein paar Löcher in der «Herzschlaufe Seetal». Diesmal sind es nicht fehlende Streckenteile, sondern Finanzlücken. Dank einem Crowdfunding konnte ein guter Teil des Fehlbetrages bereits gesichert werden. Möchten Sie einen kleinen Beitrag leisten und 50 oder 100 Meter «Herzschlaufe» ermöglichen?
www.100-days.net/de/projekt/herzschlaufe-seetal
Seit diesem Frühling gibt es einen neuen Zugang zu diesem verkannten Stück Schweiz. Er nennt sich «Herzschlaufe Seetal» und ist ein Abkömmling der Herzroute, die in diesem Heft schon mehrmals vorgestellt wurde. Nun also hat die Herzroute einen Ableger bekommen, der sich in ein Stück Schweiz hineinschmiegt, das man kennt und doch nicht kennt. Das Seetal, dieser Landschaftsraum zwischen Luzern und Lenzburg, wird je zur Hälfte von den Kantonen Luzern und Aargau beherbergt. Der Name leitet sich von den beiden Gewässern Hallwiler- und Balderggersee ab, die den Talboden prägen. So weit ist man vielleicht schon bei einer Schulreise oder Wanderung vorgedrungen. Beidseits dieser Seen aber spannt sich ein interessantes Hügelgebiet auf, Jagdgebiet der Herzschlaufe Seetal und der darauf verkehrenden Velos oder E-Bikes.
Das Projekt «Herzschlaufe Seetal» hatte ursprünglich einen schweren Start. Viele aus der Region Seetal waren zwar überzeugt, dass sie sich blendend für eine Zusatzschlaufe der Herzrouten-Gäste eignet, aber weder ich als Herzrouten-«Chefdesigner» noch SchweizMobil als Dachorganisation hatten das Gefühl, dass dies eine eigene Route mit Beschilderung rechtfertige; dazu noch eine «Herzschlaufe». Schliesslich blickten wir stirnrunzelnd auf den Kanton Aargau, der wie erwähnt gewisse untouristische Reflexe auslöst.
Dann aber packte ich mein Velo und die Lupe und warf mich ins Unterholz des Seetals und seiner Hügelgarnituren. Nach und nach kam Lust auf. Hier ist es ja richtig schön! Noch dazu lässt sich auf den Höhenlagen bestens radfahren, nachdem Menschen und Autos vor allem den Talgrund frequentieren. Oben ist es weit idyllischer, gelegentlich gar mit Seeblick.
Stück um Stück setzte sich eine Rundroute zusammen, die von Eschenbach über die Höhenlagen des Lindenberges und den Hallwilersee nach Lenzburg führte. Diese als «Ostast» taxierte Verbindung war bald klar und allgemein akzeptiert. Heikler wurde es beim «Westast». Der wollte nicht richtig gelingen. Immer wieder endeten die Wunschlinien in Siedlungsgebieten, die allzu nah lagen am A-Klischee, das es ja zu vermeiden galt. Also war Kreativität gefragt. Nach und nach mäandrierten sich meine Erkundungsfahrten ins westliche Hügelgebiet hinein, wo sie auf den Kretenlagen des Ruedertales endlich auf touristisch festen Boden stiessen.
Der Bann war gebrochen. Hier war es richtig schön. Zwischen Schlossrued und Beromünster kann man eine 20 Kilometer lange interkantonale Passage fast ohne zivilisatorische Belästigungen geniessen, und das mitten in der dichten Schweiz. Ich war beeindruckt. Und nach einer gemeinsamen Testfahrt mit den regionalen Projektträgern war klar: Das ist die gesuchte Veloroute. Nun war es nur noch eine Frage der Finanzierung und Bewilligungen, um das gute Stück umzusetzen.
Wie immer darf das nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wo immer ein Mensch ein Stück Land besitzt, ist der Argwohn nicht weit. Da werden mentale Schützengräben ausgehoben, Schreckensszenarien skizziert und Minenfelder vorbereitet. Velos bringen anscheinend Abfall, Ausländer und den Zerfall der Sitten. Aber die Höflichkeit gebietet, auch irrationale Sorgen ernst zu nehmen.
Und so wurde die Wunschroute seltsam beschnitten und verformt. Schade. So verloren wir das Schloss Liebegg und die Trostburg, zwei Highlights, die mindestens drei Atomkraftwerke und zwei Deponien im Aargaubild der Gäste getilgt hätten. Hier war es der Kanton, der sein eigenes Tourismusprojekt zusammenstutzte, um Wanderwege velofrei zu halten. An anderen Orten waren es besorgte Rechtsanwälte, die ihre Villen ausserhalb der Bauzone von weiteren «Übernutzungen» der Landschaft verschonen wollten. Oder es waren Bauern, die auf ihrem eben angeschafften Traktor realisierten, dass sie damit kein Velo mehr kreuzen konnten und daher Letzteres auf Flurwegen nicht mehr akzeptabel sei.
Es ist dem beherzten Einsatz unserer Spezialagenten (in der Regel charmant und weiblich) zu verdanken, dass einige der drohenden Streckenverluste abgewendet werden konnten und wir heute auf einen Routenverlauf blicken, der immer noch das Gütesiegel der Herzroute verdient. Wer sich also der neuen «599» anvertraut, darf sich getrost in die Landschaft hineinfallen lassen, wird über Geheimwege zu den schönsten Ecken des Seetales geführt und stellt fest, dass der A-Kanton ganz neue A-ssoziationen auslöst: Altstädte, Aussichtspunkte, Abenteuerwege und Alpwirtschaft.
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Paul Dominik Hasler hat in seinem «Büro für Utopien» das Konzept für die Herzroute gelegt und ist auch heute noch zuständig für die Streckenentwicklungen dieses Radwanderansatzes.
Die Herzschlaufe Seetal ist eine lokale Velowanderroute und trägt die Nummer 599. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt der Region Seetal, der angrenzenden Gebiete und der Herzroute. Die Rundroute führt von Eschenbach LU (an der Herzroute) nach Lenzburg und zurück. Der Ostast misst 51 Kilometer, der Westast 66. Die Strecke ist hügelig und bietet mit 1000 Höhenmetern pro Ast das ideale Terrain für E-Bikes oder sportliche Randwanderer ohne Unterstützung. E-Bikes lassen sich in Eschenbach und Lenzburg mieten.
Information und Reservation über
www.herzschlaufe-seetal.ch Unter dieser Adresse kann auch ein kostenloser Routenführer mit weiteren Tipps und Angaben bestellt werden.
Trotz Eröffnung klaffen noch ein paar Löcher in der «Herzschlaufe Seetal». Diesmal sind es nicht fehlende Streckenteile, sondern Finanzlücken. Dank einem Crowdfunding konnte ein guter Teil des Fehlbetrages bereits gesichert werden. Möchten Sie einen kleinen Beitrag leisten und 50 oder 100 Meter «Herzschlaufe» ermöglichen?
www.100-days.net/de/projekt/herzschlaufe-seetal
24. Mai 2016
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