Sie wollen nur das Eine: Alles

Wie die Finanzkrise weitergeht

Heute wurde ich schon wieder gefragt, wie es denn mit der Finanzkrise weitergehen könnte und wann mit einem Crash zu rechnen sei. Zum Glück habe ich mich in dieser Frage schon vor Jahren so tüchtig geirrt, dass ich heute wenigstens eine unerschütterliche Sicherheit habe: an den volkswirtschaftlichen Zahlen lässt sich der Fortgang der Krise nicht ableiten. Crash-Prognosen mit Termin gibt es von mir deshalb nicht mehr.
Ob bestimmte Ereignisse eintreten oder nicht, hat so gut wie nichts mit den Zahlen zu tun, mit denen sie hinterher begründet werden. Dass Griechenland in akute Schwierigkeiten geraten ist, hat weniger mit seinen Schulden zu tun (die in praktisch allen westlichen Staaten zu hoch sind, als dass sie je zurückgezahlt werden könnten), sondern mit der Tatsache, dass eine Rating-Agentur die Bonität der griechischen Staatspapiere zurückgestuft hat. Das war eine reine Schreibtischtat und man darf davon ausgehen, dass sie nicht von einem autonomen Technokraten begangen wurde, sondern von höherer Ebene gebilligt wurde. Und vermutlich auch geplant. Sonst hätte nicht George Soros, der anfangs der 90er mit einer konzertierten Spekulation gegen dass britische Pfund innert Wochen eine Milliarde verdiente (war damals noch viel Geld) Positionen aufgebaut, die von der Griechenland-Krise profitierten.


Doch kehren wir zur Frage zurück, wie die Misere weitergehen wird. Das Laboratoire Européen d’Anticipation Politique (LEAP), das mit seinen Positionen inhaltlich nicht schlecht aber terminlich meist zu früh liegt, prognostiziert bis im Sommer Staatsbankrotte für England und bis Jahresende für Frankreich, die USA und andere Länder. Die Zahlen geben ihnen Recht. Aber wenn die Zahlen die politische Wahrheit ausdrückten, hätte Deutschland 1994 die D-Mark in den Mülleimer der Wirtschaftsgeschichte werfen müssen. Damals wog die Schuldenlast gemessen an der Wirtschaftskraft gleich schwer wie 1948, als die Reichsmark aus dem Verkehr gezogen und mit der D-Mark neu gestartet werden musste.


Es sind also nicht die volkswirtschaftlichen Zahlen (die ohnehin weitgehend verfälscht sind), die den Verlauf der Krise bestimmen, sondern die Absichten der Strippenzieher. Und die wollen vor allem eines: Alles. Und alles kriegt man nicht, wenn man einen Staat in den Bankrott treibt. Bei einem Bankrott gibt es nämlich entweder eine Revolution oder ein Insolvenzfahren (das es für Staaten zwar noch nicht gibt) in dessen Verlauf die Forderungen abgewogen und klassiert werden. In beiden Fällen wird das globale Finanzestablishment grössere Abschreiber machen müssen. Wird der Bankrott hingegen verzögert, lässt sich der Druck auf Volk und Regierung hoch halten, Lohnabstriche in Kauf zu nehmen und öffentliches Eigentum zu Dumpingpreisen zu privatisieren – bis zur Quasi-Verelendung. Der finale Bankrott ist zwar beschlossen, aber der Weg wird verlängert und zur möglichst weitgehenden Verknechtung genutzt. Wir, das Volk, reagieren wie der Frosch im berühmten Topf, der langsam im heisser werdenden Wasser zu Tode siedet. Würden wir dagegen schnell mit der Realität konfrontiert, könnten wir (vielleicht) mit einem rettenden Sprung das demokratische Steuer wieder in die Hand nehmen.


Damit wir nicht merken, wie es tatsächlich um uns bestellt ist, werden Statistiken gefälscht, Haushaltszahlen herumgebogen (nicht nur in Griechenland, auch im Musterland Deutschland), verbreiten die Politiker abwechslungsweise Beschwichtigungsparolen und Sparappelle und lenken uns die Medien mit geschönten Zahlen ab. Nur sehr temperatursensible Frösche erkennen die Dramatik des Temperaturanstiegs. Die Mehrheit liegt, von den Medien abgelenkt und abgestumpft im Wasser und hofft wohl, dass die Köche schon satt sind. Die aber wollen nur das Eine: die ganzen Frösche.
25. März 2010
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