Stachelige Liebe für den Winter
Perle des Alltags
Ich hatte richtig vermutet: Der kleine Igel, den ich abends in der Kälte gefunden hatte, war viel zu leicht für den Winterschlaf. Mit 500 Gramm würde er den Winter nicht überleben, warnte die Fachfrau der Igelstation. Nicht genug, dass Igel mit Schneckenkörnern vergiftet würden, erboste sie sich, auch die «harmlosen» Bio-Körner seien problematisch, töteten sie doch neben Nacktschnecken auch Weinbergschnecken und andere überlebenswichtige Kleinbeute der Igel. Über vierzig (!) Zecken entfernte sie dem mageren Igeljungen, spritzte ihn gegen Parasiten und quartierte ihn in der Beobachtungsstation ein, wo ich ihn schweren Herzens zurückliess.
Ob ich bereit wäre, ihn zu überwintern, fragte sie einige Tage später an. Nun ja, unser Wohnwagen hat schon viele Gäste beherbergt, der kleine Kerl könnte hier Zuflucht finden.
Ich schleppte eine grosse Kiste herbei. Ein Karton diente ihm als Häuschen. Als er ankam, war an Winterschlaf nicht zu denken. Er rumorte, suchte nach Fluchtwegen, scharrte, tat sich an Leckerbissen gütlich – mit Vorliebe Bananen – und lebte sich langsam ein.
Kaum betrat ich den Wohnwagen, sauste er auf weichen Sohlen in seine Höhle. Waren das Tummelfeld geputzt und die Leckerbissen serviert, tat ich so, als ob ich wegginge. Alsbald schlich er heraus und inspizierte das Menu.
Da konnte ich es nicht lassen, dem Widerborstigen seine Stacheln zu kraulen und das weiche Pelzbäuchlein zu kitzeln. Und Jonny – so hiess er nun – machte kleine Sprünge, um mich «wegzustacheln». Daraus wurde unser Spiel.
Oft beobachtete ich ihn still und freute mich. Er gedieh prächtig, was auch die Waage bestätigte. Nun schlief er mehr, doch nicht, ohne sich im Halbdunkeln immer wieder seine Leckerbissen zu holen.
Gegen Frühling war Krallenschneiden angesagt. Das Auswildern in sein Revier stand uns bevor. In einer geschützten Hecke des Gartens platzierte ich sein Häuschen und eine Extraration Bananen. Dann trug ich den inzwischen mehr als kiloschweren Jung-igel in die Freiheit. Noch einmal kraulen, ein letzter Pieks, loslassen ...
Wo Jonny heute sein mag? Viele Igel sind mir seither begegnet. Aber keiner hat mich jemals wieder so übermütig in die Hand gestachelt.
von:
Über
Eva Rosenfelder
Eva Rosenfelder (*1962) ist Autorin/Journalistin BR (Weiterbildung SAL) und arbeitet in den Bereichen Natur/Umwelt/Psychologie und Spiritualität.
Nach einem Grundstudium in Psychologie, lebte sie mit Kind und Kegel mehrere Jahre ein fahrendes Leben. Später widmete sie sich ganz dem Schreiben und der Sprache der Natur. Im Frühling 2017 ist von ihr das Buch "Die Seelenwelt der Pflanzen" (Kailash Verlag) erschienen.
www.natur-und-geist.ch
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