Ungehaltene Weihnachtspredigt 2024: Frieden auf Erden!
Wenn alles um dich dunkel erscheint, schau noch einmal hin. Vielleicht bist du das Licht.
«Durch die Weihnachtsbotschaft – so wird uns vermittelt – soll Frieden auf Erden kommen. Und sogar den Menschen ein Wohlgefallen. Bisher war uns das noch nicht dauerhaft vergönnt. Das Weihnachtsversprechen heisst nicht: Frieden im Herzen, sondern Frieden auf Erden! Nach über sechzig Jahren christlicher Prägung habe ich diesen Satz noch immer nicht verstanden und in diesem Jahr kommt er mir fast wie ein grausamer Scherz vor.»
So lese ich in einem Blog-Beitrag dieser Tage. (1) Die Worte lösen gemischte Gefühle in mir aus: Der Blick in Szenarien grossen und kleinen Unfriedens dieser Tage geben den Sätzen irgendwie recht. Die Schreckenstat von Magdeburg und alles, was daraus schon wieder gemacht wird, beunruhigt mich.
Mein Blick geht einmal mehr und immer noch zu den Menschen in Gaza, im Westjordanland, Libanon oder in Syrien. Jetzt von «Bethlehem, der kleinen Stadt» zu singen, darf doch nicht ausblenden, wie es gerade im wirklichen Bethlehem aussieht. Eine Mauer zerschneidet die Stadt. Der Zugang ist versperrt, der Tourismus zum Erliegen gekommen. Immer neue israelische Checkpoints und Schikanen machen es unmöglich, Kinder zur Schule zu schicken. Die unbegreifliche Kälte, unbarmherzige Gewalt, mit der israelische Politiker und entfesselte Siedler ethnische Säuberungen umsetzen, macht mich fassungslos. Es ist skandalös, dass kein Protest dieser Welt der israelischen Politik in den Arm fallen kann und sie in ihrem mörderischen Tun stoppt.
«Wie lange muss die Entmenschlichung des palästinensischen Volkes schon andauern, dass die Welt nur mit den Schultern zuckt und zu allem schweigt?» So fragt der lutherische Pfarrer Isaac Munther aus Bethlehem. Er hat vor einem Jahr das Jesuskind in der Krippe seiner Kirche auf die Trümmer zerstörter Häuser gebettet. Ein Jahr ist er vergeblich durch die Welt gereist, um politisch Verantwortliche, Religions- und Kirchenführer um Unterstützung anzuflehen. Erfolg war ihm kaum beschieden. «Jesus unter den Trümmern» nennt er seine Krippe nach diesen Monaten des Horrors für sein Volk. Ungebremste Unterstützung aus den USA und auch Deutschland machen es möglich, dass diese Auslöschungspolitik der israelischen Regierung weiter tobt – auch und gerade mit Waffen aus Deutschland.
Der Papst war in diesem Jahr immer wieder für starke Worte und Symbolhandlungen angesichts des Leids in Palästina gut. Zuletzt wickelte er das Jesuskind in seiner Krippe in ein geschenktes Palästinensertuch. Als die Kritik daran lauter wurde, entfernte er beide: Die Krippe ist nun leer!
Ich gebe der Briefschreiberin vom Anfang recht: Von Frieden auf Erden ist hier weit und breit nichts zu sehen – im Gegenteil. Die harten Wirklichkeiten und die Worte aus Engelmund Aussicht liegen meilenweit auseinander.
Doch: Ich will dem scheinbar stärkeren Argument des Faktischen nicht das letzte Wort lassen. Der Engelschor wie alle biblischen Verheissungen einer anderen Wirklichkeit bestreiten das Gegebene als unveränderlich und Totschlag-Argument. Die widersinnige Hoffnung der biblischen Bilder trotz allen Augenscheins kann und will ich nicht aufgeben. Sie sind der entscheidende Grund, nicht den Mut zu verlieren und den Kopf in den Sand zu stecken. In ihnen steckt das Potential, sich dagegen zu stemmen, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Sie helfen die Welt und eine bessere Zukunft al,ler nicht aufzugeben. Ich spüre auch an mir die Versuchung, mich ‚biedermeierlich‘ ins private, heimelige Glück zurückzuziehen und die Welt draussen sich selbst zu überlassen. Aber ich will mich der Verlockung nicht überlassen!
Friede auf Erden kann es nicht werden ohne Menschen, die sich dem Frieden verschreiben. Ich glaube nicht an einen Gott, der für Ordnung sorgt, indem er alles auf Null setzt und erst einmal reinen Tisch mit allen Menschen bösen Willens macht.
Gott fängt klein und anders an. In einem Winkel der Weltgeschichte wird das Kind geboren. Es ist dunkle Nacht, als die Hirten draussen jenes Euch ist heute der Heiland geboren hören. Ein wehrloses Kind im Angesicht der Besatzungsmächte aller Zeiten ist nur oberflächlich betrachtet ein blasses Symbol. Es liegt eine revolutionäre Sprengkraft darin, wenn Gott darangeht, die Welt und Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.
Das hat jene junge Frau aus Nazareth zuerst erkannt und ihr umstürzendes Adventslied angestimmt. Angesichts der unglaublichen Schwangerschaft ihrer Base Elisabeth kann Maria nicht an sich halten. Aus Puzzlestücken und Zitaten ihrer hebräischen Bibel formt sich ein Gesang, der die Mächtigen bis heute das Fürchten lehren kann. Wenn Gott Gewaltige vom Thron stürzt, wenn die Niedrigkeit angesehen, die Übersehenen erhöht und die Hungrigen mit Gütern gefüllt werden, dann erklingt hier kraftvoller Protest: Gegen die Verhältnisse, wie sie angeblich nun mal sind, gegen die selbstsicheren, menschenverachtenden Machthaber und alle, die im Hintergrund hinterhältig die Strippen ziehen.
Das aufmüpfige Lied der Maria gehört dringend in das Repertoire unserer Weihnachtslieder. «Stille Nacht» ist schön und gut. Doch ohne die Ober- und Untertöne des Magnificat bleibt es kraftlos und sentimental – und letztlich weltfremd.
Frieden auf Erden kommt nicht wie Weihnachten einfach über uns. Frieden auf Erden ist ein Prozess von Menschen, die sich im Herzen bewegen, auf Frieden ansprechen lassen. Frieden braucht Menschen, denen an ihm liegt, die genug haben vom Recht der Stärkeren. Frieden braucht Menschen, die sich nach Frieden sehnen – im Kleinen wie in der grossen Welt. Es braucht Menschen, die der Hoffnung auf eine andere Welt die verändernde sanfte, stetige Kraft des Wassers zutrauen. Deshalb hängen für mich Frieden im Herzen und Frieden in der Welt untrennbar zusammen.
Es braucht die über allen Augenschein hinausweisenden biblischen Verheissungen. Ihre Bilder zeigen, dass eine andere Wirklichkeit möglich ist und wirklich werden kann – wenn wir ihr nur vertrauen und folgen.
Pfarrer Munther aus Bethlehem beeindruckt mich: Trotz allem und nach diesem weiteren Jahr des Elends lässt er seinen Glauben nicht fahren. «Sie können mir alles nehmen, aber nicht meinen Glauben. Ohne diesen Glauben machte alles keinen Sinn. Ich weiss Gott weiter auf der Seite der Unterdrückten, Gepeinigten, Ausgestossenen – also auch auf unserer Seite». Das sind starke Worte.
Mir reicht es ein paar Nummern kleiner, wenn ich der Weisheit folge: «Wenn alles um dich dunkel erscheint, schau noch einmal hin. Vielleicht bist du das Licht». In diesem Sinne: Lichtvolle Weihnachten und Pace e Bene!
Amen.
(1) Lea Söhner, Worte, die wirken, vom 21.12. 2024
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