Was haben wir nur angerichtet?
Eine Feministin blickt auf die emanzipationsgeschädigten Männer
Zu Abiturzeiten las ich 1972 Simone de Beauvoirs Werk «Das andere Geschlecht». Meine Mutter reagierte voller Entsetzen und verbot mir, das Buch zu Hause herumliegen zu lassen, um meine jüngeren Schwestern nicht negativ zu beeinflussen.
Später, mit dem Studium, begann eine aufregende, harte Zeit mit endlosen Diskussionen über das Männer-/Frauenthema. Es hat uns, die linken, aufmüpfigen, jungen Frauen, vollständig beherrscht, quasi Tag und Nacht. Während fünfzehn Jahren las ich nahezu nur Frauenliteratur. Alice Schwarzers «Der kleine Unterschied» hatte 1975 die Wirkung einer Explosion. Gleichzeitig erschien Elena Belottis Standardwerk «Was geschieht mit kleinen Mädchen?» Ihre These: Wir werden nicht als schwache Frauen geboren, sondern durch die Gesellschaft zu Frauen ohne Selbstbewusstsein gemacht. Schon vorgeburtlich fange das an, wenn es im Volksmund heisst: Schwangere werden schöner, wenn sie einen männlichen Embryo in sich tragen und ihnen ist in den ersten Monaten besonders übel, wenn es ein Mädchen wird. Belotti öffnete uns für 1000 Kleinigkeiten die Augen, in denen Mädchen diskriminiert werden. Wir erkannten uns darin wieder, denn damit waren wir aufgewachsen: mit der ständigen Bevorzugung der Jungen. Sie durften lesen, wir mussten putzen, sie durften ins Gymnasium, für die Töchter reichte die Mittelschule. (…)
In den heissen Phasen unserer Emanzipation betrachteten wir die Männer als unsere natürlichen Feinde. Vergewaltigungen und Gewalt in den Familien wurden erst damals zu öffentlichen Themen. Wir zerrten diese Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit. (…)
Frau fühlt richtig
Ich war in einer Selbsterfahrungsgruppe, in der über Gefühle gesprochen wurde. Heute können wir uns gar nicht vorstellen, wie gross die Hemmungen damals waren und wie chaotisch die Gruppen abliefen. Wir hatten den Anspruch, immer alles rauszulassen. Um jeden Preis: «Ich fühle, also bin ich!» Wir unterschieden streng nach richtigen und falschen Gefühlen. Die richtigen hatten klar wir Frauen. Die meisten gingen anschliessend nach Hause und versuchten, mit dem Liebsten zusammenzuleben. Wie haben wir das bloss geschafft? Wir suchten Liebe, aber waren überzeugt «Der Feind liegt in unserem Bett!» Also begannen wir auch dort zu diskutieren, heiss, unerbittlich, nicht selten verbittert. Es ging um die Frage, ob Staubsaugen unmännlich sei und um den Kampf, dass die Männer das Putzen, Kochen und Windelwechseln zu 50 Prozent übernahmen. Es war hart.
Mit dem Feind unter einer Decke
Etliche der berühmten Feministinnen haben verheimlicht, dass sie keineswegs lesbisch waren, sondern nachts zum Feind überliefen. Wir in Westdeutschland waren von nichtberufstätigen Müttern zu einer romantischen Liebesheirat in Weiss erzogen worden, denen die Vorstellung, dass ihre Töchter nicht mehr Jungfrauen seien, schlaflose Nächte bereiteten. Es war ein Leben in extremer Spannung in uns selbst.
Auf der anderen Seite das beschwingende Gefühl, an einer wichtigen Bewegung mitzuwirken, denn wir leisteten mit unserem Engagement wichtige gesellschaftliche Aufklärungsarbeit.
Das hat natürlich auch die Männer geprägt. Viele veränderten sich, wurden weicher, gingen offener mit ihren Gefühlen um, nahmen sich der Kinder stärker an. Doch spätestens mit den 80er Jahren zeigten sich auch die negativen Folgen. Viele Männer waren frauenbefreiungsgeschädigt, d.h. zutiefst verunsichert, nicht selten devot und entleert. Die Frauen hatten die Gefühlshoheit erobert, nach dem Motto: Was Frau fühlt, ist richtig, Punkt und Schluss. Einige Männer wurden daraufhin superfeministisch. Einer meiner Kommilitonen trug ein T-Shirt mit der Aufschrift «Ich hasse Penisse!», weil das Penetrieren ein repressiver Akt barbarischer Unterdrückung sei. Er versuchte anhand von homosexuellen Pornozeitschriften schwul zu werden. Ein interessantes Experiment, funktioniert hat es nicht.
Superfeministisch sind bis heute offenbar viele männliche Sozialarbeiter und Familienrichter geblieben, wie sich bei unzähligen Sorgerechts-Verfahren nach den Scheidungen zeigt: Männliche Sozialarbeiter halten eher zu Frauen, Mütter gelten als heilig. Fast naturmythisch: Mütter haben immer Recht! Diese männlichen Feministen unterstützen viel seltener Männer, und die Rechte der Kinder auf Kontakt zu ihren leiblichen Vätern bleiben auf der Strecke. Fatal für mehrere Kindergenerationen. Ausser diesen Superfeministen war wohl die Mehrheit der Männer verängstigt. Es gab keine neue Definition von Männlichkeit jenseits der Cowboys, Machos und Manager. Und gerade sensible Männer hatten gelernt, dass diese Typen mega-out sind.
Emanzipationsgeschädigte Nachkommen?
In dieses Kuddelmuddel von neuen Rollen-Erfahrungen wurden auch in den 70er und 80er Jahren Kinder hinein geboren. Wie mag das wohl für kleine Jungs gewesen sein, die bei powervollen, emanzipierten Müttern aufwuchsen, die viel schafften und bewegten, ihre Kinder mit zu Demos nahmen, Ferien in Frauencamps veranstalteten, alles Männliche ablehnten? Verknüpft mit den Missverständnissen der antiautoritären Erziehung, die versäumte, Grenzen zu setzen? Diese Kinder erlebten eine nie zuvor da gewesene Freiheit. Doch zu viel Freiheit ist nicht nur für Erwachsene bedrohlich und ängstigend. Wenn Leitlinien und Grenzen täglich selbst gesucht werden müssen, kann das zu tiefer emotionaler Verunsicherung führen. Für Kinder manchmal mit fatalen Folgen.
Kleine Mädchen konnten sich bestenfalls an die Power ihrer Mütter anschliessen und wurden zu den kecken Girlies der 90er Jahre, für die die Errungenschaften der Frauenbewegung selbstverständlich sind. Doch oft mutierten sie zu unzufriedenen, narzisstisch verliebten, ewig gekränkten, zickigen Frauen, die nörgeln, wenn die Welt nicht so will, wie sie wollen.
Auch kleine Jungen wurden von den frisch emanzipierten Müttern, die in Ohnmacht fielen, wenn ihre Söhnchen aus einem Stock ein Gewehr schnitzten, mit der neu errungenen emotionalen Offenheit überschüttet.
Was tun Jungs, denen von überbordenden omnipotenten Müttern ständig signalisiert wird: «Sei mein Sohn, aber werde bitte kein Mann!»? Ihnen bleibt in vielen Fällen nichts anderes übrig, als die Ohren zuzuklappen und sich durch Rückzug zu schützen. Rückzug ins Schweigen und die gerade noch männlichen Bereiche wie Computer, Gangs und Coolness.
Das Lachen bleibt im Halse stecken
Inzwischen sind wir feministisch heftigen jungen Frauen der 70er Jahre im mittleren Alter. Lachend erinnern wir uns an diese «Geschlechterkriegszeiten». Doch manchmal bleibt das Lachen im Halse stecken und ich frage mich: «Was haben wir damals angerichtet?»
Als Therapeutin erschreckt mich die Unzufriedenheit der Jüngeren: Weder mit noch ohne Mann, weder in der Ehe noch ausserhalb sind sie zufrieden. Viele dieser fabelhaft ausgebildeten jungen Frauen zernörgeln ihr Leben und ihre Liebesbeziehungen. Natürlich wollen sie den neuen Mann, der über Gefühle reden kann – aber bloss keinen Softie. Einen, der die unangenehmen Dinge des Lebens erledigt: Rasenmähen, Steuererklärung, Wände streichen. Trotzdem heisst es: Die Männer heutzutage taugen nichts. Fragt man, was sie konkret am jeweiligen Mann auszusetzen haben, kommen keine nennenswerten Vorwürfe. Und dann höre ich immer wieder von Männern, die sich zuhause nicht mehr «Piep» zu sagen trauen. Einige Beispiele:
Ein Anwalt, kinderlos, macht die Steuererklärung für sich und seine Frau. Seit zehn Jahren. Es dauert jedes Mal zwei volle Wochenenden. Auf meine Frage: «Und was macht Ihre Frau an diesen beiden Wochenenden?» kommt die Antwort: «Sie quengelt und nörgelt, weil ich keine Zeit für sie habe!» Seine Frau dankt nicht, kocht ihm kein extra schönes Essen, belohnt ihn nicht mit Karten für sein Lieblingskonzert! Und er fand es normal! Er kannte ja nichts anderes!
Ein Ehepaar und zwei Kinder: Die Frau hat keine Lust als Lehrerin zu arbeiten, buddelt lieber in ihrem Garten und segelt mit den Kindern auf der Elbe. Ihr Mann, der einen ungeliebten Job hat, muss abends noch die Wäsche aufhängen, staubsaugen und am Wochenende nicht nur das Haus reparieren, sondern auch noch putzen. Und sieht deswegen seine Kinder zu wenig, was sie ihm vorhält! Sie fühlt sich im Recht. Ich verpflichte sie in der Paartherapie, die anfallenden Familienarbeiten akribisch aufzulisten. Es stellt sich heraus, dass sie die ausserhäusliche Arbeit des Mannes völlig negiert und hat immer das Gefühl, mehr zu machen. Was für ein Realitätsverlust! (…)
Eine Frau hat einen Liebhaber aber keinen Führerschein. Ergo fährt ihr Mann sie zum Liebhaber, bleibt dort zwei Stunden im Wagen sitzen, bis sie fertig ist und fährt sie wieder heim. Dieser Mann hatte die beiden Kinder in den ersten sechs Jahren aufgezogen, weil er als Lehrer eine Halbtagsstelle ergattern konnte. Bei drei seiner Kollegen passierte das, wovor er sich fürchtet: Obwohl sie mehr Erziehungsarbeit geleistet hatten, wurden die Kinder nach der Scheidung den Frauen zugesprochen. Mein Klient, der allein mit seiner Mutter aufgewachsen war und diese emotional bedienen musste, war gewohnt, das zu tun, was Frauen wollen. Und seine Kinder will er um keinen Preis verlieren. (…)
Wie konnte es so weit kommen?
Warum gibt es so viele duldsame, verstummte Männer? Wa-rum gibt es so viele Frauen, die ihre Männer als zu erziehende Versager behandeln, obwohl sie sich doch ursprünglich ein gleichberechtigtes Gegenüber gewünscht hatten? (...)
Wir feministischen Frauen haben bei unserem Kampf für unsere Rechte übersehen, dass die Welt zwar in Männerhand ist, aber deren Macht sich nur bei ganz wenigen konzentriert. 99 Prozent der Männer sind, wie wir Frauen, ebenso abhängig von ihrem Boss und den männlichen Machthabem auf allen Stufen der Gesellschaft.
Wir haben übersehen, dass Männer auch leiden. Wir Frauen machen bis heute den Fehler, immer nur uns als Opfer zu sehen. Doch die meisten Männer haben ebenfalls immer gelitten, nur nicht so lautstark wie wir Frauen heute. (…)
Etwa 95 Prozent der tödlichen Berufsunfälle erleiden Männer, weil sie fast zu 100 Prozent die so genannten «Todesberufe» ausüben. Natürlich wollten wir die Hälfte der Welt, doch keineswegs ins Bergwerk, an den Hochofen, zur Müllabfuhr oder zum Schneeräumdienst.
Zurück also zu der Frage: Warum gibt es so viele duld-same Männer? Dazu vier Thesen und eine Forderung:
These 1: Männer mussten auch im 20. Jahrhundert ihre Köpfe für den Staat, für politische Zwecke hinhalten – in den Schlachten des 1. und 2. Weltkriegs. Stumm, ausgeliefert, verzweifelt harrten sie aus, wurden millionenfach angeschossen, erschossen oder kamen in Gefangenschaft.
Heute passiert den Söhnen und Enkelsöhnen dieser Soldaten im «Geschlechterkampf» und im «Rosenkrieg» etwas Ähnliches. Es gibt offensichtlich eine Wiederkehr des Verdrängten: Wie ihre Grossväter und Väter finden sie keine produktive Möglichkeiten sich zu wehren, leiden oft an nahezu selbstzerstörerischer Passivität bzw. werden zur Passivität verdammt.
These 2: Zu viele Kinder wachsen ohne Vater auf, bzw. ohne männliche Identifikationsfigur. Heute wird normalen Vätern nach der Scheidung tausendfach das Recht verwehrt, ihre Kinder gleichberechtigt aufzuziehen oder sogar nur zu sehen. Die Auswirkungen auf die Kinder sind verheerend. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass gerade bei den Neofaschisten und Skinheads viele vom Vater verlassene Jungen zu finden sind. Sie suchen das Männliche, doch weil sie keine positiven Vorbilder haben, driften sie in die extreme Ecke ab.
Und was passiert mit den kleinen Mädchen ohne präsenten Vater? Da sie den liebevollen Blick ihrer Väter so dringend brauchen, ihn aber zu selten bekommen, bleibt ihnen nur der Spiegel übrig, in dem sie sich ständig drehen, immer mit der Frage: Bin ich hübsch und liebenswert genug? Es entsteht die nie zu stillende Sehnsucht nach dem männlichen Blick.
Auch der aufmerksamste Liebhaber kann diese Sehnsucht nach Vaters Blick nicht stillen. So werden Frauen zickig, doktern an ihrem Äusseren herum und stellen die Männer als Versager hin, obwohl es keineswegs deren Schuld ist, dass Frauen emotional selten satt werden. (…)
These 3: Schweigen erzeugt Verschweigen. Mühsam haben wir Frauen in kleinen Schritten gelernt, uns öffentlich und privat Gehör zu verschaffen, denn Schweigen bedeutete Bedeutungs- und Einflusslosigkeit. Wenn heute die Männer schweigen und dulden, ist es kein Wunder, wenn viele Frauen sie nicht mehr ernst nehmen. Was diese wiederum mit Schweigen beantworten.
Wenn ich als Therapeutin genauer nachfrage, zeigt sich oft, dass das Schweigen in der Familie Tradition hat. Nicht selten kommt ein anderes Verschweigen zutage: Da wurden eine Volks- oder Religionszugehörigkeit, Verstrickungen im Faschismus verschwiegen, da wurden Verschleppte oder Verhaftete nie wieder erwähnt und Tote totgeschwiegen. Und in vielen Fällen kamen die Männer zerschossen, psychisch zerbrochen aus dem Krieg zurück und wurden nicht als Helden, sondern als Versager empfangen. Gedemütigt und zu Tode gekränkt. Ihre Söhne und Enkel, die heute zwischen dreissig und fünfzig Jahre alt sind, haben diese Muster oft übernommen.
These 4: Das «Weibliche» hat in den Ehen und Familien, in Kindergärten, Schulen und im therapeutischen Bereich gesiegt. Die weibliche Übermacht hat auch Auswirkungen auf Lehrpläne und Vermittlungsformen. Denn aus irgendeinem Grund ist der Anteil der Jungen, die über Jahrzehnte in der Mehrheit waren, an Gymnasien auf 45,6 Prozent geschrumpft. An Sonderschulen sind Jungen mit 63,7 Prozent überrepräsentiert. Und bei der Pisa-Studie fällt auf, dass die Jungen weltweit schlechter abschneiden als die Mädchen.
Gilt das alte Vorurteil, Mädchen seien dümmer, in Wirklichkeit für die Jungen? Natürlich nicht! Die Mädchen kommen besser mit den veränderten Anforderungen klar: Gefordert sind heute Flexibilität, Kommunikation, soziale Intelligenz, nicht aggressives Durchsetzungsvermögen und unnachgiebige Meinungsfreudigkeit. Der Sportunterricht, in dem Jungen ihre Vitalität unter Beweis stellen konnten, ist weniger wichtig und auch in der Freizeit leiden Jungen mehr unter dem verschwindenden Raum zum Spielen. Ihrem Bewegungsdrang können sie nur noch auf kleinen eingezäunten Spielplätzen nachgehen: Sie fühlen sich wie eingesperrte Raubtiere.
Die Forderung: Wir Frauen müssen begreifen, dass wir nicht mehr das schwache Geschlecht sind. Wir sollten unsere Werte nicht zum Mass aller Dinge machen. Auch müssen wir noch etliche Aspekte unserer Geschichte aufarbeiten. Leider die negativen. Erst sehr wenige Frauen haben begonnen, ihre Täteranteile im Alltag zu reflektieren. (…) Das Pendel, das wir Frauen notwendigerweise in eine Richtung haben ausschlagen lassen, muss eine neue Balance finden. Doch dazu müssen die Männer ihren Mund aufmachen, die Angst vor Frauen überwinden und zu einer eigenen, neuen Kraft gelangen – auch Sozialarbeiter und Familienrichter, Gesetzgeber und Politiker.
Es geht um eine neue Emanzipationsbewegung. Die der Frauen ist zwar noch lange nicht beendet, aber jetzt sind die Männer dran sich zu befreien, jenseits vom Macho, aber auch jenseits vom grossen Dulder.
Die Emanzipation der Frau war und ist eine Chance, die Emanzipation der Männer ebenfalls – eine Chance für uns alle. Ein mühsamer, aber auch lustvoller Weg, den wir nur gemeinsam beschreiten können. Männer und Frauen miteinander, nicht gegeneinander.
Astrid von Friesen (*1953) hat u.a. Pädagogik und Psychologie studiert und praktiziert als Psychotherapeutin in Dresden und Freiberg. In ihrem neusten Buch setzt sie sich witzig und selbstironisch mit den Folgen der Emanzipation für Männer, Frauen und Kinder auseinander.
Schuld sind immer die anderen! Die Nachwehen des Feminismus: frustrierte Frauen und schweigende Männer. Ellert&Richter-Verlag, 2006
Von Astrid von Friesen stammen u.a.:Von Aggression bis Zärtlichkeit – das Erziehungslexikon. Kösel-Verlag, 2003.Geld spielt keine Rolle – Erziehung im KonsumrauschLiebe spielt eine Rolle – Was Kinder und was Eltern brauchenKontakt: [email protected]
Interessant:
Gleichstellungspolitik darf nicht nur Frauen fördern (nzz online)
Später, mit dem Studium, begann eine aufregende, harte Zeit mit endlosen Diskussionen über das Männer-/Frauenthema. Es hat uns, die linken, aufmüpfigen, jungen Frauen, vollständig beherrscht, quasi Tag und Nacht. Während fünfzehn Jahren las ich nahezu nur Frauenliteratur. Alice Schwarzers «Der kleine Unterschied» hatte 1975 die Wirkung einer Explosion. Gleichzeitig erschien Elena Belottis Standardwerk «Was geschieht mit kleinen Mädchen?» Ihre These: Wir werden nicht als schwache Frauen geboren, sondern durch die Gesellschaft zu Frauen ohne Selbstbewusstsein gemacht. Schon vorgeburtlich fange das an, wenn es im Volksmund heisst: Schwangere werden schöner, wenn sie einen männlichen Embryo in sich tragen und ihnen ist in den ersten Monaten besonders übel, wenn es ein Mädchen wird. Belotti öffnete uns für 1000 Kleinigkeiten die Augen, in denen Mädchen diskriminiert werden. Wir erkannten uns darin wieder, denn damit waren wir aufgewachsen: mit der ständigen Bevorzugung der Jungen. Sie durften lesen, wir mussten putzen, sie durften ins Gymnasium, für die Töchter reichte die Mittelschule. (…)
In den heissen Phasen unserer Emanzipation betrachteten wir die Männer als unsere natürlichen Feinde. Vergewaltigungen und Gewalt in den Familien wurden erst damals zu öffentlichen Themen. Wir zerrten diese Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit. (…)
Frau fühlt richtig
Ich war in einer Selbsterfahrungsgruppe, in der über Gefühle gesprochen wurde. Heute können wir uns gar nicht vorstellen, wie gross die Hemmungen damals waren und wie chaotisch die Gruppen abliefen. Wir hatten den Anspruch, immer alles rauszulassen. Um jeden Preis: «Ich fühle, also bin ich!» Wir unterschieden streng nach richtigen und falschen Gefühlen. Die richtigen hatten klar wir Frauen. Die meisten gingen anschliessend nach Hause und versuchten, mit dem Liebsten zusammenzuleben. Wie haben wir das bloss geschafft? Wir suchten Liebe, aber waren überzeugt «Der Feind liegt in unserem Bett!» Also begannen wir auch dort zu diskutieren, heiss, unerbittlich, nicht selten verbittert. Es ging um die Frage, ob Staubsaugen unmännlich sei und um den Kampf, dass die Männer das Putzen, Kochen und Windelwechseln zu 50 Prozent übernahmen. Es war hart.
Mit dem Feind unter einer Decke
Etliche der berühmten Feministinnen haben verheimlicht, dass sie keineswegs lesbisch waren, sondern nachts zum Feind überliefen. Wir in Westdeutschland waren von nichtberufstätigen Müttern zu einer romantischen Liebesheirat in Weiss erzogen worden, denen die Vorstellung, dass ihre Töchter nicht mehr Jungfrauen seien, schlaflose Nächte bereiteten. Es war ein Leben in extremer Spannung in uns selbst.
Auf der anderen Seite das beschwingende Gefühl, an einer wichtigen Bewegung mitzuwirken, denn wir leisteten mit unserem Engagement wichtige gesellschaftliche Aufklärungsarbeit.
Das hat natürlich auch die Männer geprägt. Viele veränderten sich, wurden weicher, gingen offener mit ihren Gefühlen um, nahmen sich der Kinder stärker an. Doch spätestens mit den 80er Jahren zeigten sich auch die negativen Folgen. Viele Männer waren frauenbefreiungsgeschädigt, d.h. zutiefst verunsichert, nicht selten devot und entleert. Die Frauen hatten die Gefühlshoheit erobert, nach dem Motto: Was Frau fühlt, ist richtig, Punkt und Schluss. Einige Männer wurden daraufhin superfeministisch. Einer meiner Kommilitonen trug ein T-Shirt mit der Aufschrift «Ich hasse Penisse!», weil das Penetrieren ein repressiver Akt barbarischer Unterdrückung sei. Er versuchte anhand von homosexuellen Pornozeitschriften schwul zu werden. Ein interessantes Experiment, funktioniert hat es nicht.
Superfeministisch sind bis heute offenbar viele männliche Sozialarbeiter und Familienrichter geblieben, wie sich bei unzähligen Sorgerechts-Verfahren nach den Scheidungen zeigt: Männliche Sozialarbeiter halten eher zu Frauen, Mütter gelten als heilig. Fast naturmythisch: Mütter haben immer Recht! Diese männlichen Feministen unterstützen viel seltener Männer, und die Rechte der Kinder auf Kontakt zu ihren leiblichen Vätern bleiben auf der Strecke. Fatal für mehrere Kindergenerationen. Ausser diesen Superfeministen war wohl die Mehrheit der Männer verängstigt. Es gab keine neue Definition von Männlichkeit jenseits der Cowboys, Machos und Manager. Und gerade sensible Männer hatten gelernt, dass diese Typen mega-out sind.
Emanzipationsgeschädigte Nachkommen?
In dieses Kuddelmuddel von neuen Rollen-Erfahrungen wurden auch in den 70er und 80er Jahren Kinder hinein geboren. Wie mag das wohl für kleine Jungs gewesen sein, die bei powervollen, emanzipierten Müttern aufwuchsen, die viel schafften und bewegten, ihre Kinder mit zu Demos nahmen, Ferien in Frauencamps veranstalteten, alles Männliche ablehnten? Verknüpft mit den Missverständnissen der antiautoritären Erziehung, die versäumte, Grenzen zu setzen? Diese Kinder erlebten eine nie zuvor da gewesene Freiheit. Doch zu viel Freiheit ist nicht nur für Erwachsene bedrohlich und ängstigend. Wenn Leitlinien und Grenzen täglich selbst gesucht werden müssen, kann das zu tiefer emotionaler Verunsicherung führen. Für Kinder manchmal mit fatalen Folgen.
Kleine Mädchen konnten sich bestenfalls an die Power ihrer Mütter anschliessen und wurden zu den kecken Girlies der 90er Jahre, für die die Errungenschaften der Frauenbewegung selbstverständlich sind. Doch oft mutierten sie zu unzufriedenen, narzisstisch verliebten, ewig gekränkten, zickigen Frauen, die nörgeln, wenn die Welt nicht so will, wie sie wollen.
Auch kleine Jungen wurden von den frisch emanzipierten Müttern, die in Ohnmacht fielen, wenn ihre Söhnchen aus einem Stock ein Gewehr schnitzten, mit der neu errungenen emotionalen Offenheit überschüttet.
Was tun Jungs, denen von überbordenden omnipotenten Müttern ständig signalisiert wird: «Sei mein Sohn, aber werde bitte kein Mann!»? Ihnen bleibt in vielen Fällen nichts anderes übrig, als die Ohren zuzuklappen und sich durch Rückzug zu schützen. Rückzug ins Schweigen und die gerade noch männlichen Bereiche wie Computer, Gangs und Coolness.
Das Lachen bleibt im Halse stecken
Inzwischen sind wir feministisch heftigen jungen Frauen der 70er Jahre im mittleren Alter. Lachend erinnern wir uns an diese «Geschlechterkriegszeiten». Doch manchmal bleibt das Lachen im Halse stecken und ich frage mich: «Was haben wir damals angerichtet?»
Als Therapeutin erschreckt mich die Unzufriedenheit der Jüngeren: Weder mit noch ohne Mann, weder in der Ehe noch ausserhalb sind sie zufrieden. Viele dieser fabelhaft ausgebildeten jungen Frauen zernörgeln ihr Leben und ihre Liebesbeziehungen. Natürlich wollen sie den neuen Mann, der über Gefühle reden kann – aber bloss keinen Softie. Einen, der die unangenehmen Dinge des Lebens erledigt: Rasenmähen, Steuererklärung, Wände streichen. Trotzdem heisst es: Die Männer heutzutage taugen nichts. Fragt man, was sie konkret am jeweiligen Mann auszusetzen haben, kommen keine nennenswerten Vorwürfe. Und dann höre ich immer wieder von Männern, die sich zuhause nicht mehr «Piep» zu sagen trauen. Einige Beispiele:
Ein Anwalt, kinderlos, macht die Steuererklärung für sich und seine Frau. Seit zehn Jahren. Es dauert jedes Mal zwei volle Wochenenden. Auf meine Frage: «Und was macht Ihre Frau an diesen beiden Wochenenden?» kommt die Antwort: «Sie quengelt und nörgelt, weil ich keine Zeit für sie habe!» Seine Frau dankt nicht, kocht ihm kein extra schönes Essen, belohnt ihn nicht mit Karten für sein Lieblingskonzert! Und er fand es normal! Er kannte ja nichts anderes!
Ein Ehepaar und zwei Kinder: Die Frau hat keine Lust als Lehrerin zu arbeiten, buddelt lieber in ihrem Garten und segelt mit den Kindern auf der Elbe. Ihr Mann, der einen ungeliebten Job hat, muss abends noch die Wäsche aufhängen, staubsaugen und am Wochenende nicht nur das Haus reparieren, sondern auch noch putzen. Und sieht deswegen seine Kinder zu wenig, was sie ihm vorhält! Sie fühlt sich im Recht. Ich verpflichte sie in der Paartherapie, die anfallenden Familienarbeiten akribisch aufzulisten. Es stellt sich heraus, dass sie die ausserhäusliche Arbeit des Mannes völlig negiert und hat immer das Gefühl, mehr zu machen. Was für ein Realitätsverlust! (…)
Eine Frau hat einen Liebhaber aber keinen Führerschein. Ergo fährt ihr Mann sie zum Liebhaber, bleibt dort zwei Stunden im Wagen sitzen, bis sie fertig ist und fährt sie wieder heim. Dieser Mann hatte die beiden Kinder in den ersten sechs Jahren aufgezogen, weil er als Lehrer eine Halbtagsstelle ergattern konnte. Bei drei seiner Kollegen passierte das, wovor er sich fürchtet: Obwohl sie mehr Erziehungsarbeit geleistet hatten, wurden die Kinder nach der Scheidung den Frauen zugesprochen. Mein Klient, der allein mit seiner Mutter aufgewachsen war und diese emotional bedienen musste, war gewohnt, das zu tun, was Frauen wollen. Und seine Kinder will er um keinen Preis verlieren. (…)
Wie konnte es so weit kommen?
Warum gibt es so viele duldsame, verstummte Männer? Wa-rum gibt es so viele Frauen, die ihre Männer als zu erziehende Versager behandeln, obwohl sie sich doch ursprünglich ein gleichberechtigtes Gegenüber gewünscht hatten? (...)
Wir feministischen Frauen haben bei unserem Kampf für unsere Rechte übersehen, dass die Welt zwar in Männerhand ist, aber deren Macht sich nur bei ganz wenigen konzentriert. 99 Prozent der Männer sind, wie wir Frauen, ebenso abhängig von ihrem Boss und den männlichen Machthabem auf allen Stufen der Gesellschaft.
Wir haben übersehen, dass Männer auch leiden. Wir Frauen machen bis heute den Fehler, immer nur uns als Opfer zu sehen. Doch die meisten Männer haben ebenfalls immer gelitten, nur nicht so lautstark wie wir Frauen heute. (…)
Etwa 95 Prozent der tödlichen Berufsunfälle erleiden Männer, weil sie fast zu 100 Prozent die so genannten «Todesberufe» ausüben. Natürlich wollten wir die Hälfte der Welt, doch keineswegs ins Bergwerk, an den Hochofen, zur Müllabfuhr oder zum Schneeräumdienst.
Zurück also zu der Frage: Warum gibt es so viele duld-same Männer? Dazu vier Thesen und eine Forderung:
These 1: Männer mussten auch im 20. Jahrhundert ihre Köpfe für den Staat, für politische Zwecke hinhalten – in den Schlachten des 1. und 2. Weltkriegs. Stumm, ausgeliefert, verzweifelt harrten sie aus, wurden millionenfach angeschossen, erschossen oder kamen in Gefangenschaft.
Heute passiert den Söhnen und Enkelsöhnen dieser Soldaten im «Geschlechterkampf» und im «Rosenkrieg» etwas Ähnliches. Es gibt offensichtlich eine Wiederkehr des Verdrängten: Wie ihre Grossväter und Väter finden sie keine produktive Möglichkeiten sich zu wehren, leiden oft an nahezu selbstzerstörerischer Passivität bzw. werden zur Passivität verdammt.
These 2: Zu viele Kinder wachsen ohne Vater auf, bzw. ohne männliche Identifikationsfigur. Heute wird normalen Vätern nach der Scheidung tausendfach das Recht verwehrt, ihre Kinder gleichberechtigt aufzuziehen oder sogar nur zu sehen. Die Auswirkungen auf die Kinder sind verheerend. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass gerade bei den Neofaschisten und Skinheads viele vom Vater verlassene Jungen zu finden sind. Sie suchen das Männliche, doch weil sie keine positiven Vorbilder haben, driften sie in die extreme Ecke ab.
Und was passiert mit den kleinen Mädchen ohne präsenten Vater? Da sie den liebevollen Blick ihrer Väter so dringend brauchen, ihn aber zu selten bekommen, bleibt ihnen nur der Spiegel übrig, in dem sie sich ständig drehen, immer mit der Frage: Bin ich hübsch und liebenswert genug? Es entsteht die nie zu stillende Sehnsucht nach dem männlichen Blick.
Auch der aufmerksamste Liebhaber kann diese Sehnsucht nach Vaters Blick nicht stillen. So werden Frauen zickig, doktern an ihrem Äusseren herum und stellen die Männer als Versager hin, obwohl es keineswegs deren Schuld ist, dass Frauen emotional selten satt werden. (…)
These 3: Schweigen erzeugt Verschweigen. Mühsam haben wir Frauen in kleinen Schritten gelernt, uns öffentlich und privat Gehör zu verschaffen, denn Schweigen bedeutete Bedeutungs- und Einflusslosigkeit. Wenn heute die Männer schweigen und dulden, ist es kein Wunder, wenn viele Frauen sie nicht mehr ernst nehmen. Was diese wiederum mit Schweigen beantworten.
Wenn ich als Therapeutin genauer nachfrage, zeigt sich oft, dass das Schweigen in der Familie Tradition hat. Nicht selten kommt ein anderes Verschweigen zutage: Da wurden eine Volks- oder Religionszugehörigkeit, Verstrickungen im Faschismus verschwiegen, da wurden Verschleppte oder Verhaftete nie wieder erwähnt und Tote totgeschwiegen. Und in vielen Fällen kamen die Männer zerschossen, psychisch zerbrochen aus dem Krieg zurück und wurden nicht als Helden, sondern als Versager empfangen. Gedemütigt und zu Tode gekränkt. Ihre Söhne und Enkel, die heute zwischen dreissig und fünfzig Jahre alt sind, haben diese Muster oft übernommen.
These 4: Das «Weibliche» hat in den Ehen und Familien, in Kindergärten, Schulen und im therapeutischen Bereich gesiegt. Die weibliche Übermacht hat auch Auswirkungen auf Lehrpläne und Vermittlungsformen. Denn aus irgendeinem Grund ist der Anteil der Jungen, die über Jahrzehnte in der Mehrheit waren, an Gymnasien auf 45,6 Prozent geschrumpft. An Sonderschulen sind Jungen mit 63,7 Prozent überrepräsentiert. Und bei der Pisa-Studie fällt auf, dass die Jungen weltweit schlechter abschneiden als die Mädchen.
Gilt das alte Vorurteil, Mädchen seien dümmer, in Wirklichkeit für die Jungen? Natürlich nicht! Die Mädchen kommen besser mit den veränderten Anforderungen klar: Gefordert sind heute Flexibilität, Kommunikation, soziale Intelligenz, nicht aggressives Durchsetzungsvermögen und unnachgiebige Meinungsfreudigkeit. Der Sportunterricht, in dem Jungen ihre Vitalität unter Beweis stellen konnten, ist weniger wichtig und auch in der Freizeit leiden Jungen mehr unter dem verschwindenden Raum zum Spielen. Ihrem Bewegungsdrang können sie nur noch auf kleinen eingezäunten Spielplätzen nachgehen: Sie fühlen sich wie eingesperrte Raubtiere.
Die Forderung: Wir Frauen müssen begreifen, dass wir nicht mehr das schwache Geschlecht sind. Wir sollten unsere Werte nicht zum Mass aller Dinge machen. Auch müssen wir noch etliche Aspekte unserer Geschichte aufarbeiten. Leider die negativen. Erst sehr wenige Frauen haben begonnen, ihre Täteranteile im Alltag zu reflektieren. (…) Das Pendel, das wir Frauen notwendigerweise in eine Richtung haben ausschlagen lassen, muss eine neue Balance finden. Doch dazu müssen die Männer ihren Mund aufmachen, die Angst vor Frauen überwinden und zu einer eigenen, neuen Kraft gelangen – auch Sozialarbeiter und Familienrichter, Gesetzgeber und Politiker.
Es geht um eine neue Emanzipationsbewegung. Die der Frauen ist zwar noch lange nicht beendet, aber jetzt sind die Männer dran sich zu befreien, jenseits vom Macho, aber auch jenseits vom grossen Dulder.
Die Emanzipation der Frau war und ist eine Chance, die Emanzipation der Männer ebenfalls – eine Chance für uns alle. Ein mühsamer, aber auch lustvoller Weg, den wir nur gemeinsam beschreiten können. Männer und Frauen miteinander, nicht gegeneinander.
Astrid von Friesen (*1953) hat u.a. Pädagogik und Psychologie studiert und praktiziert als Psychotherapeutin in Dresden und Freiberg. In ihrem neusten Buch setzt sie sich witzig und selbstironisch mit den Folgen der Emanzipation für Männer, Frauen und Kinder auseinander.
Schuld sind immer die anderen! Die Nachwehen des Feminismus: frustrierte Frauen und schweigende Männer. Ellert&Richter-Verlag, 2006
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01. Mai 2007
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