Wetterderivate: das Geschäft mit dem selbst angerichteten Schaden

Rund ein Viertel der globalen Ökonomie, so wird geschätzt, ist vom Wetter abhängig: Landwirtschaft, Energieversorgung, Tourismus, der Wiederaufbau nach Katastrophen und viele andere unterschiedlich betroffene Bereiche. Mit diesen Risiken ist die Welt Jahrtausende lang fertig geworden. Aber jetzt, unter dem Klimawandel und einem Ökosystem Erde an der Belastungsgrenze müssen sie versichert werden. Insbesondere Katastrophen stellen für die hochverschuldeten Staaten ein Risiko dar, das sie nicht mehr mit Steuergeldern stemmen können. So hat sich denn seit der Liberalisierung der Finanzmärkte unter Bush senior und Clinton ein eigentlicher Markt für Katastrophen-Anleihen und Wetter-Derivate mit einer eigenen Börse, der 1995 in Jersey gegründeten Catastrophe Risk Exchange (Catex) gebildet.


Banken wie Goldman-Sachs und Versicherer wie Swiss Re verbriefen die Risiken nach komplizierten Katastrophen-Modellen und machen daraus handelbare Papiere, sog. Cat-Bonds. Sie nehmen den Staaten – gegen Zins – einen definierten Teil des Risikos ab und bieten den Anlegern eine rentable Anlagemöglichkeit. Die Papiere werden von den Rating-Agenturen in der Regel mit BB bewertet; das Risiko im Geschäft mit dem Risiko ist relativ hoch – aber nur theoretisch. Wie Razmig Keucheyan in Le Monde Diplomatique im lesenswerten Aufsatz «Lukrative Unwetter» schreibt, sind «die Kriterien … so eng gefasst, dass nur bei drei der rund 200 Cat Bonds, die in den letzten 15 Jahren emittiert wurden, der Zahlungsfall eintrat.» Wenn das Epizentrum ein paar Kilometer ausserhalb der definierten Zone liegt oder der Wirbelsturm ein klein bisschen zu zahm ist, bleiben die ganzen Schäden trotz «Versicherung» an den Staaten hängen. Darum bringen Katastrophen-Anleihen hohe Renditen.


Die Katastrophen-Derivate sind eine zwangsläufige Folge des Kapitalismus, der seine Produktionsgrundlage – den Planeten Erde – ausbeutet und Ressourcen privatisiert. Als Folge steigen die kollektiven Risiken und wachsen die privaten, bzw. schrumpfen die öffentlichen Vermögen. Dann muss das private Kapital den Staaten zu Hilfe kommen – zu seinen Bedingungen. Erstaunlich, was die Finanzindustrie da zustande bringt: Zuerst einen Schaden anrichten (bzw. begünstigen) und dann davon profitieren.

Über

Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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