3 Fragen an Theologin Esther Gisler Fischer

Seit ihrem Studium der Theologie, Ethnologie und Religionswissenschaften beschäftigt sich die 53-Jährige mit Theologien aus Frauensicht und mit der Rolle von Frauen in religiösen und kulturellen Traditionen. Esther Gisler Fischer arbeitet seit zwölf Jahren als Pfarrerin in Zürich. Zum heutigen Tag der Frau sagt sie: Es braucht ihn noch. Und zur Lage der Welt und der Frauen findet sie: Der Welt würde es wohl besser gehen, wenn die Frauen mehr Einfluss hätten.

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Wie schön wäre es doch, wenn wir am Frauentag nicht mehr über Errungenschaften der letzten Jahre oder über die weiterhin bestehende ungleiche Behandlungen der Frauen reden müssten. Finden Sie nicht auch? Und brauchen wir diesen Tag überhaupt noch?

Ja, das wäre in der Tat schön! Auf der Ebene der rechtlichen Gleichstellung wurde ja schon viel erreicht. Doch bleibt definitiv noch viel zu tun, im Kleinen wie im Grossen: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Frauen nach wie vor eine Herausforderung. Dabei orientiert sich die Gleichstellungspolitik an der männlichen Normalbiografie und zwängt Frauen in ein männlich codiertes System. Doch geht es ja nicht nur um ungleiche Behandlung, sondern auch darum, dass die Lebensrealitäten von Frauen gewürdigt werden und in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen.

Unbedingt brauchen wird diesen Tag noch! Es ist ja nicht einfach ein «Tag der Gleichstellung». Denn es gibt nicht nur die konkurrenzorientierte Erwerbsarbeitswelt, sondern noch den Bereich der Care-Arbeit, ohne welche die sogenannte Wirtschaft zusammenbrechen würde. Stattdessen gilt die Sorge für Kinder und pflegebedürftige Angehörige als «Karriereknick». Eigentlich geht es deshalb nicht einfach um Gleichstellung, will heissen, dass Frauen zur «männlichen» Norm aufholen müssen. Nein, sondern: Es geht um Geschlechtergerechtigkeit – um eine gerechtere Verteilung von Care- und Erwerbsarbeit.

Nun gut, heute ist Frauentag: Sie sind Pfarrerin und Feministin. Wie sieht die Lage der Frauen aus?

Heute feiern wir den Welt-Frauentag! Denn: Als feministische Theologin bezieht sich meine Perspektive immer auf die ganze Welt. Es geht nicht nur um privilegierte Frauen, sondern um alle Frauen auf unserer Welt. Ihre Lebensrealitäten unter teilweise beschwerlichen Umständen sind ebenso relevant wie unsere hier. In vielen Ländern werden Frauen nach wie vor rechtlich und wirtschaftlich diskriminiert und sind Opfer von sexueller Gewalt. Ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung wird vielerorts mit Füssen getreten. Abtreibungsrechte stehen weltweit unter Druck, und zum Beispiel in El Salvador werden sogar Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten hatten, juristisch verfolgt und mit Gefängnis bis zu 30 Jahren bestraft.

Damit sich die Situation verbessert, dafür müssen wir weiter kämpfen. Und dies auch gemeinsam mit Männern, die ebenso ein Unbehagen verspüren angesichts eines Wirtschaftssystems, das einzig auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist und das die menschliche Arbeitskraft – wie die Natur – gnadenlos ausbeutet. Ökofeministinnen wie Maria Mies oder Vandana Shiva haben den Zusammenhang zwischen patriarchalen Strukturen, Ausbeutung von Natur, Frauen und der sogenannten «Dritten Welt» schon vor Jahrzehnten analysiert. Und eben auch Männer können Opfer dieses Systems werden, ihrer Klasse, Rasse oder ihrer sexuellen Orientierung wegen.

Was können wir Frauen dazu beitragen, dass es in Sache Gleichberechtigung vorwärts geht? Anyway, könnte es sein, dass wir Frauen bald die Welt übernehmen?

Schön wäre es! Angesichts des momentanen Ausbruchs an «toxischer Männlichkeit» in diesem unsäglichen Krieg in der Ukraine ist das leider wohl nicht der Fall. Der Welt würde es wohl besser gehen, wenn die Frauen mehr Einfluss hätten. Auch wenn sie per se nicht die besseren Menschen sind, haben sie meist doch Biografien und Lebensumstände, in welchen Beziehungen und Fürsorge ein wesentlicher Bestandteil sind. Oder in den Worten der ukrainischen Femen-Aktivstin Inna Schewtschenko: «Schauen Sie in die Geschichte der Welt. Gewalt geht von Männern aus. Ich bin mir des Weges sicher: Wenn wir mehr Frauen an der Macht hätten, würden nicht so viele Gräueltaten passieren. Putin behandelt die Ukraine wie eine Frau, die er auslöschen will.»

Was wir Frauen machen können? Dranbleiben! Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie thematisieren. Sich einmischen in aktuelle gesellschaftliche Debatten. Das Private ist immer noch politisch. Die Kita-Initiative unterstützen. Mithelfen, dass es bei der Umsetzung der Pflege-Initiative vorwärts geht! Und bei all dem die Worte der jüdischen Dichterin Rose Ausländer in ihrem Gedicht «gemeinsam» beherzigen, die aus Czernowitz in der historischen Landschaft Bukovina stammte, das heute zur Westukraine gehört:

vergesst nicht Freunde / wir reisen gemeinsam / besteigen Berge / pflücken Himbeeren / lassen uns tragen / von den vier Winden / vergesst nicht / es ist unsere gemeinsame Welt / die ungeteilt / ach die geteilte / die uns aufblühen lässt / die uns vernichtet / diese zerrissene / ungeteilte Erde / auf der wir gemeinsam reisen