Anmerkungen zum Wahldesaster des BSW
Der Wahlausgang ist ein schwerer Rückschlag und bringt die junge Organisation in eine Existenzkrise
BSW-Flyer, Scan: scienzz
BSW-Flyer, Scan: scienzz

Das Scheitern von Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei der Bundestagswahl 2025 an der Fünf-Prozent-Hürde hat eine Vielzahl von Diskussionen in der Bevölkerung wie in den Medien ausgelöst. Das gilt für die Systemmedien wie für die neuen alternativen Medien. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich viele Menschen mit dieser Parteigründung auseinandergesetzt hatten und noch auseinandersetzen. Unsere erste These besagt, dass viele, vor allem in den östlichen Bundesländern, auf eine Zusammenarbeit zwischen AfD und BSW gehofft hatten. Das war vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September 2024 der Fall und auch danach, als eine Koalition zwischen beiden Parteien in greifbare Nähe gerückt schien. In Thüringen erzielte die AfD 32,8 Prozent und das BSW 15,8 Prozent der Stimmen. Rechnerisch wäre das eine Mehrheit von 47 Sitzen im 88 Abgeordnete umfassenden Gremium gewesen.

Dabei erschien dies vielen Ostdeutschen auch eine Generation nach der Vereinnahmung der ehemaligen DDR eine wünschenswerte Option. Man sollte nicht fragen, ob diese Wünsche die realen Bedingungen der politischen Landschaft rational in Rechnung stellten. Auch wenn viele Ostdeutsche noch ein Wir-Gefühl als ehemalige DDR-Bürger haben mögen – Stichwort: «so hatten wir uns das damals nicht vorgestellt» – ist die Lage 35 Jahre nach der Wende eine grundlegend andere. Mit dieser anderen Lage und welche Rolle sie beim Ergebnis des BSW spielte, wollen wir uns beschäftigen. Denn es ist nach Corona, Massenmigration und drei Jahren Ukrainekrieg längst nicht mehr die Konstellation Ossis gegen Wessis, die subjektiv einmal das Land prägten und von vielen als Spaltung empfunden wurde. Sicher mag es emotional bei manchen als nostalgische Reminiszenz durchaus noch eine Rolle spielen. Diese Hoffnungen hat das BSW wohl nicht verstanden.

Tatsächlich haben die realen Verhältnisse zu einer Verschiebung der Spaltung in zwei neue Gruppen geführt. Diese lassen sich – ohne hier Quantifizierungen vorzunehmen – zum einen als Anhänger der traditionellen westlichen Systemparteien identifizieren und zum anderen aber als Bürger charakterisieren, die sich vom politischen System der Bundesrepublik abgewendet haben. Sie wollen grundsätzliche Veränderungen im System. Dieser Prozess ist erkennbar noch längst nicht abgeschlossen, sondern befindet sich im Stadium der Gärung. Vielleicht ist er ja noch irgendwo an seinem Beginn. Gerade deswegen ist es schade, dass das BSW dies nicht aufgriffen und in dieser Diskussion versucht hat, dem eine Richtung zu geben.

Während die erste Gruppe, aus welchen Gründen auch immer, ein «weiter so» vorzieht, finden sich bei der zweiten Gruppe – nennen wir sie einmal hochtrabend «Systemveränderer» – neben Gemeinsamkeiten auch unterschiedliche oder gar widersprüchliche und unausgegorene politische Präferenzen. Was sie von den, wiederum gefühlt, Alternativparteien erwarteten war programmatisch recht diffus. Aber, so unsere zweite These, dies ging über das Thema Frieden in der Ukraine hinaus. Sie erwarten erkennbar mehr als nur die Bewältigung der Massenmigration und mehr als den Erhalt des Status quo beim Thema Sozialstaat. Sie erwarten gesellschaftliche Veränderungen, die weit darüber hinausgehen. Sie wollten zumindest den Einstieg in einen derartigen Entwicklungsprozess, so die Hoffnung vieler.

Als Zeichen dafür, dass die AfD diese Lage wahrgenommen hat, findet sich in ihrem Wahlprogramm etwa die Forderung, das gegenwärtige Demokratiemodell durch eines nach Schweizer Vorbild zu ersetzen. Im BSW hatten anfangs einige Vertreter, namentlich Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen, sogar mit einer deutschen Neutralität und einer Annäherung an die BRICS sympathisiert. Im Wahlkampf wurde das aber nicht mehr thematisiert. Das BSW konzentrierte sich vielmehr auf das Thema Frieden, was in den Koalitionsverhandlungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zur Conditio sine qua non, also zur unverzichtbaren Voraussetzung für solche Verhandlungen erklärt wurde. In Sachsen führte das zum Ausstieg der CDU aus dem Koalitionspoker, während in Thüringen das BSW in ein inneres Zerwürfnis geriet und selbst beinahe kaputt gegangen wäre. Alleine in Brandenburg schluckte die SPD diese Pille, obwohl sie im Gegensatz zur Kriegspolitik der Regierung Scholz stand.

Das führt uns zur Frage, wieso das junge Bündnis stande pede auf Koalitionen mit den beiden reaktionärsten Parlamentsparteien aus war. Warum gleich mit diesen ins Bett gehen ohne zu sehen, dass sie sich nicht nur in Friedensfragen der Kriegspolitik des US-Imperiums unterwerfen, sondern in der Innenpolitik keinen Milimeter Veränderung zulassen wollen und die seit Corona angeschlagene Demokratie weiter schleifen wollen. Am deutlichsten wird das am System der Brandmauer, die von den Systemparteien gegen die AfD ausgerufen wurde. Während diese von den Systemparteien bis heute einheitlich blockiert und als neue Nazis verteufelt wird, war das Auftreten gegenüber dem BSW von Anfang an zwar differenzierter. Deren Forderungen nach Frieden und einer Beendigung des Ukrainekrieges wurden, anders als bei der AfD, nicht mit einer Brandmauer, sondern «lediglich» mit dem Anwurf, Wagenknecht und BSW seien «Putinfreunde» beantwortet.

Es ist ein klassisches Spaltungsmanöver, nicht mehr und nicht weniger. Selbst wenn man es kaum glauben mag, das BSW hat dies offenbar nicht durchschaut. Bereits vor den Landtagswahlen 2024 ist das BSW stattdessen auf den Zug mit der Brandmauer gegen die AfD aufgesprungen und hält bis heute daran fest. Wohlgemerkt, die Ächtung mit der Brandmauer macht den Geächteten zum absoluten Hauptfeind, der am vordringlichsten zu bekämpfen sei. Sieht das die Gruppe der «Systemveränderer» im Lande, wie wir sie oben nannten, denn genau so? Oder sehen sie im US-Imperium und der Unterwerfung unter dieses nicht das Hauptproblem? Sind die Kriegstreiber im Ukrainekrieg, darunter die Parteien der Ampelkoalition, die Hauptgegner oder die AfD, welche die Beendigung der Kämpfe und Verhandlungen zur diplomatischen Lösung fordert?

Es handelt sich um mehrere politische Fehleinschätzungen, die im Verlaufe des Bundestagswahlkampfs recht schnell dazu führten, dass das BSW in die Defensive geriet. Der verlogenen Propaganda der Systemparteien über die «Rettung der Demokratie» inklusive der aufgeplusterten Demonstrationen «gegen rechts» stand das BSW nur noch defensiv gegenüber. Inzwischen scheint diese Konfrontation beider Lager fast in Feindlichkeit übergegangen zu sein. Auch wenn das BSW zu den kleineren Parteien gehört, hätte es mit einer klügeren Politik zur Vermeidung einer solchen Zuspitzung sehr wohl beitragen können. Die Parole in der Endphase des Wahlkampfs «unser Land verdient mehr» und der dazu geschriebene Text enthält keine  Perspektiven  und ist gerade kein «Neuanfang 2025».

Und noch ein Thema kann nicht vermieden werden: der Parteiaufbau. Die handverlesene Auswahl neuer Mitglieder durch eine kleine Gruppe um die Parteigründer geriet gleich den Geruch einer Kaderpartei leninscher Provenienz. Unterstellt man den in der DDR oder in der SED Sozialisierten eine entsprechende Haltung, sind entsprechende Unterstellungen zu erwarten. In Anbetracht der Geschichte der SED war dies eine offene Flanke, welche vom BSW nicht geschlossen werden konnte. Gleichgültig ob der Vorwurf zutrifft oder nicht, man hätte offensiv damit umgehen müssen. Das Dilemma wurde noch verstärkt durch den Eindruck, dass es sich bei den Gründern um einen Familienbetrieb handeln würde, der die wesentlichen Entscheidungen morgens am Kaffeetisch trifft. Der Prozess eines Parteiaufbaus sollte ein demokratischer sein, auch wenn das mit grösseren Risiken einer Unterwanderung verbunden sein dürfte. Eine offene und transparente Debatte auch über Meinungsverschiedenheiten in einer Gründungsphase hinterlässt trotz der Gefahr des Scheiterns einen positiveren Eindruck, als der einer Geheimniskrämerei.

Im Vergleich der Landtagswahlen 2024 und der Bundestagswahl 2025 hat das BSW also einen jähen Absturz erlebt, der deutlich selbstverschuldet ist. Bei einer Mehrzahl der Wähler hat in den knapp sechs Monaten nicht zufällig ein massiver Vertrauensverlustes stattgefunden. In Thüringen war der Stimmenverlust mit 41 Prozent am höchsten, gefolgt von Sachsen mit 24 Prozent. In Brandenburg betrug er 21 Prozent. Man könnte es als enttäuschte Liebe beschreiben, die zu einem abrupten Abbruch einer Beziehung mit anfangs hochgesteckten Erwartungen geführt hat. Insgesamt lässt sich feststellen, über ein Viertel der Wähler hat keine der Systemparteien gewählt. Rechnet man die rund zwanzig 20 Prozent Nichtwähler hinzu, hat knapp die Hälfte der Deutschen ihre Stimme nicht den Systemparteien gegeben. Man kann von einer bröckelnden Legitimität der Politik inklusive der Medien sprechen. Dem BSW ist es nicht gelungen, daran einen nennenswerten Anteil zu erkämpfen. Bis sich das BSW berappelt haben wird, dürfte es eine Weile dauern.

Quellen und Verweise:
Wagenknecht-Partei prüft Wahl-Anfechtung

Klaus Oberzig

Klaus Oberzig

Klaus Oberzig ist Autor und Journalist, er lebt und arbeitet in Berlin.

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