Baerbocks Lektionen
Streit um westliche Chinapolitik überschattet Treffen der G7-Aussenminister. Während Beijing um Kooperation mit Berlin wirbt, ist Baerbock zur Verschärfung der Spannungen bereit.
Prinzipielle Differenzen in der Chinapolitik haben den gestrigen Beginn des G7-Aussenministertreffens im japanischen Karuizawa überschattet. Während die Vereinigten Staaten die Spannungen zwischen dem Westen und der Volksrepublik eskalieren, hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kürzlich verlangt, die EU-Staaten sollten einen eigenen Umgang mit Beijing entwickeln.
Wenn der Konflikt zwischen den USA und China unkontrolliert eskaliere, «werden wir Vasallen werden», warnte Macron. Seine Position ist unter anderem von Washington und Berlin scharf kritisiert worden und rief bereits vor dem gestrigen Treffen der G7-Aussenminister ernsten Streit hervor. Dies geschieht, während die Volksrepublik erstmals politisch und ökonomisch zu Gegenmassnahmen übergeht, die globale US-Dominanz öffentlich attackiert und Sanktionen gegen einen US-Chiphersteller und ein Embargo auf Maschinen zur Verarbeitung Seltener Erden in Betracht zieht. Aussenministerin Annalena Baerbock hat in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Beijing die chinesische Regierung brüskiert und sich für eine Verschärfung des Machtkampfs gegen die Volksrepublik offen gezeigt.
Vor der Reise von Aussenministerin Annalena Baerbock nach Beijing hatten westliche Politiker im Hinblick auf die künftige Chinapolitik unterschiedliche Optionen markiert. Eine Verschärfung der Spannungen streben demnach die USA und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Von der Leyen hatte am 30. März gefordert, Unternehmen aus EU-Staaten sollten Investitionen in der Volksrepublik künftig behördlich genehmigen lassen müssen; damit sollen Know-how zurückgehalten und ein weiterer Aufstieg Chinas gebremst werden.[1]
Offiziell geht es laut der Kommissionspräsidentin um Risikominimierung; dies bezeichnet sie als «De-Risking» – in Absetzung vom «Decoupling», der vollständigen Abkopplung der chinesischen Wirtschaft vom Westen, die starke Kräfte in den Vereinigten Staaten favorisieren, die aber als schwerer, womöglich nicht zu verkraftender Schlag für die deutsche Industrie gilt.[2]
Am 5. April hatte dann Kevin McCarthy, Sprecher des US-Repräsentantenhauses und als solcher dritthöchster Repräsentant der Vereinigten Staaten, Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen im US-Bundesstaat Kalifornien empfangen. Der Vorgang, eine gezielte Provokation gegenüber der Volksrepublik, hat den schnell eskalierenden Konflikt zwischen dem Westen und Beijing zusätzlich zugespitzt.
Vor einer weiteren Verschärfung des Konflikts zwischen dem Westen und China hat dagegen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gewarnt. Macron erklärte nach einem Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping am 6. April in Beijing, es bestehe «das grosse Risiko», dass «Europa» «in Krisen» gerate, «die nicht unsere sind»; das könne die EU davon abhalten «ihre strategische Autonomie zu schaffen».[3]
Die Frage, die «die Europäer beantworten müssen», laute daher, ob es «in unserem Interesse» sei, «eine Krise um Taiwan zu beschleunigen». Macron verneinte das; der größte Fehler, den man begehen könne, bestehe darin «zu denken, dass wir Europäer in dieser Frage Mitläufer werden und uns nach der US-Agenda und nach einer chinesischen Überreaktion richten müssen».
Macron mahnte zu mehr Ehrlichkeit: «Die Europäer können die Krise in der Ukraine nicht lösen; wie können wir dann glaubwürdig zu Taiwan sagen, ‘Pass auf, wenn du etwas Falsches tust, sind wir da‘?»
Davon abgesehen besitze die EU, «wenn sich die Spannungen zwischen den zwei Supermächten anheizen ..., weder die Zeit noch die Ressourcen, unsere strategische Autonomie zu finanzieren»: Dann «werden wir Vasallen werden», warnte Macron.[4] Frankreichs Präsident ist dafür in zahlreichen anderen westlichen Staaten scharf attackiert worden.
Die innerwestlichen Auseinandersetzungen um die Chinapolitik erfolgen zu einer Zeit, zu der Beijing die Attacken des Westens mit politischen wie auch ökonomischen Gegenmassnahmen abzuwehren beginnt. Bereits am 20. Februar publizierte das chinesische Aussenministerium ein Papier, das unter der Überschrift «Die US-Hegemonie und ihre Gefahren» unverhüllt Kritik an der globalen US-Dominanz übt.[5]
Die Vereinigten Staaten hätten sich «mit ihrer Macht über die Wahrheit hinweggesetzt und die Gerechtigkeit mit Füssen getreten, um ihrem Eigeninteresse zu dienen», heisst es in dem Dokument; China hingegen widersetze sich «allen Formen von Hegemonial- und Machtpolitik».
Am 31. März teilten die Behörden in Beijing mit, sie untersuchten den US-Hersteller Micron auf etwaige Verstösse gegen chinesische Sicherheitsinteressen. Angebliche Verstösse gegen Sicherheitsinteressen sind das US-Standardargument zur Begründung von US-Sanktionen gegen chinesische Tech-Konzerne; die Volksrepublik droht jetzt also mit empfindlichen Gegensanktionen.[6]
Anfang April wurde bekannt, dass Beijing erwägt, Maschinen zur Verarbeitung Seltener Erden und anderer Metalle mit einem Exportverbot zu belegen.[7]
Das würde es den westlichen Staaten massiv erschweren, bei der Versorgung mit unverzichtbaren Rohstoffen von China unabhängig zu werden.
In den Auseinandersetzungen um die Chinapolitik hatte sich Baerbock vorab am Rand eines NATO-Treffens auf von der Leyens Seite geschlagen, also faktisch für eine Verschärfung der Spannungen mit der Volksrepublik plädiert.[8]
Während ihrer Reise hat sie zunächst beim Besuch einer Schulklasse in der Hafenstadt Tianjin implizit die Staatsform der Volksrepublik und die chinesische Coronapolitik kritisiert; Berichterstatter bezeichneten den Auftritt als «Lektion in deutscher Demokratie».[9]
In einer gemeinsamen Pressekonferenz belehrte Baerbock den chinesischen Aussenminister Qin Gang, Beijing müsse die Menschenrechte besser wahren; darüber hinaus sei eine gewaltsame Veränderung von Taiwans Status «für uns als Europäer nicht akzeptabel».[10]
Qin hat am Freitag die Belehrungen seiner deutschen Amtskollegin ungewohnt offen pariert. So äusserte er, auf die offizielle Ein-China-Politik der Bundesregierung Bezug nehmend, er «hoffe und glaube», Deutschland werde Chinas «friedliche Wiedervereinigung» mit Taiwan ebenso unterstützen, wie die Volksrepublik einst die Vereinigung von BRD und DDR gebilligt habe.[11]
Darüber hinaus verwahrte er sich ganz allgemein gegen das Auftreten der deutschen Außenministerin: «Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen.»[12]
Dessen ungeachtet ist Beijing bemüht, die Beziehungen zu Berlin zu stabilisieren, um eine weitere Eskalation des Konflikts mit Deutschland zu vermeiden. Qin besuchte am Freitag gemeinsam mit Baerbock die Standorte zweier deutscher Unternehmen in Tianjin. Der Getriebehersteller Flender aus Bocholt produziert in der chinesischen Hafenmetropole Antriebskomponenten für Windkraftanlagen: «Die grüne Zukunft», kommentierte etwa die WirtschaftsWoche, werde «in China zusammengeschraubt».[13]
Zudem trafen beide in der Fabrik von Vitesco in Tianjin ein, wo das Regensburger Unternehmen nicht nur vollintegrierte Achsantriebe für Elektroautos herstellt, sondern außerdem seit 2021 ein Forschungs- und Entwicklungszentrum betreibt.[14]
Baerbock liess sich abschließend noch über das Forschungs- und Entwicklungszentrum informieren, das Volkswagen bereits seit 2013 in Beijing betreibt. Die chinesischen Standorte besitzen nicht nur zentrale Bedeutung für die drei deutschen Unternehmen, sondern auch für Deutschlands Energiewende; spitzt sich der Machtkampf des Westens gegen China weiter zu, dann geraten sie in Gefahr – mit recht weit reichenden Konsequenzen für Industrie und Politik in der Bundesrepublik.
Der innerwestliche Streit um die Chinapolitik wurde gestern auf dem Treffen der G7-Aussenminister fortgesetzt. Frankreichs Aussenministerin Catherine Colonna hatte vorab bekräftigt, Paris halte an seiner Position zum Konflikt um Taiwan fest; eine Abkehr von Macrons Stellungnahme war nicht zu erkennen.[15] Detaillierte Informationen über etwaige Ergebnisse des gestrigen G7-Treffens liegen bislang nicht vor.
[1] S. dazu Mit Investitionsverboten gegen China.
[2] S. dazu „Ein Sturm zieht auf“.
[3], [4] Jamil Anderlini, Clea Caulcutt: Europe must resist pressure to become ’America’s followers’, says Macron. politico.eu 09.04.2023.
[5] US Hegemony and Its Perils. fmprc.gov.cn 20.02.2023.
[6] Laura He: Micron Technology: China probes US chip maker for cybersecurity risks as tech tension escalates. edition.cnn.com 03.04.2023.
[7] Rachel Millard, Matt Oliver: China ‘weaponising’ grip on vital rare earth metals. telegraph.co.uk 06.04.2023.
[8] Baerbock setzt sich bei China für „De-risking“ ein. n-tv.de 05.04.2023.
[9] Jochen Stahnke, Matthias Wyssuwa: Chinesische Lektionen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2023.
[10] Baerbock mahnt Verantwortung Chinas im Ukrainekrieg an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2023.
[11] China says hopes Germany supports peaceful Taiwan ‘reunification’. swissinfo.ch 15.04.2023.
[12] Baerbock mahnt Verantwortung Chinas im Ukrainekrieg an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2023.
[13] Sonja Álvarez: Kann Baerbock schaffen, was Macron misslang? wiwo.de 13.04.2023.
[14] Baerbock besucht deutsches Unternehmen in China. n-tv.de 14.04.2023.
[15] France’s position over Taiwan unchanged, French foreign minister says. nhk.or.jp 16.04.2023.
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