Die neutrale, dem Frieden verpflichtete Schweiz, Sitz des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) in Genf, unser Land, das immer wieder engagiert bei Friedensverhandlungen war, sollte kein Kriegsmaterial mehr exportieren.
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt.
Wenn sie dir morgen befehlen,
du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen –
sondern Stahlhelme und Maschinengewehre,
dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins! (1)
Wenn es regnet, feiern Frösche Hochzeit. Wenn Kriege regieren, klingeln die Kassen der Rüstungsindustrie und ihren Helfershelfern, wie jetzt wieder in der Ukraine, im Gazastreifen, im Sudan und anderorts.
In der Schweiz soll der Export von Kriegsmaterial in Zukunft jetzt weniger restriktiv werden, fordert die Rüstungsindustrie und auch Politiker, um künftige Geschäfte mit dem Krieg nicht zu verpassen. Unter anderem soll die heutige Nicht-Wiederausfuhrbestimmung für Kriegsmaterial entschärft werden. Diese Bestimmung vermieste in letzter Zeit im Falle des Krieges in der Ukraine die Geschäfte der Kriegsgewinnler Helvetiens. (2)
Rüstungskonzerne wollen im Geschäft mit dem Krieg bleiben
Die Schweizer Rüstungsindustrie gehört zum grossen Teil ausländischen Konzernen, dem deutschen Rheinmetallkonzern (Kanonen und Granaten), dem US Konzern General Dynamics (Mowag Radpanzer) und der italienischen Firma Beretta (Munition). Durch die derzeitige Nicht-Wiederausfuhrbestimmung befürchten diese Firmen, dass ihre Produkte, die in der Schweiz produziert werden in Zukunft nicht mehr gekauft werden. Deutschland, Spanien und Dänemark wollten nämlich in der Schweiz gekauftes Kriegsmaterial an die im Krieg stehende Ukraine weitergeben. Der Bundesrat in Bern verweigerte aber seine Zustimmung und blockierte so die Lieferungen. Der Druck auf die Schweiz war sehr gross: Deutschlands Vizekanzler Robert Habeck warf der Schweiz laut der Neuen Zürcher Zeitung gar vor, sich mitschuldig zu machen an den Opfern der russischen Aggression.
Um welche Waffen ging es? Deutschland hätte der Ukraine 12’400 Schuss 35-mm-Munition für den Gepard-Flugabwehrpanzer weitergeben wollen, Dänemark in der Schweiz hergestellte Piranha-III-Schützenpanzer. Spanien schliesslich beantragte den Export von zwei Schweizer Flugabwehrkanonen Richtung Ukraine.
„’s ist Krieg! ist der Titel eines Gedichts von Kurt Tucholsky, das während des Ersten Weltkriegs verboten war. Es beginnt mit der folgenden Strophe:
Die fetten Hände behaglich verschränkt
vorn über der bauchigen Weste,
steht einer am Lager und lächelt und denkt:
„’s ist Krieg! Das ist doch das Beste!
Das Leder geräumt, und der Friede ist weit.
Jetzt mach in anderen Chosen –
Noch ist die blühende, goldene Zeit!
Noch sind die Tage der Rosen!“ (3)
Aufweichung des Kriegsmaterialgesetzes geplant
Das Kriegsmaterialgesetz soll nun dahingehend angepasst werden, dass die Nicht-Wiederausfuhrerklärung für Staaten, die sich den Schweizer Werten verpflichten, auf fünf Jahre beschränkt wird. Hat ein Land mit gleichen Werten Schweizer Kriegsmaterial vor mehr als fünf Jahren eingekauft, kann dieses grundsätzlich weiterverkauft werden. Zudem sollen Waffenexporte an menschenrechtsverletze Regime möglich werden. (4)
Der Bundesrat fordert am 12.2.25 in seiner Botschaft zu Motion 23.3585 das Recht, in Eigenregie alle konkreten Beschränkungen von Kriegsmaterial-Exporten für mehrere Jahre aufheben zu können. Insbesondere wären neu Exporte an Bürgerkriegsländer und Exporte an Länder möglich, die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen. Sollte die Vorlage in der aktuellen Form den parlamentarischen Prozess überstehen, wird die «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee», die GSoA und andere Friedensorganisationen das Referendum ergreifen.
(5)
Nichtwiederausfuhr-Erklärung gilt nicht für anonyme Einzelteile
Wie andere Industrieprodukte werden Waffen aus Bestandteilen zusammengesetzt, die in verschiedenen Ländern produziert werden. Darauf nahm man in der Schweiz längst Rücksicht. «Auf die Nichtwiederausfuhr-Erklärung kann bei Einzelteilen oder Baugruppen von Kriegsmaterial verzichtet werden, wenn feststeht, dass sie im Ausland in ein Produkt eingebaut und nicht unverändert wiederausgeführt werden sollen, oder wenn es sich um anonyme Teile handelt, deren Wert im Verhältnis zum fertigen Kriegsmaterial nicht ins Gewicht fällt», wurde im Kriegsmaterialgesetz festgehalten. Vor Jahrzehnten betraf das in der Schweiz produzierte Feuerleitgeräte die tausende Franken kosteten. Sie wurden nach Deutschland ausgeführt und dort auf Panzer montiert, die dann irgendwohin exportiert wurden. Allein diese lasche Wiederausfuhrbestimmung für Einzelteile zeigt, dass die heutige Bewilligungspraxis für den Export von Kriegsmaterial schon heute alles andere als restriktiv ist.
Aktuelle Bestimmungen für Kriegsmaterialexporte
Heute dürften Rüstungsgüter der Schweiz nach dem Kriegsmaterialgesetz nicht in Länder geliefert werden, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden, in dem das Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird oder wenn die Rüstungsgüter an einen unerwünschten Empfänger weitergegeben werden. (6)
Wurde das Kriegsmaterialgesetz eingehalten?
Wie wurden die klaren Bestimmungen des Kriegsmaterialgesetzes, keine Rüstungsgüter in Länder zu liefern, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind in der Praxis umgesetzt?
Nach der offiziellen Statistik des Bundes, des Staatssekretariats für Wirtschaft, SECO, (7) exportierte die Schweiz von 1975 – 2024 für 22,452 Milliarden Franken Kriegsmaterial. Verkauft wurden diese Rüstungsgüter zu einem grossen Teil an kriegführende Staaten, an NATO-Militärs, in Spannungsgebiete, an menschenrechtsverletzende Regimes und an arme Länder in der Dritten Welt, in denen Menschen hungern und verhungern. In den 22,452 Milliarden Franken sind die besonderen militärischen Güter nicht eingerechnet, die ebenfalls exportiert wurden, aber nicht in der offiziellen Statistik erscheinen. Auch die Finanzierung von Waffengeschäften durch Schweizer Banken erscheinen in diesen Zahlen nicht. Schweizer Geldinstitute, die Nationalbank, Banken, Versicherungen und Pensionskassen investierten in den letzten Jahren sogar in Firmen, die an der Atomwaffenproduktion, an der Herstellung von Anti-Personenminen und Cluster-bomben beteiligt waren. Laut dem Kriegsmaterialgesetz wäre zwar die «direkte und indirekte Finanzierung» von verbotenem Kriegsmaterial schon heute klar untersagt. Verbotene Waffen sind in der Schweiz chemische und biologische Waffen, Atombomben, Streubomben und Antipersonen Minen. Aus Rücksicht auf die NATO weigert sich der Bundesrat jetzt auch das Atomwaffenverbot zu unterzeichnen, obwohl das Parlament, das vor einigen Jahren mehrheitlich beschlossen hat. Wie der Bundesrat früher schon erklärte, will er sich unter den Atomwaffenschutzschirm der NATO stellen, um die Schweiz im Kriegsfall zu beschützen. Auch deshalb ist der Bundesrat gegen ein Atomwaffenverbot.
Kriegsmaterialexporte des Jahres 2024
Die Schweizer Kriegsmaterialexporte des Jahres 2024, vom 1. Januar 2024 bis 30. September 2024, betrugen 465’499’472 Schweizer Franken. Deutschland erhielt Rüstungsgüter für 154, 8 Millionen Franken, Italien für 28,3 Mio. Franken, die Vereinigten Staaten von Amerika für 43,4 Mio. Franken, Frankreich für 29,6 Millionen, Grossbritannien für 16,7 Millionen und Saudiarabien für 3,9 Millionen Franken. (8)
Die USA, ein Empfänger von helvetischem Kriegsmaterial, bombardierte im letzten Jahr wiederholt im Irak, Syrien und im Jemen die Huthi Rebellen. Die USA führten in Somalia und anderen Ländern, via den Stützpunkt Ramstein in Deutschland, aussergerichtliche Hinrichtungen mit Drohnen durch.
Viele Empfänger von Waffen aus der Schweiz wurden durch ihre Waffenlieferungen im Gazakrieg oder im Ukrainekrieg so selbst zu Kriegsparteien. Ohne die Waffen, namentlich aus den USA, Deutschland und Italiens, hätte Israel nicht Krieg führen können. Ohne die Bomben, die Munition und von anderem Kriegsgerät aus dem Ausland wäre es für Israel nicht möglich gewesen den Gazastreifen zu zerstören und auch in der Westbank nicht so grosse Verwüstungen anzurichten.
Waffen für Kriege, die seit 1990/91 geführt wurden
Seit 1990/91 gab es fünf grosse, westlich geführte Kriege: 1990 im Irak, 1999 in Jugoslawien, 2001 bis 2021 in Afghanistan, 2003 bis 2012 erneut im Irak und 2011 in Libyen. Allein diese fünf Kriege haben mehrere Millionen Menschen das Leben gekostet und verletzt und die entsprechenden Regionen in ein wirtschaftliches und soziales Desaster gestürzt. Diese Kriege haben auch hunderttausende Kriegsinvalide und traumatisierte Menschen hinterlassen. Die Schweiz lieferte diesen kriegführenden westlichen Staaten trotzdem laufend Rüstungsgüter, mit dem Segen der Regierung in Bern.
Die Schweiz lieferte kriegführenden westlichen Staaten laufend Rüstungsgüter, mit dem Segen der Regierung in Bern
Bedürfnisse der Landesverteidigung «erlaubten» Waffenexporte an kriegführende Länder
In der Schweiz wurde schon bisher diese Bestimmung kein Kriegsmaterial zu liefern an Staaten «die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind» ausser Kraft gesetzt. Die Bewilligung von Waffenexporten zur Aufrechterhaltung der Bedürfnisse der Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität wurde dazu benutzt, um die restriktiven Bestimmungen des Kriegsmaterialgesetzes zu umgehen. Es heisst: Die einheimische Rüstungsindustrie ist darauf angewiesen kriegführenden Staaten Waffen zu verkaufen, unter anderem an NATO-Staaten die immer wieder Kriege führen. Es soll also weiter möglich bleiben, unter «gewissen Umständen» wie es heisst Kriegsmaterialausfuhren nach Ländern, die in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, und die auch foltern, zu bewilligen.
(9) Kriegsmaterialgesetz: Botschaft zur Einführung einer Abweichungskompetenz für den Bundesrat
1972: Um ein Waffenausfuhrverbot zu verhindern, versprach der Bundesrat das neu geschaffene, restriktive Kriegsmaterialgesetz streng zu handhaben.
Ein Rechtsstaat wie die Schweiz müsste eigentlich sein Kriegsmaterialgesetz einhalten, und nicht es mit allerlei Schlupflöchern zu versehen und damit «legal» zu lockern. Die restriktiven Bestimmungen im Gesetz bestehen im Wesentlichen seit 1972. Der Bundesrat hatte damals die Stimmbürger vor der Abstimmung über die Volksinitiative, die ein Verbot der Waffenexporte forderte, mit dem Gegenvorschlag beruhigt, das Kriegsmaterialgesetz zu verschärfen und versprochen, das revidierte Gesetz dann streng zu handhaben. Damals bestand die Befürchtung die Volksinitiative für ein Waffenausfuhrverbot die nach den Bührle Skandal von der Arbeitsgemeinschaft und ein Waffenausfuhrverbot (ARW) eingereicht wurde könnte angenommen werden. (10)
Während des Biafra-Krieges (1967 -1970) (11) fanden in der Schweiz grosse Hilfsaktionen statt, um den Opfern des furchtbaren Bürgerkrieges und den Hungernden in Biafra (heute Nigeria) zu helfen. Plötzlich wurde bekannt, dass die Firma Bührle mit gefälschten Papieren dem kriegführenden Nigeria Kanonen verkauft hatte. Flugzeuge des Roten Kreuzes mit Hilfssendungen an Bord wurden mit diesen Schweizer Fliegerabwehrkanonen beschossen. (12)
Am 24. September 1972 kam die Initiative für ein Verbot der Kriegsmaterialexporte der Arbeitsgemeinschaft und ein Waffenausfuhrverbot (ARW) zur Abstimmung und wurde nur sehr knapp verworfen. 49,7 Prozent der Stimmenden waren für ein Verbot von Waffenexporten. Das Volksmehr wurde nur um 8’000 Stimmen verfehlt. Spätere Volksabstimmungen für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten waren nicht so erfolgreich, weniger als 40 Prozent stimmten später für ein Verbot.
Quellen:
(1) Dann gibt es nur eins! – Wikipedia
(2) «Export von Kriegsmaterial soll weniger restriktiv werden.» Von Selina Berner Neue Zürcher Zeitung 13. Februar 2025
(3) https://www.textlog.de/tucholsky/gedichte-lieder/s-ist-krieg
(4) Kriegsmaterial-Wiederausfuhr – Wird das Schweizer Kriegsmaterialgesetz jetzt gelockert? – News – SRF
(5) Bundesrat will Korrektur-Initiative aushebeln – GSoA
(6) SR 514.51 – Bundesgesetz vom 13. Dezember 1996 ü… | Fedlex
(7) Das Kriegsmaterialgesetz einhalten: Aktuelle Entwicklungen – Dorfzeitung. Kultur online
(8) Zahlen und Statistiken 2024
(9) Kriegsmaterialgesetz: Botschaft zur Einführung einer Abweichungskompetenz für den Bundesrat
(10) Ar 91 Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot ARW II
(11) Biafra-Krieg – Wikipedia
(12) Die Bührle-Affäre | Dodis