„Das höchste Glück auf Erden“

Sind Feminismus und Linke Verbündete? Ellen Diederich, seit 40 Jahren aktiv in Frauen- Friedens- und sozialen Bewegungen, über ein spannungsreiches Verhältnis von '68 bis heute.

Vor 1968 durfte nach wie vor der Mann bestimmen, ob eine Frau arbeiten gehen darf oder nicht. Die Einkommensschere war grandios. Frauenarbeit in den Fabriken wurde als Leichtlohnarbeit beurteilt und dementsprechend weniger bezahlt. Für die Kontoeröffnung brauchte es die Zustimmung des Ehemannes. Unverheiratete Frauen und Männer durften im Hotel oder privat nicht zusammen in einem Zimmer übernachten, da gab es den Straftatbestand der Kuppelei. Die Pille wurde weitgehend nur an verheiratete Frauen ausgegeben. Abtreibung war strafbar. Die Macht der Frauenärzte war grenzenlos, die Frauen wussten so gut wie nichts über den eigenen Körper.





Noch bis Mitte der siebziger Jahre wurde an der Frankfurter Uni keine Frau als Gynäkologin ausgebildet. Gewalt gegen Frauen war massiv vorhanden aber ein Tabuthema. Die Sexualität war ebenfalls kein „öffentliches Thema“. Frauen durften in vielen Berufen und der Öffentlichkeit keine Hosen tragen. Alle Organisationen, Parteien, Verbände, Kirchen waren patriarchal organisiert. Seit Ende der 60er Jahre jeoch entwickelte sich in den USA, Westeuropa, Australien, Neuseeland, in vielen Ländern Lateinamerikas die so genannte „neue Frauenbewegung“. Der Feminismus wurde aktualisiert.





Linke und Feminismus – Verbündete?





Zwischen dem Feminismus und der Linken scheint eine natürliche Verbindung zu bestehen, weil sich beide Bewegungen zum Ziel gesetzt haben, mit Unterdrückung und Entrechtung Schluss zu machen. Wie sieht es in Praxis aus mit der Zusammenarbeit? Wir stellten fest, dass Marx die Arbeit der Frauen, die sich nicht im Produktionsbereich abspielt, nahezu die Hälfte des Arbeitsvermögens ausmacht – Hausarbeit, unbezahlte Arbeit – nicht in die Analyse einbezogen hat.





„Der Marxismus hat der Frauenbewegung kein nennenswertes Erbe im Hinblick auf das Verhältnis der Frauen zum kapitalistischen Plan der Entwicklung und Unterentwicklung hinterlassen“, sagten die Italienerinnen. Das heißt nicht, grundlegende Erkenntnisse zu negieren, die Ergebnis der marxistischen Analyse sind. Aber sie ist nicht genügend und fehlerhaft.





Eine für uns sehr wichtige Frage, sehr einfach eigentlich: „Haben Frauen, die keine Lohnarbeiterinnen sind, bloße Hilfsfunktionen für den Kapitalismus (wie man annahm) und haben sie eine bloße Hilfsfunktion für einen grundlegenden politischen Kampf gegen den Kapitalismus? Kann irgendetwas jemals ‚allgemein’, ‚politisch’ gewesen sein, das so viele Frauen so lange ausgeschlossen hat?“ (Maria Rosa dalla Costa, zitiert aus: Selma James: „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“)




Diese Fragen elektrisierten uns, sie waren Ausgangspunkt für viele Überlegungen. Wir sind ein Stück weiter gekommen in unseren Bemühungen, die Barbarei in den alltäglichen Beziehungen einzufangen. Wir haben dabei nicht vergessen, dass die Verhältnisse noch immer ohne bewusstes Planen hinter dem Rücken der Menschen entstehen. Von Berlin über die CSSR nach Moskau, Peking, Santiago ist es eine weite Reise, von der Pariser Commune über Marx, Lenin, Bloch zu Herbert Marcuse eine Zeit unzähliger Kämpfe, in der die Geschichte der Frauen noch zu wenig vorkommt. Wir haben angefangen, unsere Geschichte zu machen und zu schreiben.





Alltag leben statt Avantgarde sein





Wir haben es vielleicht einfacher. Für unsere Geschichte haben wir das Symbol der französischen Revolution: Die Marianne. Wir haben Louise Michel, Emma Goldmann, Alexandra Kollontai, Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, die Pasionaria, Frida Kahlo, Simone de Beauvoir, Angela Davis. Wir haben die Schwester Che Guevaras, die Witwe von Allende. Und wir haben so viele, die angefangen haben, zu beschreiben, was sie sehen. „Wir haben keinen Freud, sondern die Selbsterfahrung in kleinen Gruppen, die Erforschung des Unbewussten, das „dem Körper, dem Denken, dem Fühlen und Handeln tiefe Zensuren einschreibt“. (Michaela Wunderle: „Politik der Subjektivität“)




Wir lehnen die Bildung von Avantgarde-Gruppen ab, die den „Massen das richtige Bewusstsein“ bringen soll. Die Frauenbewegung ist vielschichtig, es gibt kein geschlossenes Theoriekonzept. Die Treffen haben nicht den Charakter, auszuführen, was andernorts am grünen Tisch entworfen wurde. Die Treffen, die Projekte, die Demonstrationen, die Entwicklung alternativer Medizin und Psychologie – diese Dinge machen die Praxis, die tägliche Arbeit aus. Für mich, wie für viele andere Frauen ist – vor allem auch durch die Entwicklung der internationalen politischen Situation – die Diskussion mit der Linken und der Grünen Bewegung notwendig. Wir haben in der Frauenbewegung viel gearbeitet. Die Auseinandersetzung wird anders sein, als die vor Jahren.





Wir fordern …





Forderungen und Ziele wurden formuliert:




Ø      Wir forderten die Möglichkeit, ein Leben zu führen, in dem wir gleichzeitig berufstätig sein und Kinder haben können.


Ø      Wir forderten nicht nur Kindergartenplätze, sondern definierten auch die Inhalte der Kindererziehung im Kontext der antiautoritären Erziehung neu.


Ø      Ein großer Teil des Interesses und der Kraft ging in die Entdeckung und Erforschung der Bedürfnisse unserer Körper, unserer Sexualität. Wir stellten die Entfremdung zwischen uns und unseren Körpern fest, mussten realisieren, wie sehr die Bilder von Frauenkörpern durch Werbung, Modemacher, Männerbilder definiert wurde.





Wir wollten




Ø      Die Aufhebung sowohl von entfremdeter Arbeit als auch der Trennung von Hand- und Kopfarbeit


Ø      Befriedigende Arbeitsbedingungen, Arbeit, von der wir leben können


Ø      Gleichen Lohn für gleiche Arbeit


Ø      Teilung der Hausarbeit für Männer und Frauen, Lohn für Hausarbeit


Ø      Kollektives Handeln (Heute hieße das: Wir-Kollektive statt Ich-AGs)


Ø      Die Behandlung als Subjekt und nicht als Trägerin begrenzter Fähigkeiten


Ø      Die Aufhebung von Macht-, Autoritäts- und Hierarchiestrukturen


Ø      Den Abbau von Entwertungsangst, von der so viele Frauen geplagt sind


Ø      Ein Ende der Gewalt gegen Frauen


Ø      Eine erfüllte, selbst bestimmte Sexualität


Ø      Das Recht auf Abtreibung und Scheidung





Gewalt hinter dem Schleier





Einer der wichtigsten Sätze der neuen Frauenbewegung heißt: „Das Private ist politisch.“ Eine Form der Gewalt gegen Frauen spielt sich in der Familie, im so genannten Privaten ab. Über dieses Private wurde ein Schleier gezogen, darüber sprach man nicht. Es ist das Verdienst der feministischen Bewegung, diesen Schleier weggezogen zu haben. Es gibt unterschiedliche Formen von Gewalt, denen Frauen ausgesetzt sind.





In den langen Jahren der feministischen Friedensarbeit haben wir festgestellt: 80-90% der Kriegsopfer heute sind ZivilistInnen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Die Mehrheit von Frauen und Kindern ist heute unmittelbar in Gefahr, bedroht oder umgebracht zu werden und zwar




- durch direkte, die so genannte private,


- durch Waffengewalt in Kriegs- und Krisengebieten,


- durch strukturelle Gewalt der Ökonomie und Umweltzerstörung oder


- durch staatlich legitimierte Gewalt





Prügeln für Wal Mart





Ein Beispiel aus der Welt von heute: Am 3. Mai 2007 räumte die Polizei in einer Großoffensive die Stände der traditionellen StraßenverkäuferInnen in der kleinen Stadt Atenco in der Nähe von Mexiko City. Der multinationale Supermarktkonzern Wal Mart möchte in Atenco eine Filiale eröffnen. Die veranschlagten Profite sollen nicht durch die konkurrierenden StrassenhändlerInnen gemindert werden. Für den 4. Mai organisierte die FPDT (Front der Völker zur Verteidigung der Erde) eine Protestaktion. Doch bevor es überhaupt zur Demonstration kommen konnte, wurden am 4. Mai ab 4.00 Uhr früh 3.000 schwer bewaffnete Polizisten nach Atenco gebracht. Im Verlaufe des Tages stürmten sie Häuser, zerstörten wahllos Mobiliar und nahmen unter brutaler Gewaltanwendung circa 300 Menschen fest, darunter Alte, Kinder und Frauen. Die festgenommen Frauen wurden noch auf dem Weg zu den Haftanstalten in den Polizeiwagen misshandelt und vergewaltigt. wei Wochen später fand in Mexiko City eine Frauen Solidaritätskulturveranstaltung  „Frauen ohne Angst“ für die Opfer der Polizeibrutalität statt.





Die Frauenkörper wurden mit Gewalt genommen, angegriffen, angeeignet um Vergnügen zu haben. Das Versprechen des Vergnügens, das auf diesen Frauenkörpern stattfand, war die versprochene Belohnung, die die Polizei, zusammen mit dem Auftrag, „Frieden und Ordnung“ in Atenco herzustellen, zugesagt bekam. Vor ein paar Monaten erklärte uns Senior Fox, Präsident des Wechsels und der „Macht des Gesetzes“, dass Frauen zweibeinige Waschmaschinen sind. (Mit Garantie, Ratenzahlungsvereinbarungen und Reklamationsanspruch) Diesen Maschinen des Vergnügens und der Arbeit, die die Körper der Frauen sind, wurden vom herrschenden System Gebrauchsanweisungen beigefügt.





Das Einmaleins der Frauenverwertung





In der Gebrauchsanweisung für das Produkt „Frau“ wird auch garantiert, dass sie stets ihren Kopf gebeugt hält. Sollte sie aufgrund unvorhergesehener oder vorsätzlicher Fabrikationsfehler den Blick heben, wird die unerbittliche Sense der Macht ihr das Gehirn waschen und sie dazu verurteilen, dass sie sich so bewegt wie eine Frau, die um Vergebung bittet und um Erlaubnis fragt. Außerdem richten diese Regierungen Psychiatrien, Gefängnisse, Friedhöfe für „kaputte“ Frauen ein. Eine Kugel, ein Schlag, ein Penis, Gefängnisgitter, Richter, Regierungen, dieses System brandmarkt Frauen, die nicht um Vergebung oder um Erlaubnis bitten. Auf der Kennzeichnung steht dann: „Out of service – Nicht verwertbares Produkt“. rauenhandel und Zwangsprostitution sind neben dem Handel mit Waffen und Drogen zum lukrativsten Geschäft geworden. Am Missbrauch von Frauenkörpern verdienen Männer Milliarden.





Vor genau 25 Jahren schrieben wir, 17 Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern,ein Buch, herausgegeben von Ulla Jelpke, mit dem sarkastischen Titel: „Das höchste Glück auf Erden, Frauen in linken Organisationen“ Als wir uns im September 2005 zum ersten Treffen des Linken Frauenaufbruchs im Frankfurter Club Voltaire trafen, erinnerte die Vorstellungsrunde fatal an den Titel des 1981 erschienenen Buches. Nahezu alle Frauen, sie waren aus verschiedenen Organisationen, Parteien sowie aus der autonomen Frauenbewegung, berichteten davon, wie schwer es im Jahr 2005 sei, sich trotz formaler Bekenntnisse zur Frauenemanzipation Gehör für Fraueninteressen in den linken Organisationen zu verschaffen. Werden wir das ändern können?





Die Werbebroschüre für die „Europäische Linke“ von 2007  zeigt auf Vorder- und Rückseite der Broschüre acht Männer, die sich anfassen. Die Partei DIE LINKE hat es bis heute nicht geschafft, eine Frau für den Vorsitz oder die Stellvertretung zu nominieren.





Die Institutionalisierung der feministischen Bewegung




Über die Jahre hat sich der Feminismus institutionalisiert. In Deutschland wurden überall Gleichstellungsstellen eingerichtet. Frauen verdienten nun ihr Geld mit feministischen Inhalten. Der Anpassungsdruck war enorm. Diese Stellen, die Integration von radikalen Ansätzen in die Institutionen, die dann als Geldgeber Stück für Stück die Inhalte bestimmten, haben der Bewegung einen großen Teil ihrer notwendigen Radikalität genommen.

Frauenprojekte sind sehr damit beschäftigt, öffentliche Gelder zu beantragen oder Sponsoren zu suchen. Im Zuge des Sozialabbaus werden die Gelder für Frauenprojekte gekürzt oder ganz gestrichen. Auf der rechtlichen Ebene ist einiges durchgesetzt. Gewalt, Vergewaltigung, auch in der Ehe, ist strafbar. Abtreibung ist möglich, Mädchen können sich entscheiden, zuhause auszuziehen und in Wohngemeinschaften zu leben. Im Rahmen der Gleichstellungsdebatten ist die Quotierung für Frauen, um bestimmte Mandate und Posten zu bekommen, in einer Reihe von Organisationen Realität. Ob diese Gleichstellung emanzipatorische Prozesse beinhaltet, ist mehr als fraglich.




Die feministische Zeitung Emma hat vieles in Bewegung gebracht. Heute aber ist Emma mehr denn je eine Zeitung der gut verdienenden Frauen, derjenigen, die „es geschafft“ haben. Die Probleme der Armen, der Mehrheit der Frauen, der Frauen  der 2/3 Welt, der Frauen mit unsicheren Arbeitsverhältnissen haben nicht viel Raum in Emma. Emma hat es z.B. fertig gebracht, ein Heft mit dem Schwerpunkt „Mode“ zu machen, ohne einen Satz zu den Millionen Frauen in aller Welt zu sagen, die mit der Herstellung der Mode unter größtenteils entsetzlichen Arbeitsbedingungen befasst sind. Alice Schwarzer hat für die Bundesrepublik weitgehend die Definitionsmacht dessen, was Feminismus ist. Sie ist die „öffentlich angesehene Ikone“ des Feminismus, mit Bundesverdienstkreuz und anderen Auszeichnungen beschwert.





Das Beispiel „Gender Mainstreaming“.





Welches sind Strategie und Taktik der „neuen Frauenpolitik“, genannt Gender Mainstreaming? „Die aktuelle Version des Gender Mainstreaming entstand als Teil der US Konzernstrategien der 80er Jahre. Unter dem Begriff „Managing Diversity“ (Verwaltung der Verschiedenheiten) versprach sie den Konzernen Kostenvorteile, wenn sie bei ihrer Einstellungspraxis Frauen, Schwarze und Schwule nicht mehr diskriminieren. Das aber nicht etwa aus Gründen der Menschenrechte, sondern um dieses „Humankapital“ profitabel zu nutzen. Die neuen Ideologien werden zunächst mittels Einführung von neuen, meist unverständlichen Begriffen in die Köpfe gebracht. Wer versteht eigentlich, was mit Gender Mainstreaming gemeint ist? (Die Wurzel des Wortes gender bildet das lateinische Verb generare (zeugen) und gener (Rasse oder Art). Eine alte englische Bedeutung des Wortes to gender ist: to copulate (kopulieren)





Das Wortungetüm Gender Mainstreaming hat das Ziel der Verwirrung, nicht der Aufklärung. Wir hatten ja mal klare Worte:



- Her mit der Staatsknete!


- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!


- Mein Bauch gehört mir!




„Gender“ macht die Frauen wieder unsichtbar, nachdem die Frauenbewegung so sehr dafür gekämpft hat, sie sichtbar zu machen. Und „Mainstream“ ist die neoliberale kapitalistische Politik, in die sich Frauen ohne Widerstand integrieren sollen. Frauen erfahren den Bluff von Gender Mainstreaming heute vor allem durch die Tatsache, dass sie als erste die Arbeitsplätze verlieren, und dass die Projekte der Frauenbewegung, Frauenhäuser, Notrufzentralen, Beratungsstellen ausgetrocknet werden. Eine spezielle Frauenförderung sei nicht mehr nötig, wir haben ja jetzt Gender Mainstreaming, und alle müssen ja sparen!





Was Not tut





Wir brauchen eine Neubestimmung des Reproduktionsbereiches. Diesen Bereich auf Haushalt und Sorgearbeit zu reduzieren, ist sträflich. Viele der kommenden Kämpfe werden sich im Reproduktionsbereich abspielen: der Kampf um Wasser, um Nahrung, um Ressourcen, gegen zerstörerische und menschenverachtende Technologien, die Verhinderung der Klimakatastrophe. Wir brauchen eine Neubestimmung des Arbeitsbegriffs.





Und dann haben wir den „neuen Feminismus“, eine neue Generation junger Frauen, die mit dem „alten Feminismus“ meiner Generation nichts mehr zu tun haben wollen. Und doch haben sie damit zu tun. So wie uns die Frauen des letzten Jahrhunderts etwas angingen. Ich bin gespannt auf die kommenden Diskussionen.



31. März 2009
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