Der Mann ist Freier

Pro Jahr und pro männlichem Einwohner der Schweiz werden im Sexmarkt 1000 Franken umgesetzt. Fast jeder fünfte Mann konsumiert mindestens einmal jährlich Sex  gegen Geld – und trotzdem wird kaum darüber gesprochen.
Die neuste Ausgabe der Männerzeitung geht der Frage nach, was Männer im bezahlten Sex suchen, finden und vielleicht auch verlieren – ein lesenswertes Heft, aus dem Sie nachstehend das Editorial des Redaktionsleiters Ivo Knill finden.

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Lustwechsel

Wer einige Stunden im Internet nach dem Stand der Dinge in der Sexbranche recherchiert, bekommt eine Unmenge an nackter weiblicher Haut und mehr vom weiblichen Intimbereich zu sehen als ein Frauenarzt im Verlauf eines harten Arbeitsjahres. Heisse «Girls», flotte «Mädchen», geile «Babes», versaute «Teens», unersättliche «Moms» tummeln sich ohne Zahl. Und sie verändern allmählich den Blick auf den weiblichen Körper. Im Handumdrehen ist die Frau als Mensch weg und der Körper bleibt – als Ware, die man instinktiv taxiert, wenn man Frauen auf der Strasse, im Kino oder bei der Arbeit sieht. Dieser Blick bleibt einige Zeit hängen wie ein schlechter Geschmack im Mund. Bis er vergeht, dauert es Stunden, manchmal Tage.

Als zweites veränderte sich im Verlauf der Recherche auch der Blick auf die Männer. Fast jeder fünfte Mann zwischen 20 und 65 Jahren nimmt wenigstens einmal im Jahr die Dienste einer Prostituierten in Anspruch. Jeder fünfte: Wer von den fünfen, die mit mir im Supermarkt an der Kasse stehen? Oder etwa mein Chef? Mein netter und immer aufgestellter Kollege? Der scheue Nachbar?

Erstaunlich ist das Schweigen: Freier sind scheue Wesen. Kaum einer ist bereit, mit vollem Namen zu seinem Tun zu stehen oder spricht auch nur im Freundeskreis darüber. Kaum einer erzählt seiner Partnerin etwas davon. Freier haben zwei Gesichter – ein braves für Zuhause und ein lustiges für die Girls. Die Empörung ist leicht zu haben, wenn man sich mit dem Thema der freienden Männer befasst. Auf ein schnelles Urteil zu verzichten ist schwieriger. Und hinschauen ist unabdingbar – oder wollen wir ewig mit dieser Kluft zwischen dem, was sein darf, und dem, was ist, leben?

Viele Beiträge in dieser Nummer sind anonym. Zum Teil kennen wir die Identität der Verfasser und respektieren den Wunsch nach Diskretion. Zum Teil wissen wir auch nicht, wer sich hinter den Antwortenden verbirgt. So unterliegt unsere Berichterstattung streckenweise derselben Bedingung wie das Geschäft mit käuflichem Sex: Die Anonymität erlaubt eine Offenheit, die zu nichts verpflichtet. Und was könnte ein Fazit aus der Auseinandersetzung mit dem Thema der freienden Männer sein? Erstens und zynisch: Der Freier ist nicht die unmoralische Ausnahme in unserer Konsumgesellschaft – er ist deren logischer Vertreter. Er deckt seine Bedürfnisse auf dem freien Markt. Zweitens: Lust ist wilder, ungezähmter und freier, als jede Form, in die wir sie zu pressen versuchen. Wilder auch als das meiste, was es zu kaufen gibt.   
Ivo Knill

http://www.maennerzeitung.ch/

 Inhaltsverzeichnis «Männer sind Freier»



06. September 2007
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