Die totale Globalisierung – ohne Demokratie?
Demokratie endet an den Grenzen des Nationalstaates – noch. Es gibt gute Gründe, sie zu befreien. An Argumenten fehlt es nicht.
Immer mehr Lebensbereiche werden von der Globalisierung erfasst oder sind schon total globalisiert: die Kommunikation, der Transport, der Handel, der Güterverkehr, der Kapitalverkehr, der Rohstoffhandel, die Satelliten-Navigation und, und, und. Nur eines ist nicht globalisiert: die Demokratie! Sie scheint, sozusagen «gottgegeben», an den Nationalstaat gebunden zu sein. Bei heute fast 200 Nationalstaaten.
Ist diese Beschränkung der Demokratie auf den Nationalstaat aber wirklich ein Axiom, eine unabänderliche «Wahrheit»? Nein, überhaupt nicht. Seit zweitausend Jahren haben immer wieder kluge Männer und Frauen darüber nachgedacht, wie unsere Welt organisiert sein sollte, damit eine möglichst friedliche und gerechte Welt zustande käme. Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg und der konkreten Gefahr eines Nuklearkrieges, dessen vernichtende Strahlung vor keiner Staatsgrenze haltmachen würde, ist es existenzielles Thema: Wie organisieren wir unsere Welt, um sie ebenso steuerbar und vor allem sicher zu machen, wie wir unsere Staaten steuerbar und sicher gemacht haben?
Um weitere Weltkriege zu verhindern …
Die Gründung der UNO im Jahr 1945 war ein Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur: Mit Demokratie hatte das nichts zu tun. Es war und ist noch immer eine Plattform für die Regierungen, ohne Vertretung der Bevölkerung der eingebundenen Staaten. Dazu gibt es einen Ausschuss, den Sicherheitsrat, von dessen 15 Mitgliedern fünf – USA, Frankreich, Grossbritannien, Russland und China – sogar ein Vetorecht haben, um mehrheitlich gefasste Resolutionen doch noch blockieren zu können. Und in der Generalversammlung der heute 193 UNO-Mitgliedstaaten haben alle eine Stimme, ob sie 1 Million Einwohner beziehungsweise Staatsbürger haben wie etwa Dschibuti in Afrika oder aber 1,4 Milliarden Einwohner wie China, also über tausendmal mehr. Von demokratischen Verhältnissen, von Gleichberechtigung und einem Mitspracherecht der Bürgerinnen und Bürger war schon bei der Gründung und ist bis heute keine Spur. Aber können Kriege verhindert werden, wenn nicht die Bevölkerung demokratisch mitreden kann, sondern die Regierungen der sich konkurrierenden und in Machtkämpfe verstrickten Staaten an den Steuerhebeln sitzen? Nein, sicher nicht! Die Historiker wissen es: Kriege beginnen meist wegen der Rivalität von zwei machtbesessenen Männern, die Kriegsopfer aber sind Tausende oder Millionen von Menschen, die nichts dazu zu sagen hatten!
Viele Einzelkämpfer und etliche Organisationen
Hätten die Menschen etwas zu sagen, nicht nur als Bürger eines sogenannten Nationalstaates, sondern auch als Weltbürger im internationalen Bereich – also transnational – , dann es gäbe deutlich weniger Kriege, vielleicht sogar keine mehr. Das sagten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur viele Wissenschaftler, Philosophen, Soziologen, Historiker. Es entstanden auch etliche Organisationen, die sich dafür einsetzten, dass eine «Weltordnung» geschaffen wird, die nicht abhängig ist von ein paar Grossmächten und deren Regierungen oder gar Autokraten, sondern getragen wird von Gremien, die demokratisch zustande kommen. Eine solche Organisation ist zum Beispiel das World Federalist Movement, die Weltföderalistische Bewegung, die auch in der Schweiz einen Ableger hat.
Vor allem aber entstanden mehr und mehr Bewegungen und Organisationen, die sich ganz konkret für eine demokratische UNO einsetzen – und zwar für ein Parlament auf UNO-Ebene als integraler Teil der UNO und nicht nur eine Plattform von Regierungsvertretern. Ein Parlament, das gewählt wird von den Bevölkerungen der UNO-Mitglieder, nach demokratischen Spielregeln. An vorderster Stelle ist da die KDUN zu erwähnen, das Komitee für eine Demokratische UNO. Andreas Bummel, der Geschäftsführer, setzt sich seit Jahren vollamtlich (und trotzdem weitestgehend ehrenamtlich) dafür ein, dass es so schnell wie möglich zu einem United Nations Parliamentary Assembly (UNPA) kommt, zu einem Weltparlament, wo globale Probleme diskutiert und Lösungen demokratisch beschlossen werden können.
Auch aus der Schweiz gab es gelegentlich Unterstützung. So unterzeichneten im Februar 2005 108 Mitglieder des Nationalrats und des Ständerats einen von Nationalrat Remo Gysin aus Basel initiierten Offenen Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan, in dem dieser aufgefordert wurde, die Idee eines UNPA in die aktuelle Reformdebatte bei der UNO einzubringen und zu fördern.
Kleiner Exkurs: Es geht nicht um globale Zentralisierung
Das Prinzip der Subsidiarität besagt, dass alle politischen Entscheidungen auf der unterstmöglichen Stufe gefällt werden sollen. Also in der Schweiz je nachdem auf der Ebene der Gemeinden, der Kantone oder des Bundes. Auch alle Vordenker und alle Organisationen, die sich für eine demokratische Weltordnung einsetzen, denken so. Aber aufgrund der Globalisierung gibt es tatsächlich immer mehr Probleme, die auf nationalstaatlicher Ebene nicht mehr gelöst werden können. Man denke etwa an die Probleme mit der Umweltbelastung und -verschmutzung oder auch an die Tricks der grossen Konzerne, die dort arbeiten lassen, wo die Arbeitskraft am billigsten ist, jedoch dort Steuern zahlen – wenn überhaupt –, wo sie am tiefsten sind. Oder das Herumschieben von Milliarden, um aus Währungsdifferenzen Profit zu schlagen, ohne jede Versteuerung der Gewinne. Und vieles mehr.
Alles aber, was nicht mehr auf der Ebene des einzelnen Staates gelöst werden kann, wird heute nicht mehr auf demokratischem Weg entschieden, sondern mit Sonderabkommen oder auf der Ebene der UNO, wo die Regierungen entscheiden – um den massgeblichen Einfluss der Lobbys für einmal auszublenden.
Die UNO muss demokratisiert werden!
Andreas Bummel vom Komitee für eine demokratische UNO hat mit «Das demokratische Weltparlament» ein äusserst informatives Sachbuch geschrieben, das zu allen diesen Punkten detailliert Auskunft gibt. In einem ersten, sozusagen historischen Teil schildert er, was bisher gedacht, gesagt, gefordert und unternommen worden ist, was hochinteressant ist. In einem zweiten Teil untersucht Bummel, welche grossen Probleme auf dieser Welt anstehen und einer Lösung harren und wie diese eben demokratisch angegangen werden müssten, um nachhaltige Lösungen zu finden. Und in einem dritten, eher kurzen Teil erklärt er, wie ein Weltparlament der UNO aussehen müsste. Das Buch hat 450 Seiten, 400 Seiten Text, 50 Seiten Namens- und Quellenverzeichnis. Es erfüllt damit auch die Anforderungen wissenschaftlicher Arbeit. Auch in der Schweiz gibt es eine Vereinigung, die mithilft, den Gedanken einer demokratischen UNO zu fördern und Bestrebungen in diese Richtung zu unterstützen: die Vereinigung der Weltföderalisten Schweiz. Sie hat die Herausgabe des Buches von Bummel finanziell unterstützt. Und es liegt ihr daran, dass dieses Buch in die Hände von möglichst vielen interessierten Leuten kommt.
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Christian Müller ist Präsident der Vereinigung Weltföderalisten Schweiz, die sich für eine Weltordnung auf demokratischer Basis unter Einhaltung des Prinzips der Subsidiarität einsetzt.
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