Drogenpolitik: Mündigkeit oder Bevormundung?

Die bald 60-jährige Hanfprohibition könnte am 30. November gelockert werden. Gleichzeitig kommt die BetMG-Revision zur Abstimmung, die mehr Repression sowie Viersäulenpolitik und Heroinverschreibung in der Verfassung verankern will.

Die Anfang 2006 eingereichte Hanfinitiative (Verfassungsinitiative «Für eine vernünftige Hanfpolitik mit wirksamem Jugendschutz») will die Entkriminalisierung der psychoaktiven Naturprodukte, die aus Cannabisblüten gewonnen werden und von vielen für gesellige, medizinische und bewusstseinserweiternde Zwecke verwendet werden: Sie verlangt Straffreiheit für Konsum, Erwerb, Besitz und Anbau für den Eigenbedarf, Bundesvorschriften betreffend Handel und Jugendschutz sowie das Verbot von Werbung für psychoaktive Produkte der Cannabispflanze und für den Umgang damit.

Propaganda aus der Mottenkiste
In der toleranten Stimmung der 90-er Jahre wäre die erste Betäubungsmittelgesetz-Revision oder die Hanfinitiative sehr wahrscheinlich angenommen worden. Doch dann startete die Rechte eine druckvolle Anti-Marihuana-Propaganda aus der Mottenkiste des US-amerikanischen Drogenkriegs, die grossen Medien zogen sofort mit. Der Konsum von psychoaktivem Cannabis wurde verantwortlich gemacht für Autounfälle, Konflikte in den Schulen und alle anderen gesellschaftlichen Probleme. Der Revisionsentwurf scheiterte deshalb im Nationalrat, auch eine politische Mehrheit verlangte mehr Repression.

Hanfbauern zu Drogenhändlern gemacht
Früher hatte die Verfolgung der harten Drogen bei Polizei und Justiz Priorität gehabt. Kleine Cannabis-Konsumenten, insbesondere Jugendliche, linke Politaktivisten und nicht privilegierte Ausländer, waren trotzdem immer bevorzugte Bussennopfer gewesen.
In der neuen politischen Lage wurde es opportun, Hanfanbau und –konsum mehr und mehr zu bestrafen. Auch Inhaber von Hanfbetrieben, die Steuern und Sozialabgaben bezahlten, Ladenbesitzer, die Bestimmungen über Prävention, Jugendschutz und Mengenbeschränkung gemäss der ersten Revisionsvorlage einhielten, wurden als Drogenhändler eingestuft und entsprechend enteignet und inhaftiert.

Ungesundes, teures Mafiagras
Swiss Outdoor, oft aus Bio-Produktion, verschwand als Folge dieser repressiven Massnahmen fast ganz vom Markt, die Mafia konnte das verlorene Terrain mit ihrem teuren, gestreckten, THC-gepushten Pestizid-Indoorgras schnell wieder zurückgewinnen - die Jugendlichen kaufen heute wieder auf der Strasse ein, wo auch harte Sachen gehandelt werden. Repression als Jugendschutz?

Rechtskonservatives Referendum
Der zweite Revisionsversuch des Parlaments des „Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe“ (BetMG) kommt deshalb zur Abstimmung, weil rechtskonservative Organisationen und Parteien im Juli dieses Jahres das Referendum gegen die im März von den Parlamenten fertiggestellte Revision ergriffen haben. Die praktizierte Drogenpolitik mit Heroinabgabe an Schwerstsüchtige und Viersäulenpolitik (Prävention, Therapie/Wiedereingliederung, Schadenminderung/Überlebenshilfe und Kontrolle/Repression) soll unter anderem darin festgeschrieben werden.

Gefährdungsmeldung und Tabletten
Weiter enthält die zur Abstimmung stehende Gesetzesvorlage das Abstinenzgebot, die erleichterte Gefährdungsmeldung und mehr Kontrolle und Überwachung. Stoffe aus der Cannabispflanze (aber nicht Harz oder Blüten) können als chemische Medikamente zugelassen und von der Pharmaindustrie vermarktet werden. Der Begriff „Betäubungsmittel“ wird auf Biomasse, Hilfschemikalien und Vorläuferstoffe ausgeweitet. Kleiner Lichtblick in der Vorlage: Bei einer – vom Bund zu bestimmenden - „geringfügigen Menge“ kann von der Bestrafung von Konsumenten abgesehen werden.

Abstinenzgebot und Strafverfolgung
Artikel 1 der Revision will „dem unbefugten Konsum von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen vorbeugen, namentlich durch Förderung der Abstinenz“ und Strafverfolgung sowie „Personen vor den negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen suchtbedingter Störungen der Psyche und des Verhaltens schützen“. Tönt nach Bevormundung und nicht nach Unterstützung der Entwicklung zur Drogenmündigkeit, wie sie in der Prävention und Suchthilfe früher gepflegt wurde.

Kontrollverlust, Wahnsinn, Tod
Bevormundung passt zur hysterischen konservativen Ansicht, der Konsum von Cannabis und anderen illegalisierten Mitteln führe unweigerlich, sofort und für alle Konsumierenden zu Kontroll- und Identitätsverlust, Schizophrenie, Wahnsinn, körperlichem Verfall und Tod. Passt auch zum einseitigen Bild der „Drogen“, die in Krimi- und Spitalserien in die Welt gesetzt wird. Ein kontrollierter Gebrauch - nicht einmal von Cannabis - durch erwachsene Menschen wird ausgeschlossen.

Schlecht informierte Drogengegner
Die religiöse und neoliberale Rechte zeichnet das Gespenst einer schleichenden Ausweitung bei der Heroinabgabe. Sie prognostiziert eine Förderung des Cannabishandels im grossen Stil und die Gefährdung der Jugend durch die Einführung der Kategorie „geringfügige Menge“. Jugend ohne Drogen, Eltern gegen Drogen und all die anderen übereifrigen, aber oberflächlich informierten Organisationen der Drogenkrieger ignorieren die Trennung von weichen und harten Drogen und verlangen strengste Repression, bis sich niemand mehr getraut an illegalisierte Rausch- und Genussmittel auch nur zu denken.

Gezielte Repression
Dank der Schadenminderung könne Repression und Kontrolle im Bereich der harten Drogen gezielter angewendet werden, argumentieren die Befürworter der Gesetzesrevision. Der Bundesbeschluss betreffend Heroinverschreibung und Viersäulenpolitik läuft Ende Jahr aus, Suchthilfe und Prävention brauchen dringend die gesetzliche Verankerung von Prävention, Therapie, Wiedereingliederung, Schadenminderung und Überlebenshilfe - auf Repression und Kontrolle kann nach ihrer realpolitischen Beurteilung nicht verzichtet werden.

Flächendeckende Repression
Bundesrat, Parlamente, alle Suchtberatungsstellen und alle Parteien ausser SVP, EDU und LPS begrüssen die Änderungen im Betäubungsmittelgesetz. Ein Teil der liberalen Befürworter der Revision seht das revidierte Gesetz als taktischen Gegenvorschlag zur weitergehenden Hanfinitiative. Wegen des rechten Referendums würde auch ein Nein zur BetMG-Vorlage vermutlich als Ruf nach der flächendeckenden Repressionspolitik mit einschneidenden Eingriffen in die Privatsphäre vieler Bürgerinnen und Bürger interpretiert.

db.

Mehr Informationen:

Initiativkomitee: http://www.projugendschutz.ch/

Bundeskanzlei: http://www.bk.admin.ch/ > Nächste Abstimmung
18. Oktober 2008
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