Dass schlechtes Essen – industriell gefertigte Nahrung in jeder Form, zu süss, zu fett, zu viel Weissmehl – dick und krank macht, ist bekannt. Es macht aber auch unglücklich, vergesslich, ängstlich oder aggressiv. Essen beeinflusst nicht nur unseren Körper, sondern auch in nicht zu unterschätzendem Masse unsere Psyche; nicht nur das allgemeine Wohlergehen, sondern ganz konkret das Gehirn. Die enorme Zunahme von Krankheiten wie Migräne, Depressionen und Demenzformen, darunter Alzheimer, stehen in direktem Zusammenhang mit unseren Ernährungsgewohnheiten: Wer täglich zur fixfertigen Pastasauce greift, zu Kuchen oder Wurst, verändert auf lange Sicht damit Gedächtnis, Gedanken, Entscheidungen, Handlungen, ja das gesamte Hirngefüge. Die Bestandteile der Nahrung können direkt die Kommunikation der Synapsen im Gehirn beeinflussen; sie können auf dem Umweg über unsere Darmflora darauf einwirken; sie können über Entzündungsprozesse in unsere Psyche eingreifen oder über den Umweg des Immunsystems.
Wenn wir jetzt verkünden, dass Schokolade glücklich macht, weil sie Tryptophan enthält, das der Körper zum «Glückshormon» Serotonin umwandelt, welches Stress mildert und Frust dämpft - dann ist doch gut, oder? Dann können wir uns ohne schlechtes Gewissen der Gesundheit gegenüber mit Leckereien mästen, und das Leben würde sich von seiner Schokoladenseite zeigen. Doch das ist leider nicht die ganze Wahrheit, wie die meisten aus eigener Erfahrung wissen und wie auch theoretisch immer grundlegender erklärt und durch Studien belegt werden kann. Zwar kommunizieren die Zellen des Gehirns mit Hilfe von Serotonin als Überträgerstoff miteinander, weshalb der Neurotransmitter für eine ausgeglichene Stimmung sorgt. Wenn diese Kommunikation nicht ungehindert ablaufen kann, kommt es zu Gedächtnisstörungen und Depressionen.
Doch bei Schokolade haben nur die ersten Bissen diese Wirkung. Nachdem wir eine ganze Tafel verputzt haben, fühlen wir uns in der Regel ziemlich unwohl. Zucker aktiviert dieselben Bereiche im Gehirn wie eine Droge. Es stimuliert unentwegt die Dopaminrezeptoren: Die ungesunde Nahrung wird im Gehirn als «Belohnung» wahrgenommen und mit einem guten Gefühl assoziiert. Doch bald braucht man immer mehr davon für den erwünschten Glückseffekt. Schlechtes Essen macht traurig, stellt Prof. Dr. Christof Kessler fest: «Das Gehirn benötigt drei Dinge, um glücklich zu sein: Zucker, Fett und Eiweiss.» Doch es sind die langkettigen Kohlenhydrate wie Stärke, die in Gemüse, Vollkorn und Reis vorkommt, die das Gehirn kontinuierlich mit Energie versorgen – und diese Kontinuität ist ausschlaggebend für seine gleichmässige Leistung, denn Hirnzellen können keine Energie speichern. Kurzkettige Kohlehydrate wie Traubenzucker, Laktose oder Saccharose führen dagegen zu heftigen Schwankungen des Blutzuckerspiegels, die dem Stoffwechsel des Gehirns schaden. Bei Depressiven ist das Stresshormon Cortisol dauerhaft erhöht: Cortisol hemmt Melatonin, ein für den Schlaf zuständiges Hormon, und reduziert das so wichtige Seratonin.
Ebenso verheerend ist die Wirkung, die chronische Entzündungsvorgänge im Gehirn haben. Diese werden auch durch industriell hergestellte Transfette verursacht, die bei sehr vielen Fertigprodukten Verwendung finden. Entzündungen, wie auch ein hoher Cortisolspiegel, stören die Gewinnung von Serotonin, das eine grosse Rolle bei etlichen Erkrankungen von Hirn und Psyche spielt, wie die Doktoren Perlmutter darstellen: Angst- und Zwangsstörungen, Phobien, sogar Epilepsie. Bei Störung der Serotoninbildung wird seine Vorstufe Tryptophan, die mit der Nahrung zugeführt wird, nun zur Bildung eines Stoffes namens Kynurenin genutzt, der unlängst als Bindeglied zwischen Entzündung und Depression identifiziert wurde. Hohe Entzündungswerte verkleinern das Volumen des Gehirns und schränken seine Leistungsfähigkeit ein.
Das Buch «Werde wieder Mensch» regt deshalb «Kochen nach Stoffwechselprozessen» an. Zu diesen Prozessen gehört auch der Bereich der Entscheidungsfähigkeit, der sich u.a. in impulsivem Verhalten, zwanghaftem Essen, fehlender Disziplin oder Angst vor Veränderungen äussert. Endorphine, die durch das, was das Hirn als «Belohnungen» registriert, freigesetzt werden, führen zu Abhängigkeiten. Ändert sich an unseren täglichen Belohnungssystemen etwas, werden unsere Entscheidungen, meist unbewusst, davon beeinflusst und zielen nun vehement darauf ab, das gewohnte System wiederherzustellen. «Je öfter wir vor oder während einer bestimmten Aufgabe essen und uns so oberflächlich belohnen, desto schlechter wird unsere Stresstoleranz, unsere Motivation und unsere Entscheidungsfähigkeit. Dieser Effekt potenziert sich bis auf das Sechsfache, wenn wir dabei noch viele Kohlenhydrate und Salz konsumieren, da sich diese Stoffe sehr negativ auf die Stresstoleranz auswirken.» Um «den freien Willen wiederzuerlangen», muss die Durchblutung im Gehirn umverteilt werden zugunsten des präfrontalen Cortex, Sitz von Kognition und Ratio. Dies erreicht man z.B. durch weniger häufige Mahlzeiten (weniger als 21 pro Woche) oder Lebensmittel wie Eier (enthält Cholin), Avocado (Omega-3-Fettsäuren) oder grünes Gemüse (Magnesium).
Dass man das «Bauchgefühl» bei der Ernährung nicht ignorieren sollte, regt die Reihe «Happy Food» an, die ausführt, dass die Verbindung zwischen Magen und Gehirn viel stärker ist als lange angenommen. Unsere Darmbakterien haben nicht nur Einfluss auf Gewicht, Gefäss- und Darmerkrankungen oder Diabetes, sondern auch auf Parkinson, Alzheimer, Angst, Depressionen und Autismus: «Jeden einzelnen Botenstoff, der von Ihrem Gehirn verwendet wird, können die Darmbakterien in ihren mikroskopisch kleinen Werkstätten herstellen. Ihre Darmflora ist als Ökosystem ein Spiegelbild Ihrer Umwelt.» Ein Verlust der Artenvielfalt im Darm führt zu einem Ungleichgewicht, das Körper und Gemüt belastet. Während Menschen mit traditioneller Lebensweise bis zu 1600 unterschiedliche Bakteriensorten im Darm haben, sind es in der westlichen Welt nur noch 800 bis 1000. Leute. Grund ist die trotz eines Überangebots an Lebensmitteln einseitige Ernährung, die hauptsächlich auf Weizen, Zucker und Mais (in unendlichen Erscheinungsformen) basiert: 75 % unseres gesamten Essens werden aus nur 12 Pflanzen- und fünf Tierarten gewonnen!
Und Bakterien steuern unsere Gefühle: Der Magen-Darm-Trakt hat ein eigenes Nervensystem und wird deshalb oft als «zweites Gehirn» bezeichnet. Der Vagus, einer unserer grössten Nerven, stellt eine «Hochgeschwindigkeitsleitung zwischen Darm und Gehirn» dar, wobei grösstenteils die Information von den Darmzellen ans Gehirn geschickt wird und nur zu zehn Prozent in umgekehrter Richtung. Bis zu 95 % unserer Hormone werden von oder in Zusammenarbeit von Darmbakterien hergestellt. «Menschen mit psychischen Problemen, Autismus und anderen neuropsychiatrischen und neurologischen Erkrankungen haben fast immer auch Probleme mit der Verdauung», zitiert das Buch die Leiterin des Food-and-Mood-Zentums an der Universität in Melbourne. Studien dort belegen, dass chronische Entzündungen auch zu psychischen und neurologischen Störungen wie Angst, Depression, bipolarer Störung in Verbindung gebracht werden müssen – nicht zu vergessen Multiple Sklerose, Parkinson, kognitive Defizite, Alzheimer. Als «Glücksdiebe in der Speisekammer» werden genannt: Zucker, Gluten, Weissmehl, chemische Zusätze, raffinierte Fette, Palmöl (in 50 % aller Fertigprodukte enthalten) und Alkohol.
Die gute Nachricht: So, wie schlechtes Essen unsere Psyche beeinträchtigt, kann gutes Essen sie positiv beeinflussen. Wir können mit der Ernährung sogar die Entwöhnung von Nikotin oder Alkohol erleichtern und den Dopaminlevel, der ohne die gewohnten Suchtmittel sinkt, durch Phenetylamin in möglichst dunkler Schokolade, Omega-3-Fettsäuren in Fisch oder Ölen oder Selen in Keimen, Nüssen und Saaten anheben. Schneller Stimmungskick: Die Aminosäure Tryptophan, die im Hirn die Produktion von Serotonin anregt, kommt in Eiweiss vor: Eier, Käse, Nüsse und verschiedene Fischsorten. Frische, regionale Kost, möglichst in Bioqualität, möglichst naturbelassen und möglichst pflanzenbetont, ist die ideale Ernährungsgrundlage für alle Menschen und senkt das Risiko, an Depressionen, Alzheimer-Demenz oder Ängsten zu erkranken. Diese Ernährungsform wird von der mediterranen Küche nahezu perfekt umgesetzt, bei der traditionell viel Fisch und wenig Fleisch konsumiert wird, viel Obst und Gemüse (am besten grünes Blattgemüse), Olivenöl, Hülsenfrüchte, Ziegen- und Schafmilchprodukte und auch ein wenig Rotwein. So perfekt, dass die sogenannte «Mittelmeerdiät» im Jahr 2010 von der UNESCO zum immateriellen Kulturgut der Menschheit erklärt wurde. Darüber hinaus ergänzt um Nüsse, Vollkornprodukte und rote und dunkle Beeren erhöht dieses Essen die kognitiven Fähigkeiten, stärkt Nerven und Immunsystem, zögert den Ausbruch von Alzheimer-Demenz hinaus oder mildert ihren Verlauf ab. Die beste tägliche Denksportaufgabe, Therapieform und Yogaübung ist es, bunt und abwechslungsreich zu essen, das Essen selbst frisch zuzubereiten und mit Genuss zu verspeisen!
Information & Inspiration
Dr. Leo Pruimboom, Daniel Reheis: «Werde wieder Mensch: Die Rückkehr des Homo Sapiens», Plumtree Editorial
Prof. Dr. Christof Kessler, Regina Rautenberg: «Essen für den Kopf», südwest Verlag
Niklas Eckstedt, Henrik Ennart: «Happy Food», südwest Verlag
Dr. David Perlmutter, Dr. Austin Perlmutter: «Blöd im Kopf? », südwest Verlag