An der Ecke einer schmalen Strasse im Viertel Sheikh Radwan im Norden von Gaza-Stadt lehnt Khaled Abu Samra (37) an der Wand seines Hauses und starrt auf die Müllberge, die sich seit Wochen vor seiner Haustür türmen. Zerrissene Tüten, verrottende Essensreste und leere Dosen liegen verstreut, Fliegen schwirren darüber und verbreiten einen Gestank, der die Luft erfüllt.
Abu Samra zieht ein Streichholz aus der Tasche, zündet es an und wirft es in den Müll. Schnell züngeln die Flammen hoch, dicker schwarzer Rauch steigt in den Himmel.
«Ich habe versucht, es auszuhalten, aber ich kann nicht mehr», sagt er mit frustrierter Stimme. «Die Strasse ist voller Müll, der Gestank dringt ins Haus und überall sind Fliegen. Die Gemeinde hat ihn seit Wochen nicht abgeholt, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu verbrennen».
Er zeigt auf einen anderen wachsenden Müllberg am Strassenrand und seufzt: «Früher haben wir den Müll in Säcke verpackt und weit weg gebracht, aber jetzt gibt es keinen Platz mehr, wo wir ihn abladen können. Ich weiss, dass der Rauch meinen Kindern schadet, aber das ist besser, als wenn sie in diesem Dreck leben.
Während er spricht, kommt seine Frau mit ihrer kleinen Tochter aus dem Haus und hält sich ein Tuch vor die Nase. «Der Rauch erstickt uns drinnen und der Brandgeruch hält sich stundenlang im Haus. Aber was sollen wir tun? Wir leben zwischen Müll und niemand kümmert sich darum», sagt sie sichtlich verzweifelt.
Abu Samra senkt den Kopf und atmet tief aus. «Meine Kinder fragen mich jeden Tag, wann die Gemeinde den Müll abholt, und ich habe keine Antwort. Ich weiss nur, wenn sich nichts ändert, muss ich morgen einen neuen Haufen anzünden.»
Seit dem 7. Oktober 2023 haben die israelischen Behörden die Einfuhr von schwerem Gerät nach Gaza blockiertund damit die Stadtverwaltungen daran gehindert, Müll einzusammeln und zur Hauptdeponie in Juhor al-Deek im Osten des Streifens zu transportieren. Infolgedessen waren die Bewohner gezwungen, ihren Müll zu verbrennen, was zu schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsrisiken führte.
Die Krise spitzte sich weiter zu, als Israel Anfang März den Grenzübergang Kerem Shalom schloss und damit die Einfuhr von Treibstoff und Gütern in den Streifen verhinderte.
Ersticken zwischen Trümmern
In einem überfüllten Vertriebenenlager im Stadtteil Shujaiya im Osten von Gaza-Stadt sitzt Rahma Obeid (56) am Eingang ihres Zeltes und wedelt mit einem feuchten Lappen, um den Raum zu lüften. Doch dicker grauer Rauch von brennendem Müll in der Nähe dringt durch die Nylonnähte und füllt die Luft mit erstickenden Dämpfen.
Drinnen liegt ihr älterer Mann auf einer zerschlissenen Matratze, das Gesicht bleich vom Rauch, während ihr siebenjähriger Enkel Adam mit einem schweren Asthmaanfall nach Luft ringt.
«Wir können so nicht mehr leben», sagt Obeid und versucht, den Jungen zu trösten, der verzweifelt den Mund aufmacht, um frische Luft zu schnappen. «Nachts wird der Rauch unerträglich, und wir wachen auf, weil die Kinder husten.»
Die Dämpfe bedrohen nicht nur Adams Leben, sondern verschlimmern auch die chronische Atemwegserkrankung ihres Mannes. «Die Ärzte sagen, dass er saubere Luft braucht, aber wo sollen wir die in diesem Albtraum finden?»
Die Familie versucht, sich anzupassen – sie dichtet das Zelt ab und trägt Masken, wenn sie welche hat –, aber das reicht nicht. Einige Nachbarn sind bereits geflohen, auf der Suche nach einer weniger stickigen Umgebung, aber Obeid kann nirgendwo anders hin.
«Wir sind gefangen zwischen Müll, Rauch und dem langsamen Tod», sagt sie.
In einem verzweifelten Appell bittet sie die internationale Gemeinschaft und humanitäre Organisationen, dringend einzugreifen. Wir brauchen nicht nur Nahrungsmittelhilfe – wir brauchen saubere Luft. Wir brauchen jemanden, der den Müll wegräumt, bevor wir unter ihm begraben werden oder an seinem Rauch ersticken.
Eine beispiellose Umweltkrise
In den letzten Wochen hat die Stadtverwaltung von Gaza wiederholt vor einer schweren Umwelt- und Gesundheitskatastrophe gewarnt, die durch nicht abgeholten Müll verursacht wird, der sich in den Strassen und Wohngebieten stapelt.
Der Sprecher der Stadtverwaltung, Husni Mahna, beschreibt die Situation als eine «echte Katastrophe», da sich in Gaza-Stadt und den Vertriebenenlagern mehr als 170.000 Tonnen Müll angesammelt haben. Er erklärt, dass die israelischen Streitkräfte während des 15-monatigen Krieges mehr als 85% der schweren und mittelschweren Kommunalfahrzeuge der Stadt zerstört haben, was die Möglichkeiten der Stadtverwaltung, Abfall zu sammeln und zu entsorgen, stark eingeschränkt hat.
Mahna weist auch darauf hin, dass die israelischen Streitkräfte den Zugang zur Hauptdeponie in Juhor al-Deek blockiert haben, und erklärt: «Die israelischen Truppen kontrollieren das Gebiet um die Deponie und hindern die städtischen Teams daran, dorthin zu gelangen, um den Abfall sicher zu entsorgen.»
Da es keine andere Möglichkeit gibt, hat die Stadtverwaltung begonnen, provisorische Deponien innerhalb der Stadt zu errichten, wo es an angemessenen Umweltschutzmassnahmen mangelt, was die Gesundheitsrisiken weiter erhöht.
Mahna appelliert dringend an die internationale Gemeinschaft und humanitäre Organisationen, einzugreifen, indem sie die notwendige Ausrüstung zur Verfügung stellen und den Zugang zu den Deponien sichern, um eine Verschlimmerung der Umwelt- und Gesundheitskrise zu verhindern.
«Die derzeitige Situation erfordert eine sofortige Reaktion, um noch schwerwiegendere Folgen für die Bewohner von Gaza zu verhindern», warnt er, «insbesondere da sich der Abfall weiter ansammelt und sich die Gesundheits- und Umweltbedingungen verschlechtern».