Abenteuer Selbst: Drei Tage im Tipi

Ein Selbstversuch im Tipi

Nichts geschah. Dabei erwartete ich schwebende Gespenster-Frauen in weissen Nachthemden, Stimmen ohne Absender, den Böhlimann persönlich oder aber Siegesfanfaren. Doch als ich mich nachts, alleine im Wald, meiner Angst vor der Dunkelheit stellte, passierte nichts weiter als, dass ich wie üblich einfach Angst hatte. Erleichtert dass sich die eingebrannten Gruselbilder nicht manifestierten, und gleichermassen enttäuscht, dass mein Mut nicht spektakulär belohnt wurde, kehrte ich nach der Ewigkeit von wenigen Minuten ins feuerbeheizte Tipi zurück. «Wenn du es betrittst, musst du deinen Namen sagen», erklärten mir Stunden zuvor Stefanie Blau und Patrizio Porracchia, die meinen Aufenthalt begleiteten. Ohne Trotz befolgte ich alle Regeln, die ich während meiner Zeit in Twerenegg auferlegt bekam.

Vorgestellt hatte ich mir einen entspannten Kurzurlaub in einer Pension im Napfgebiet. Ich würde meine Meditations-App hören, etwas lesen, spazieren, Handy–Bildchen knipsen und die mir zufallenden Erkenntnisse im Tagebuch festhalten – das war der Plan. Nichts da! Die Info-SMS von Stephanie holte mich Tage vor dem Termin auf den Boden protestantischer Realität zurück: «Harte Arbeit und kein Vergnügen.» Keine Pension, kein Internet, kein Telefon, keine Apps, kein Buch, kein Magazin, kein Tagebuch, nicht einmal ein Zettel mit Stift waren mir erlaubt. Während der drei Tage des «Abenteuer Selbst» sollte es nur mich geben und ein Tipi irgendwo im Nirgendwo. Ob aus diesem Setting ein Vergnügen werden würde, unterlag berechtigten Zweifeln.

Stefanie Blau und Patrizio Porracchia begleiten mit ihrem Angebot «Abenteuer Selbst» Menschen die in oder aus sich gehen wollen. Menschen die bereit sind, eine Erfahrung ausserhalb der Komfortzone zu machen, um ihrem Wesen näher zu kommen. Die Ausgangslage ist dabei das Individuum und das Tipi als Ort des Geschehens. Welche Art der Unterstützung der Gast zusätzlich wünscht, wird vorgängig abgemacht. Im Angebot stehen Körpertherapie, Meditation, Bodypainting, Malerei, Tanz, Kräuterkunde und das offene Gespräch. Ziel ist es dem Gast eine Unterstützung zu geben, eine tiefe Erfahrung mit sich selbst zu machen.

Nach dem herzlichen Empfang im luzernischen Twerenegg, mit Mittagessen, einer Hausführung und der Übergabe meines Handys, habe ich mich zur Unterstützung meines bevorstehenden Abenteuers für einen Mix aus Meditation, offenem Gespräch, etwas Kräuterkunde und Körpertherapie entschieden. Danach packten wir Matratze, Rost, Decken, Holz, Kochutensilien, Wasser und die Hülle für das spektakuläre Outdoor WC-Häuschen auf Leiterwagen und Schubkarre. Damit marschierte unsere bunte Truppe in Richtung Waldrand, wo das Tipi nach zehn Minuten Marsch zu sehen war. Stefanie und Patrizio zeigten mir alles und überliessen mich vorerst mir selbst.
Sie besuchten mich zu fast jeder Mahlzeit und brachten mir neue Inspiration aus der zivilisierten Welt mit. Mal war es selbst gebackenes Brot, mal Couscous mit Kurkuma und  mal eine vorsichtige Beobachtung zu meinem Verhalten. Dazwischen war mir schrecklich langweilig. Ursprünglich suchte ich diese Langeweile: Der Beschäftigungs-Nullpunkt, aus dem Grossartiges entstehen sollte. Die Realität war dann aber unbequem und anstrengend. Die Langeweile wirkte wie ein Nervengift. Sie zerfleischte unsichtbar das, was von mir übrig blieb. Das stundenlange Sein ohne herumstreifen zu dürfen, ohne Stecken schnitzen oder Blumenkränzli flechten zu können, brachte das schlechteste in mir hervor. Ich verwandelte mich in eine dumpfe, träge Masse. Um ihr auszuweichen, hielt ich am Mittag ein Nickerchen; wie schon zum Znüni und wieder zum Zvieri. Davor und danach lenkte ich mich mit Nasenbohren ab. Gelegentlich verliess ich die öde Monotonie durch den Gang zur Openair Toilette, drückte mit dem Fingernagel Muster in Mückenstiche und versuchte Beinhaare von Hand auszureissen. Statt Verbindung mit dem Universum herzustellen, sass ich da und wartete auf die nächste Mahlzeit.
Während die Zeit zäh wie Melasse durch den Tag schlich und sich weder tief schürfende Gedanken noch feinstoffliche Schauer über mich ergossen, begann ich zu verstehen. Mir dämmerte, was meine Liebsten meinen, wenn sie meine Lieblingsbeschäftigungen «anstrengend» finden. Zum Beispiel den Ursprung des eigenen Handelns zu erforschen, Selbsterkenntnisse zu jagen und inspirierende Lösungen für philosophische Probleme aus dem Nichts zu pflücken. Das Sich-selbst-ausgeliefert-sein und die Fragen nach dem, was die Welt im innersten zusammenhält, sind tatsächlich anstrengend.


Anstrengend war auch, ohne meine Meditations-Apps Ruhe in meinem Schädel herzustellen. Dort gibt es offenbar ein Übersetzungszentrum, wo Impulse in unaufhörliches Geschnatter vertont werden, dachte ich bei mir. Und da ich sonst nichts zu tun hatte, begann ich, diese Impulse mit imaginären Laserblitzen abzuschiessen. Ob Einsamkeit nach wenigen Stunden bereits wahnsinnig macht, weiss ich nicht. An mein ungeschminktes Ich bin ich in diesen drei Tagen bestimmt näher gerückt. Dabei halfen sicher die Gespräche, die gemeinsamen Mahlzeiten, die Körperarbeit und die Meditation mit Stefanie und Patrizio. Während der letzten Session des offenen Gesprächs durfte ich ein Spektakel erleben, welches mich zum Staunen brachte. Tränen überströmt, mit beiden Händen in der Luft, stand ich schliesslich da und rief: «Ich will gross sein! Ich will so gross sein, wie ich wirklich bin!»        


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Abenteuerselbst.com
Unter Twerenegg, 6122 Menznau, Telefon: 079 126 50 55

Die Atem- und Körpertherapeutin Stefanie Blau und der Kunstmaler Patrizio Porracchia bieten auch Gruppenretreats und Erlebnisreisen nach Portugal an. In Twerenegg finden zudem Kräuterkochkurse und diverse weitere Angebote statt.
Weitere Angebote finden sie unter:  Stefanieblau.com, wildkraeuterkueche.ch
25. September 2014
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